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Niederrhein Der Niederrhein-Chronist

Niederrhein · Er hat sein Leben lang geschrieben, Kurzgeschichten, Gedichte, Fachbeiträge, Romane: Werner Böcking. Der 82-jährige Xantener ist durch seine Schulfunkbeiträge bekanntgeworden und hat 24 Bücher veröffentlicht. Bisher!

Die Olympia steht selten unbenutzt herum. Werner Böcking schreibt, schreibt und schreibt auf seiner Schreibmaschine, von der er sich "nicht einmal im Traum" trennen würde. 82 Jahre ist der Xantener inzwischen alt. Mehr als 400 Kurzbeiträge hat er veröffentlicht. Kurzgeschichten, die jahrelang Einzug ins Feuilleton der Rheinischen Post fanden, vor allem aber Fachbeiträge über die Rheinschifffahrt. Und wer zu alten WDR-Schulfunkzeiten etwas über den Niederrhein erfuhr, der lernte von ihm. Gerade sind sein 23. und 24. Buch erschienen: Band zwei und drei seiner Biografie. Und wir sind immer noch die 1960er Jahre. Böcking, das ist der Chronist des (linken) Niederrheins.

"Wenn ich an all die geschriebenen Manuskripte denke, die drüben im Kleiderschrank liegen, dann wird mir schlecht", lässt er sein Pseudonym Otto Weber in den 1950er Jahren sagen. Und Böckings Schrank dürfte nicht klein gewesen sein. Er hat alles festgehalten, was nach den Kriegstagen bis heute auf ihn eingeströmt ist. Seine Eltern waren Partikuliere auf dem Rhein. Er selbst ging nach der Volksschule in einem kleinen Schifffahrtsbetrieb in Duisburg zwei Jahre lang in die Lehre. Dann kam das Kriegsende, und seine Mutter schickte ihn aufs Land – weg aus dem zerstörten Homberg. Bis nach Xanten kam er mit 16 Jahren, arbeitete bei Landwirten gegen Unterkunft und Verpflegung, war als Amateurrennreiter zu Gast auf den Naturbahnen am Niederrhein (über die Zeit entstand ein eigenes Buch), wurde Maurer, war Zeichner bei den Xantener Archäologen, Fernschreiber bei der Bundeswehr.

Und abends, da wurde geschrieben. Immer. Das änderte sich auch mit seiner Heirat nicht. Allerdings erlaubte sich Böcking einen Fernkurs: "Die Technik der Erzählkunst." Vielleicht war es ja eben das, was 1955 zum ersten schreiberischen Durchbruch führte. Da veröffentlichte die RP erstmals eine Böcking-Erzählung: "Die Fähre im Nebel." Mehrere Jahre lang fanden seine Geschichten dann regelmäßig Platz im Feuilleton – "eine schöne Zeit", denkt Böcking zurück.

"Nur die Augen offen halten"

Derweil war aus Böcking eher ein Sachbuchautor geworden. Kaum jemand, der sich in der Geschichte der niederrheinischen Fischerei besser auskennt als er. Ein eigenes Archiv hat er aufgebaut. Aufsätze über Aufsätze sind damals entstanden, ganze Sendungen für den WDR-Schulfunk. Textbände, Bildbände gingen in Druck. "Man muss doch nur die Augen offen halten, dann gibt es immer wieder genug Stoff für Geschichten", sagt er.

Will heißen: Vor Böcking ist kaum ein Thema sicher. Die Römer am Niederrhein zum Beispiel. Oder ein Werk über den Kunstmaler Gustav Ruhnau. Und irgendwann hat der begeisterte Schlittschuhläufer sogar über diese Bewegungsart ein Buch verfasst: "Vom Schrittschuh zum Schlittschuh."

Tiefe spuren einer ganzen Epoche

In seinen Romanen kann Böcking seitenlang seine Eindrücke beschreiben. Das ermüdet bisweilen, ist gleichzeitig aber eine Fundgrube für Leser, die den Niederrhein derart erfahren haben oder wollen: die staubigen Bahnhöfe, die langen Fahrten mit Rädern, bisweilen mit Autos oder Kähnen. Als Ich-Erzähler vermittelt Böcking ganz nahe Eindrücke der Nachkriegszeit. Ob beim Bau des heutigen Flughafen Niederrheins in Weeze, den er erlebte, als noch die Rodungen in vollem Gang und die ersten Schotterstraßen verlegt wurden, beim tage- und nächtelangen Gießen des Hallenbodens der Textilfabrik Reichel in Rheinberg, bei Fahrradtouren: Da ziehen die Wolken über den Himmel einer eindrücklich beschrieben Landschaft, riecht es nach Reichswald und Hees-Boden, macht sich Böcking Gedanken über die Physiognomie der Niederländerinnen. Bei allen Stilbrüchen: Es sind tiefe Spuren einer ganzen Epoche, die Böcking zum Beispiel am Herd, dem Umgang mit Vorgesetzten und mit der Landschaft lebendig werden lässt.

Verleger zu finden, das weiß er, sei bisweilen nicht leicht. Geschafft hat er es immer wieder. Und seine alten Olympia-Schreibmaschine pflegt der zweifache Vater bis heute. Alle paar Wochen kommt dann eine Studentin vorbei, die seine Manuskripte in der Freizeit "in den Computer haut". Fürs nächste Buch. Böcking: "Mit dem Schreiben aufhören – das geht doch gar nicht."

(RP)
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