Wesel Der Landschaftskonstrukteur

Wesel · Niederrheinischer Kunstverein widmet Jürgen Borchert zu dessen 60. Geburtstag eine Retrospektive. Ausstellung im Centrum wird morgen um 11 Uhr eröffnet. Einige Frühwerke sind erstmals in Wesel zu sehen.

Jürgen Borchert wird 60. Der Niederrheinische Kunstverein nimmt den runden Geburtstag zum Anlass, dem Weseler Künstler eine Retrospektive zu widmen. In der Ausstellung „Zwischenbilanz“ in der Galerie im Centrum sind zahlreiche Frühwerke aus der konstruktiven Schaffensphase während und nach seinem Studium an der Düsseldorfer Kunstakademie zu sehen. In Wesel wurden diese Arbeiten bisher noch nicht ausgestellt.

Abstraktion in der Sackgasse

Die Ausstellung ist chronologisch aufgebaut und zeigt dabei auch die formalen Bezüge zwischen Frühwerk und aktuellen Arbeiten. Viele Künstler gehen den Weg vom Gegenständlichen zur Abstraktion. Bei Jürgen Borchert war es genau umgekehrt. In den 70er Jahren beschäftigte sich der Künstler mit geometrischen Formen. In nüchtern konstruierten Bildern herrscht die Klarheit der Linie vor. „Irgendwann hat mich die Abstraktion in die Sackgasse geführt“, sagt Borchert, der daraufhin begann, das Zeichenhafte in der Landschaft zu suchen.

Farbstiftzeichnungen, mit akribischer Genauigkeit aus Tausenden Strichen zusammengesetzt und in vielen Schichten aufs Papier gebracht – das sind die Arbeiten, die man heute von Borchert kennt. Was auf den ersten Blick wie das Portrait eines Landschaftsausschnittes wirkt, ist in Wahrheit konstruierte Landschaft. Der Künstler fertigt vor Ort Foto-Serien an und greift sich Elemente heraus, die er neu zusammensetzt. „Ich bastele mir am Zeichentisch die ideale Landschaft, die alles auf den Punkt bringt“, erklärt Borchert. Obwohl viele Motive einen hohen Wiedererkennungswert haben wie das Fährhaus am Rheinufer in Bislich, unterscheiden sich Bild und Realität voneinander.

„Die Geometrie ist auch in der Landschaft ein beherrschendes konstruktives Element“, sagt Jörg Happel, Kurator der Ausstellung. Verzerrte Perspektiven, Raumfluchten und zeichenhafte Elemente seien bewusst als „Störfaktoren“ ins Bild gesetzt, um Aufmerksamkeit zu erregen. „Das macht eine Landschaft spannend, die sonst eher banal wäre. Jürgen Borchert ist kein Künstler, der eine heile Welt zeigt“, so Happel. Für Borchert waren die Vorbereitungen zur Retrospektive auch eine ganz persönliche Zeitreise in die Vergangenheit. Manches Stück fand aus dem fast vergessenen Kellerarchiv wieder ans Tageslicht. Anders als das Motiv des in der Ausstellung an zentraler Stelle aufgehängten Bildes „Letzter Schnee“ vermuten lassen könnte, ist für Borchert der „Zug noch längst nicht abgefahren“. Nach dem letzten Schnee kommt bekanntlich ein neuer Frühling.

(RP)
Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort