Bilanz für den Kreis Wesel Corona beherrscht den Arbeitsmarkt

Wesel · Die Pandemie hatte im vergangenen Jahr einen großen Einfluss auf die Entwicklung des Arbeitsmarktes in der Region. Besonders die Anträge auf Kurzarbeit sind 2020 wegen der Folgen der Corona-Krise extrem gestiegen.

 Die Agentur für Arbeit für den Kreis Wesel hat ihre Bilanz für das Jahr 2020 vorgelegt. Das Foto zeigt das Gebäude der Agentur an der Reeser Landstraße.

Die Agentur für Arbeit für den Kreis Wesel hat ihre Bilanz für das Jahr 2020 vorgelegt. Das Foto zeigt das Gebäude der Agentur an der Reeser Landstraße.

Foto: Klaus Nikolei

2020 war wegen der Corona-Pandemie ein Jahr der großen Herausforderungen – ganz besonders auch für den Arbeitsmarkt im Kreis Wesel. „Die Pandemie hat den Arbeitsmarkt stark unter Druck gesetzt“, sagte Barbara Ossyra, Geschäftsführerin der Agentur für Arbeit in Wesel, am Dienstag bei der Präsentation der Jahresbilanz. Wirtschaftskrisen habe man in der Vergangenheit immer schon mal durchlaufen, nicht aber mit den Folgen einer Pandemie.

Die Kurzarbeit erwies sich als wichtiger Stützfaktor und sicherte allein im April gut 35.000 Arbeitsplätze im Agenturbezirk – wobei noch nie zuvor so viele Anträge gestellt wurden. Zwischen März und Dezember waren es im Agenturbezirk Wesel und Kleve insgesamt 27.739 – mit dem absoluten Höhepunkt im Mai und einem weiteren, aber kleineren im November. „Das ist extrem und auch noch nie dagewesen, selbst bei der Finanzkrise 2009 nicht“, betont Sabine Hanzen-Paprotta, Pressesprecherin der Arbeitsagentur. 2009 waren es zum Vergleich ganze 3503 Anträge. Im vergangenen Jahr hatten im Agenturbezirk Wesel im Jahresdurchschnitt nur ganze zehn Betriebe und 256 Personen verkürzt gearbeitet, im April 2020 waren es im Vergleich hingegen insgesamt 4.852 Betriebe.

Die Auswirkungen der Corona-Krise waren in der Region unterschiedlich und betrafen auch die Branchen in ganz verschiedenen Maßen. Am stärksten betroffen waren die Gastronomie, der kulturelle Bereich, einige Dienstleister – dagegen weniger der Lebensmittel-Einzelhandel und das produzierende Gewerbe.

Die Zahl der Arbeitslosen im Kreis Wesel betrug im Jahresdurchschnitt 16.099 und ist damit gegenüber 2019 um 1.588 angestiegen, die Arbeitslosenquote im gleichen Zeitraum von 5,9 auf 6,6 Prozent. Die Spitzenwerte zwischen 2015 und 2017 erreichte das Corona-Jahr allerdings nicht – wohl auch dank der Kurzarbeit. Im Kreis Kleve fiel der Anstieg vergleichsweise geringer aus. Im Monatsvergleich stieg die Arbeitslosigkeit im Kreis Wesel zwischen April und August aufgrund der Pandemie an, um dann bis zum Jahresende wieder zu fallen.

Auch bei den Zu- und Abgängen vom 1. Arbeitsmarkt ist in der Jahresmitte eine Delle zu erkennen. Insgesamt nahmen die Zugänge im Vergleich zum Vorjahr um 4,8 Prozent zu, während die Zahl der Abgänge um 4,0 Prozent zurückging. Ganz extrem ist der Rückgang bei der Zahl der gemeldeten offenen Stellen: 5.269 Stellen (insgesamt 7.544) wurden hier weniger als noch 2019 angeboten, was einem satten Rückgang von 41,1 Prozent entspricht. Lediglich im Gesundheitsbereich gibt es mehr Stellenangebote.

Ein Einschnitt für die Arbeitsagentur war der 18. März, als alle Standorte geschlossen werden mussten und ab April eine zusätzliche Hotline für Arbeitnehmer eingerichtet wurde. Zu Spitzenzeiten hatten die rund 120 Mitarbeiter zwischen 1500 und 1900 Anfragen pro Woche zu beantworten, daneben noch einmal rund 500 von Arbeitgebern hauptsächlich zum Thema Kurzarbeit. Erst ab Juni war dann wieder eine persönliche Beratung möglich.

Bewährt hat sich auch das Selfie-Ident-Verfahren, die Möglichkeit zur digitalen Arbeitslos-Meldung. Knapp 7600 Personen nutzten diese Alternative. Und ginge es nach der Arbeitsagentur, könnte das zunächst bis 31. März befristete Angebot gerne verlängert werden. „Das persönliche Beratungsgespräch wird immer an erster Stelle stehen“, so Ossyra, „aber wir haben auch intern gute Erfahrungen mit den digitalen Medien gemacht und unser mobiles Arbeiten weiter ausgebaut.“ Gleiches gilt für die externen Online-Aktivitäten – wie die Ausweitung der eService-Angebote, die Entwicklung neuer Apps, die digitale Weiterbildungsmesse Ruhr oder den virtuellen Business-Talk für Arbeitgeber.

Auch der Arbeitsalltag im Arbeitgeber-Service erlebt seit März einen extremen Umbruch, der Beratungsbedarf der Arbeitgeber hat stark zugenommen. „Wir haben hier alle live erlebt, wie die Telefone schrillten“, erinnert sich Arbeitsvermittler Kevin Hebink. „Oft waren wir auch mal Seelentröster, haben die Unsicherheit gespürt.“ Anfragen gab es vor allem zum Thema Kurzarbeit.

Hierzu gab es im Kreis Wesel zum Höhepunkt im April insgesamt 2.594 Anzeigen von Unternehmen bei 26.295 potentiell betroffenen Personen. Im Schnitt war im April jeder 7. Beschäftigte betroffen. Bis Juli ging der Anteil der Kurzarbeit dann wieder zurück. Menschen mit niedrigem Bildungsabschluss waren besonders von den Entlassungen im Zuge der Pandemie betroffen.

Insgesamt gesehen traf die Pandemie den Arbeitsmarkt im Kreis Wesel etwas härter als den im Kreis Kleve. Im zweiten Halbjahr erholte sich der Arbeitsmarkt leicht, die Folgen des neuerlichen Lockdowns dürften sich nach dem ersten Quartal 2021 zeigen. Der Fachkräftebedarf bleibt ein aktuelles Problem, der Beratungsbedarf seitens der Arbeitnehmer- und auch Arbeitgeber ist deutlich gestiegen. An dieser Stelle hat die Agentur für Arbeit zuletzt mehr und mehr die Funktion als „Lotse“ im Erwerbsleben übernommen.

Ossyra blickt nun nach vorne. „Spannend wird das erste Halbjahr sein“, sagt sie und ergänzt: „Für 2021 besteht grundsätzlich die Aussicht, dass die Konjunktur wieder anzieht und der Arbeitsmarkt sich weiter erholt. Mit den begonnenen Impfungen besteht darüber hinaus die Hoffnung, dass das wirtschaftliche und gesellschaftliche Leben schrittweise wieder in Gang kommt.“ Wichtiger Schwerpunkt bleibt die Qualifizierung für Arbeitsuchende und Beschäftigte – auch während der Kurzarbeit –, die Ausbildungsstellenvermittlung, die Berufsberatung und der Ausbau alternativer Beratungsformen.

(CS)
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