Himmel und Erde Das Kreuz von Notre-Dame

Das Hochaltar-Kreuz in der Pariser Kirche Notre-Dame hat dem zerstörerischen Feuer standgehalten. So, als ob es zeigen will, dass auch inmitten von Chaos und Vernichtung das Leben nicht zu Ende ist.

 Superintendent Thomas Brödenfeld , Wesel

Superintendent Thomas Brödenfeld , Wesel

Foto: Malz, Ekkehart (ema)

Als am Dienstagmittag, mehr als vierzehn Stunden nach Ausbruch des verheerenden Feuers in der Pariser Kathedrale Notre-Dame, der Brand offiziell als gelöscht galt, tauchten erste Bilder aus dem Inneren der Kirche auf. Hinter rußgeschwärzten Trümmern, die einmal der Dachstuhl dieser weltberühmten Kathedrale waren und Seen von Löschwasser, erhob sich das goldglänzende Kreuz des Hochaltars. Scheinbar unversehrt hatte es die stundenlange Feuersbrunst überstanden und leuchtete nun im Kegel zahlreicher Scheinwerfer, die das Gemäuer von Notre-Dame nach Schäden absuchten. „Das Wesentliche ist unbeschädigt“, sagte in einer der nachfolgenden Fernsehnachrichten ein sichtlich bewegter Moderator zu diesem Bild.

Der heutige Karsamstag wurde früher oft auch der „stille Samstag“ genannt. Der Karsamstag ist der Tag, an dem die Kirche nach der Kreuzigung an Karfreitag der Grabesruhe Christi gedenkt und mit Fasten und Gebet seine Auferstehung erwartet, die an Ostern gefeiert wird. Heute dagegen scheint es oft so, dass der Karsamstag als geradezu sehnsüchtig erwartete Unterbrechung der stillen Tage von Karfreitag bis Ostersonntag angesehen wird. Die letzten Ostereinkäufe werden erledigt, das Leben pulsiert wieder, der von Vielen als Zumutung empfundene Karfreitag ist vorüber. Aber dem ist nicht so. Das Wesentliche ist noch nicht vorbei. Die drei Tage von Karfreitag über Karsamstag bis zum Ostersonntag gehören zusammen und sind untrennbar miteinander verbunden. „Gekreuzigt, gestorben und begraben, hinabgestiegen in das Reich des Todes, am dritten Tage auferstanden von den Toten“ heißt es im Glaubensbekenntnis. Das Wesentliche, das Kreuz, ist schon aufgerichtet, aber der Sieg des Lebens geschieht erst noch. Karfreitag hat die Tür des Lebens weit aufgestoßen, so anstößig und verstörend sich das auch anhören muss. Das Kreuz auf Golgatha war der Schlüssel zum leeren Grab am Ostermorgen. Das Kreuz des Hochaltars in Notre-Dame hat dem zerstörerischen Feuer standgehalten. So, als ob es zeigen will, dass auch inmitten von Chaos und Vernichtung das Leben nicht zu Ende ist. „Das Wesentliche ist unbeschädigt.“ Als Jesus gekreuzigt wurde, dachten die Menschen, es ist vorbei mit ihm, nichts bleibt von seiner Liebe und der Botschaft der Hoffnung. Wie verwundert waren seine Jünger und Freunde, als er sich ihnen an Ostern und den Tagen danach als der Auferstandene zeigte. Aus der totalen Vernichtung dem Leben neu geschenkt. „Das Wesentliche ist unbeschädigt“. Das Kreuz von Notre-Dame zeigt den Sieg des Lebens über den Tod an. Wer sich auf das Kreuz im eigenen Leben einlässt, der spürt, wie sich der Tod zum Leben wandelt. So befreit können wir morgen Ostern feiern.

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