Campingplatz in Schermbeck geschlossen Geht’s noch

Schermbeck · Sechs Jahre lang haben Bibiane und Ulrich S. auf einem Campingplatz in Schermbeck gewohnt, mehrere Zehntausend Euro steckten sie hinein. Nun sollen sie und Dutzende andere Pächter ihre Häuser abreißen – der Brandschutz. Verantwortung will niemand übernehmen.

 Der Campingplatz Overbeck in Schermbeck.

Der Campingplatz Overbeck in Schermbeck.

Foto: Christoph Reichwein (crei)

Der Weg in das Revier von Bibiane und Ulrich S. sollte eigentlich so gehen: den Berg runter, rechts halten, geradeaus, zwischen dem Backsteinhaus und dem Container durch, noch ein Stückchen weiter, links halten. Dann sollte man die Flagge des FC Schalke 04 wehen und den Hausherren warten sehen. Aber der Weg endet ziemlich abrupt vor einem kantigen Herren, der in der Beschreibung eigentlich nicht auftaucht.

Der Mann, der seinen Namen zwar nicht verraten will, von dem man aber weiß, dass es Michael Kleinherbers ist, der Platzleiter, steht nun am offenen Autofenster und fragt, was man will. Mit Ulrich S. reden? Auf keinen Fall. Er will den Reportern Hausverbot erteilen, sagt, dass sie sich gefälligst verpissen sollen und er ansonsten die Polizei rufen werde. Im Hintergrund droht ein älterer Herr in einem MSV-Trikot, ebenfalls älteres Modell, nonverbal mit Prügel. Es ist ein Freitagnachmittag im Februar, die Sonne scheint. Willkommen auf dem Campingplatz Overbeck in Schermbeck-Gahlen.

 Pächter auf dem Campingplatz als Leidensgenossen: Stefanie O., Martina N., Stephan N., Bibiane S., Ulrich S., Heike S. (v.l.).

Pächter auf dem Campingplatz als Leidensgenossen: Stefanie O., Martina N., Stephan N., Bibiane S., Ulrich S., Heike S. (v.l.).

Foto: Christoph Reichwein (crei)

Bibiane und Ulrich S. müssen nun rauskommen, den beschriebenen Weg in andere Richtung bewältigen, an Michael Kleinherbers vorbei, über die Grundstücksgrenze hinweg, dorthin, wo man auch reden kann, wenn es der Platzwart nicht will. Das Ehepaar bringt noch Stefanie O., Martina N., Stephan N., Heike S. und eine weitere Frau mit, die alle nicht ihren vollständigen Namen in der Zeitung lesen wollen, weil sie finden, dass sie schon genug Ärger haben. Sie sagen, dass man sie als Interessengemeinschaft bezeichnen solle. Das gemeinsame Interesse jetzt: erzählen, was hier eigentlich los ist.

Ja, was ist hier eigentlich los, dass ein Platzleiter die Polizei rufen will, weil Journalisten kommen? Dass Sprachnachrichten mit Drohungen verschickt werden? Dass am Verwaltungsgericht Düsseldorf 41 Hauptsacheverfahren und 35 Eilverfahren anhängig sind und eins noch am Oberverwaltungsgericht in Münster? Dass plötzlich rund 80 Menschen ihr Zuhause verlieren und etwa 70 weitere ihre Heimat? Dass aus einem Campingplatz jede Leichtigkeit entweicht?

 Der frühere Kreis Dinslaken genehmigte einen „Campingplatz für circa 100 Personen, gemischt für Wohnwagen und Zelte“.

Der frühere Kreis Dinslaken genehmigte einen „Campingplatz für circa 100 Personen, gemischt für Wohnwagen und Zelte“.

Foto: Christoph Reichwein (crei)

Der Campingplatz Overbeck liegt am Wesel-Datteln-Kanal, eine ganz hübsche, ruhige Gegend am Rande des Ruhrgebiets. 2015 entscheiden sich Bibiane und Ulrich S., dorthin zu ziehen. In Polen lassen sie ein Haus fertigen und bauen es auf ihrer Parzelle auf. Bei der Gemeinde Schermbeck melden sie ihren Erstwohnsitz an, obwohl man auf Campingplätzen nicht dauerhaft leben darf. 2016 ziehen sie ein. Sie nehmen einen Kredit auf und bekommen einen Zuschuss von den Eltern, um sich das leisten zu können, und um es sich in den nächsten Jahren schöner machen zu können. So erzählen sie das.

Sie pflastern sich Wege durch ihr Revier, immer vier Steine hochkant und vier Steine quer daneben, sie legen Rasen an, bauen einen Zaun, pflanzen Blumen, auf Bildern, die Ulrich S. zeigt, sieht man sie violett blühen. Sie bauen ein kleines Schwimmbecken auf, verlegen Böden in ihrem Haus, installieren eine weiße Einbauküche mit schwarzer Abzugshaube, bauen eine Terrasse und hissen eine Flagge des FC Schalke 04.

Nun, sieben Jahre nachdem alles losging, steht Ulrich S., Mitte 50, Glatze, von Wut geröteter Kopf, an der Straße vor dem Campingplatz, die Hände in den Jackentaschen, und sagt: „Wir haben unsere komplette Existenz verloren.“

Am 13. Januar 2022 untersagt der Kreis Wesel per Ordnungsverfügung der Betreiberin Christina Overbeck-Keus und ihrem Mann, Michael Kleinherbers, die weitere Nutzung des Campingplatzes. Gibt man den Platz heute bei Google Maps ein, steht dort: „Dauerhaft geschlossen.“

Was in der Zeit vor dem 13. Januar 2022 geschieht und was in der Zeit danach, darüber gibt es unterschiedliche Auffassungen. Die Betreiber schildern die Dinge anders als die Kreisverwaltung, die Pächter anders als die Betreiber und der Kreis. Es sind viele Emotionen im Spiel, aber wen wundert das, wenn es um viel Geld geht, und um das eigene Zuhause.

Die Fragen zur Schließung des Campingplatzes sind nicht ganz einfach. Sie betreffen juristische Feinheiten, wie den Unterschied zwischen Bauplanungsrecht und Melderecht, den nicht einmal diejenigen uneingeschränkt verstehen, die täglich damit arbeiten. Es geht um Mindestabstände, Löschwasserversorgung, Rauchmelder und Brandschutzstreifen. Um Genehmigungen und Duldungen. Um Ordnungsverfügungen und Allgemeinverfügungen. Und um den Alltag von 150 Menschen.

Ende November 2021, so schildert es eine Sprecherin des Kreises Wesel, kommen Vertreter der Gemeinde Schermbeck und der Kreisverwaltung auf den Campingplatz. Sie hatten sich zur „Brandverhütungsschau“ angemeldet, wollen also schauen, ob der Brandschutz auf dem Platz gewahrt ist.

An insgesamt drei Tagen begutachten die Vertreter demnach das Gelände und stellen Mängel um Mängel fest. Anfang Dezember fordert der Kreis den Betreiber auf, Häuser zurückzubauen, die Wege zu verbreitern und für eine Versorgung mit Löschwasser zu sorgen, auch Rauchwarnmelder sollten installiert werden. Falls dies nicht geschehe, würde man den Campingplatz schließen.

Anfang Januar, nach Ablauf der Frist, kommen die Kontrolleure wieder. Sie stellen fest, dass zwar einer der Hauptwege verbreitert wurde, es aber noch kein Löschwasser gibt und die Häuser alle noch stehen. „Auch ausreichende Versuche, den Forderungen nachzukommen, waren nicht erkennbar und somit die konkrete Gefahrenlage nicht beseitigt“, sagt die Sprecherin des Kreises. Der Platz wird geschlossen.

Auf vielen Parzellen haben die Pächter Blockhäuser gebaut, was sie eigentlich nie durften. Der Campingplatz Overbeck ist juristisch betrachtet ein Campingplatz, kein Wochenendplatz. Als „Campingplatz für circa 100 Personen, gemischt für Wohnwagen und Zelte“ genehmigt der damalige Kreis Dinslaken in den 60er-Jahren den Platz. Keine Häuser, kein Erstwohnsitz erlaubt. Doch auf dem Gelände entstehen mit den Jahren immer mehr Häuser, die Wege werden schmaler, die Feuerwehr hätte keine Chance.

Auch die meisten Mitglieder der selbsternannten Interessengemeinschaft bauen ihre Häuschen. Sie erzählen, dass die Betreiber sie nie darauf hingewiesen hätten, dass sie das nicht dürfen, im Gegenteil. „Wir sind aus allen Wolken gefallen“, sagt eine Frau. Schließlich standen die Blockhäuser überall. Ulrich S. sagt, dass sie nie im Leben so viel Geld investiert hätten, wenn sie gewusst hätten, dass das illegal ist. 100.000 Euro, schätzt er, hätten seine Frau und er für ihre Parzelle bekommen können, wenn sie sie verkauft hätten. Jetzt geht es eher darum, was sie retten können, falls sie alles abreißen müssen.

Man würde gerne mit Christina Overbeck-Keus über all das sprechen. Die Pächter, die an der Hauptstraße vor dem Campingplatz ihre Schicksale schildern, beschuldigen die Betreiberin, dass sie sich nicht darum gekümmert habe, dass alles mit Recht und Ordnung abläuft. Overbeck-Keus verweist am Telefon aber an ihren Mann, Michael Kleinherbers.

Diesmal ruft er nicht die Polizei, aber er sagt: „Ich möchte meine Ruhe haben.“ Es habe keinen Sinn, mit der Presse zu reden, weil die Journalisten Angst hätten, die Wahrheit zu schreiben. Pressefreiheit gebe es in diesem Land nicht, das wisse man ja selbst sicher am besten. Die Sätze, die Kleinherbers sagt, von denen er nicht glaubt, dass man sie schreibt, lauten: „Der Kreis Wesel lügt“, „Der Kreis hat selbst jede Menge Schuld daran“ und: „Die Behörden sind mit den Menschen umgegangen, als wären es Tiere, die ins Tierheim müssen“.

Kleinherbers ist wütend, nur dass man am Telefon nicht sieht, ob sein Kopf auch so rot ist wie der von Ulrich S. Der Platzleiter sagt, dass er dem Kreis Lügen nachweisen kann. Zum Beispiel hätte der Verwaltung die Liste mit allen Pächtern nicht erst Ende Januar vorgelegen, wie diese behaupte, sondern bereits Ende Dezember.

Er erzählt auch, dass der Kreis nie Probleme mit den Häusern auf den Parzellen gehabt habe und auch nicht mit dem Brandschutz. Seit 1990 stünden Häuser auf dem Platz, 2000 sei der Kreis da gewesen und habe das abgenommen. Es gebe Faxe, die das Einverständnis des Kreises beweisen, sagt er.

Der Platzleiter erzählt, dass man gute Fortschritte mache beim Brandschutz. Dass es die Mängel gegeben habe, stimme natürlich. Es sei ihm wichtig, sie zu beheben. 40 bis 50 Parzellen seien bereits beseitigt, Ende März möchte er wieder öffnen, dann seien alle Auflagen erfüllt. Nur eine ältere Dame wohne noch da, die müsse raus.

Ulrich S. ist auch wütend auf Michael Kleinherbers. Er spielt einem Sprachnachrichten vor, in denen der Platzleiter ihm Druck macht. Es klingt nicht gerade freundlich, was er sagt, und gelegentlich auch etwas wirr. Insgesamt aber: sehr unversöhnlich. Selbst wenn der Campingplatz wieder aufmacht, fragt man sich, wie es hier wieder erholsam werden soll.

Ingo Brohl, der Landrat im Kreis Wesel, verteidigt das Vorgehen seiner Behörde. Er sagt: „Ich führe lieber die Diskussion, warum wir jetzt einschreiten, als nach einem Brand vor der Frage zu stehen, warum wir nicht eingeschritten sind.“ Die Gefahr für Leib und Leben müsse abgestellt werden. Er sagt aber auch: „Natürlich berührt mich das persönliche Schicksal der Pächter.“

In dieser Geschichte gibt es viele Aussagen, die sich nicht überprüfen lassen, von denen man nicht weiß, ob sie wahr sind oder bloß der eigenen Argumentation dienen. Es befassen sich aber bereits Gerichte damit. Rund 40 Pächter haben den Kreis Wesel verklagt, die Betreiber sind schon eine Instanz weiter gezogen. Das Oberverwaltungsgericht will noch im März entscheiden.

Die Pächter, die sich Interessengemeinschaft nennen, kündigen außerdem an, die Betreiberin zu verklagen, Christina Overbeck-Keus. Sie wollen Schadenersatz.

Bibiane und Ulrich S. haben zum 1. März eine neue Wohnung bezogen, ein Glücksfall, sagen sie. Aber selbst wenn ihnen ein Gericht einmal Schadenersatz zusprechen sollte, ihr Revier lässt sich nicht ersetzen.

(her)
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