Interview mit einer Büchereimitarbeiterin „Bibliotheken sind ein Ort des Kontakts“

Wesel · Wir wollen über Jobs sprechen, die sonst selten im Fokus stehen. Jutta Heicks ist Bibliothekarin in Wesel.

 Diplom-Bibliothekarin Jutta Heicks an ihrem Arbeitsplatz in der Stadtbibliothek Wesel. Sie erzählt im Interview von ihrem Job.

Diplom-Bibliothekarin Jutta Heicks an ihrem Arbeitsplatz in der Stadtbibliothek Wesel. Sie erzählt im Interview von ihrem Job.

Foto: Peggy Mendel

Die 34-jährige Jutta Heicks ist seit zwei Jahren als Bibliothekarin in der Stadtbücherei tätig. Zuvor arbeitete sie fünf Jahre lang im Medienforum des Bistums Essen.

Frau Heicks, ist der Job der Bibliothekarin Ihr Traumberuf?

Jutta Heicks Eigentlich wollte ich Fluglotsin werden, aber das ging aufgrund meiner Migräne nicht. Dann habe ich überlegt, was mir noch Spaß macht, das war das Lesen. Mittlerweile ist Bibliothekarin schon mein Traumberuf geworden.

Und wie sind Sie in der Weseler Stadtbücherei gelandet?

Heicks Ich bin mit Büchern aufgewachsen, meine Eltern haben mir schon als Kind viel vorgelesen. Bei mir waren es die ganz klassischen Argumente: Ich mag Bücher, ich lese gern, außerdem schätze ich den Menschenkontakt. Also habe ich mich für das vierjährige Studium des Bibliothekswesens entschieden und bin jetzt Diplom-Bibliothekarin.

Wie sieht ihr Arbeitsalltag aus?

Heicks Ich recherchiere viel, berate Kunden an der Infotheke im zweiten Stock und führe Schulklassen und Kindergartengruppen durch die Bücherei. Zusätzlich habe ich die Lektoratsbereiche Kinder- und Jugendbibliothek, Religion, Philosophie, Pädagogik und Gesellschaftswissenschaften. Bei diesen Themen überprüfe ich, ob der Stand noch aktuell ist und was neu gekauft werden muss. Vor allem bei den Kinder- und Jugendbüchern schließt das auch ein, Serien zu vervollständigen.

Welche Frage wird Ihnen an der Infotheke am häufigsten gestellt?

Heicks „Ich suche Buch xy“ und „Ich habe hier letztens ein grünes Buch mit gelben Punkten gesehen, wo steht das?“. Mit ein bisschen Glück kenne ich das Buch, dann kann ich weiterhelfen – falls nicht, wird das Wiederfinden schwierig.

Wie viel Menschenkontakt beinhaltet Ihr Beruf?

Heicks Ungefähr 50 Prozent sind Kontakt zu Menschen. Durch den stetigen Austausch erhalte ich auch immer wieder neue Vorschläge: Nachdem ich gefragt wurde, wieso wir von der „Die Drei Fragezeichen Kids“-Reihe nur die älteren Folgen hatten, bestellte ich die neueren Bände nach.

Müssen Sie jedes neue Buch im Bibliotheksbestand erst selbst lesen?

Heicks (lacht) Nein. Einige Bücher wählen wir tatsächlich händisch in Buchhandlungen aus, bei manchen Genres gibt es Listen, wie viel Geld pro Monat dafür ausgegeben werden soll und wir bekommen dann passende Bücher zugeschickt. Außerdem erstellen andere Bibliothekare Karten mit kurzen Infos, Zusammenfassungen und Feedback zu jeweils einem Buch. Das erleichtert die Auswahl.

Lesen Sie durch den Beruf mehr?

Heicks Mehr nicht, aber anders. Wenn ich ein Buch auf dem Schreibtisch liegen habe, muss ich passende Schlagworte finden. Dafür muss in das Buch rein gelesen werden – und bei manchen Büchern liest man dann eben ein bisschen mehr rein. Kürzlich war da zum Beispiel ein Sachbuch über den Buchhalter von Auschwitz. Obwohl das Thema so traurig war, war alles sehr gut geschrieben und erklärt. In dieses Buch habe ich dann eben ein bisschen mehr rein gelesen (lacht). Im Vergleich dazu, wie viele Bücher ich früher verschlungen habe, lese ich heute etwas weniger, weil mir die Zeit fehlt. Dafür habe ich Hörbücher für mich entdeckt, die kann ich gut hören, während ich noch etwas anderes mache.

Was bevorzugen Sie: Bücher oder E-Books?

Heicks Wegen des Gefühls lese ich lieber Bücher aus Papier. Für den Urlaub lade ich aber E-Books auf mein Smartphone – wenn man beim Fliegen auf das Gewicht des Koffers achten muss, kann ich den dicken Schmöker so zu Hause lassen.

Seit einigen Jahren kann man in vielen Stadtbüchereien auch E-Books leihen. Haben Bibliotheken Perspektive und wie sehen die Bibliotheken der Zukunft aus?

Heicks Ich bin sicher, dass Bibliotheken vor allem als Begegnungsort wichtig bleiben. In Amerika gibt es bereits jetzt eine Bücherei, die ausschließlich E-Books anbietet, ich glaube aber nicht, dass sich dieses Konzept alleine durchsetzt. In den Prüfungsphasen ist die Bücherei immer voll, weil man hier nicht abgelenkt wird. Die Leute, die hier täglich die Zeitung lesen, tauschen sich untereinander aus und bei unseren Kindergruppen können die Eltern miteinander in Kontakt treten. Bibliotheken sind also ein Ort, um soziale Kontakte zu knüpfen. Wir haben sogar eine Wand eingerichtet, an der Leser ihre Buchtipps aufschreiben können – andere Leute lassen sich von den Vorschlägen inspirieren. Bibliotheken werden oft als Dritter Ort bezeichnet: Neben Zuhause und Arbeitsplatz stellen sie den dritten zentralen Platz im Leben da.

Was hat sich in den letzten Jahren verändert?

Heicks Heute wird es für den Job wichtiger, sich mit Computern und sozialen Medien auszukennen. Die Bibliothekskarten mit Informationen über die Bücher, die früher handschriftlich oder mit der Schreibmaschine erstellt wurden, haben wir heute alle auf dem Computer. Bei den Kinderbüchern hat die Nachfrage fremdsprachiger Bücher stark zugenommen. Auch Kindertagesstätten leihen diese bei uns aus. Mithilfe mehrsprachiger Medien können beispielsweise Geflüchtete ihre Deutschkenntnisse aufbessern. Außerdem fällt uns auf, dass viele Eltern ihren Kindern nicht mehr vorlesen, obwohl dadurch neben dem Wortschatz auch logisches Denken gefördert wird. Bei den Vorlesestunden können sich die Zuhörer nicht mehr so gut auf die Geschichten konzentrieren und bei Besuchen aus Kindergärten melden sich weniger Kinder, die gerne lesen.

(PH)
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