Interview: Holger Schlierf Betuwe - der Ärger mit den Bahnübergängen

Wesel · Der Sprecher der Anrainer an der Betuwe-Linie erklärt heute im Verkehrsministerium, warum sich die Kommunen so schwer tun, den Weg frei zu machen für die Beseitigung der Bahnübergänge. Er hält aber einen Baustart in 2016 für möglich.

 Die Akten über den Betuwe-Ausbau füllen im Büro von Bürgermeister Holger Schlierf einen ganzen Schrank.

Die Akten über den Betuwe-Ausbau füllen im Büro von Bürgermeister Holger Schlierf einen ganzen Schrank.

Foto: Bosmann

Die Bahn überraschte in der nachrichtenarmen Ferienzeit mit der Ankündigung, dass in zwei Jahren die ersten Bagger an der Betuwe-Linie anrollen. Das sorgte bei denen, die seit Jahren im Thema sind, für großes Erstaunen. Denn es hat an der Strecke erst zwei Erörterungstermine für Rees-Haldern und Oberhausen gegeben für die laufenden Planfeststellungsverfahren, in denen zwischen Emmerich und Oberhausen gut 8000 Einwendungen eingegangen sind. Die müssen alle bewertet und beschieden werden. RP-Redakteur Bernfried Paus sprach mit Hamminkelns Bürgermeister Holger Schlierf, Sprecher der Anrainer-Kommunen, über seine aktuelle Einschätzung der Lage.

Ist es wirklich realistisch, dass 2016 mit dem Bau des dritten Gleises begonnen wird?

Schlierf Es gibt an drei kommunalen Bahnübergängen in Emmerich, Oberhausen und Rees relative Einigkeit. So kann es hier, wenn die Eisenbahnkreuzungsvereinbarungen, die die Finanzierung zwischen Bund, Land, Bahn und Kommunen nicht zufriedenstellend regeln, unterschrieben werden, in zwei Jahren konkretes Baurecht geben und in 2016/17 begonnen werden. Hier geht es aber noch nicht um den Bau des dritten Gleises, sondern nur um den Ersatz der Übergänge. Davon sollen an der Strecke 46 beseitigt werden, und da knirscht es insgesamt noch ganz erheblich im Gebälk. 2016 kann darüber hinaus aus meiner Sicht in Oberhausen auf einem Teilstück mit dem dritten Gleis der Ausbaustrecke begonnen werden, 2017 auf Reeser Gebiet.

Nimmt der Druck, die Übergänge zu beseitigen, nicht zu?

Schlierf Auf jeden Fall. Momentan zeigen unsere eigenen Messungen zwar noch nicht, dass der Zugverkehr zugenommen hat. Doch die Prognosen der Bahn sind eindeutig. Es geht nach oben. Aber von Blockverdichtung (Hochfahren der Strecke bis an die Kapazitätsgrenze, Anm. der Redaktion), wie manche behaupten, kann noch nicht gesprochen werden.

Die Städte zögern trotzdem erheblich, die Vereinbarungen zur Beseitigung der Übergänge zu unterzeichnen.

Schlierf Das ist richtig. Grundsätzlich sind auch wir daran interessiert, dass die schienengleichen Übergänge verschwinden. Denn die Bahn will schon bald deutlich mehr Züge auf die Strecke bringen. Das heißt, dass Autofahrer deutlich länger vor der geschlossenen Schranke stehen, wenn sich nichts tut. Doch es gibt noch verdammt dicke Brocken, die aus dem Weg zu räumen sind, um uns auf die Vereinbarungen einlassen zu können. Auch wenn sich die Bahn schon über unsere Zurückhaltung beklagt, da müssen noch viele Dinge geklärt werden.

Wo liegen die Probleme? Das Land hat doch die Übernahme des kommunalen Kosten-Drittels zu 100 Prozent zugesichert.

Schlierf Das ist eine politische Zusage, die lange Zeit nirgendwo verbrieft war. Das ist jetzt klar. Aber Landesregierung, Bezirksregierung und Kommunen müssen mit der DB klären, wie das Ganze abgewickelt wird. Vor allem müssen die Eisenbahnkreuzungsverträge zu einem Zeitpunkt unterschrieben werden, in dem die Kosten noch nicht ermittelt sind. Da kann ein Bürgermeister schnell mal die "Katze im Sack" kaufen. Das will keiner. Auch wollen die Kommunen nicht über Jahre Eigenanteile vorfinanzieren. Das bedeutet beispielsweise für Emmerich, dass die Stadt knapp 40 Millionen Euro bereitstellen müsste. Dieser Betrag muss dann zur Förderung beim Land angemeldet werden, ohne genau zu wissen, wann die Kosten tatsächlich erstattet werden. Hamminkeln wäre mit rund fünf Millionen dabei. Wie soll das gehen? Das wäre wirtschaftlicher Ruin. Damit kann kein Kämmerer der Welt einen genehmigungsfähigen Haushalt aufstellen. Wir klären gerade ab, wie man das im Rahmen der Vorschriften hinkriegen kann. Ich habe den Eindruck, dass alle Beteiligten guten Willens sind. Es ist einfach in der Sache schwierig.

Noch im April hat der Landtagsabgeordnete Norbert Meesters (SPD) erklärt, dass die kommunale Vorfinanzierung ausgeschlossen sei.

Schlierf Das habe ich auch gelesen. Ich habe heute einen Termin im Düsseldorfer Verkehrsministerium, an dem auch die Bezirksregierung teilnimmt. Vielleicht sind wir danach ein wenig klüger und wissen, wie das Verfahren ablaufen kann, ohne die kommunalen Haushalte zu sprengen. Herr Meesters hat uns im Hintergrund sicher unterstützt.

Was macht die Sache, abgesehen von der Abwicklung, so schwierig?

Schlierf Nehmen wir die Zusage des Landes, 100 Prozent unseres Anteils zu übernehmen. Was sind denn 100 Prozent? Sind das die Kosten für den Standard der Bahn, die sich extrem an der Wirtschaftlichkeit ausrichtet und sich, wie sich bei der Erörterung in Haldern gezeigt hat, nur minimal bewegt. Die Bahn hat alles, was an Verbesserungen gefordert wurde, mit Erfolg abgeblockt. Da hat man gesehen, wohin die Reise gehen soll.

Was lässt das für die Kommunen erwarten?

Schlierf Ich fürchte, dass alles, was die Kommunen an Wünschen haben wie städtebauverträgliche Lösungen beim Lärmschutz oder einen bürgerfreundlichen Ausbau eines Bahnhofs etwa, am Ende zu ihren Lasten gerechnet wird. Der Standard entscheidet sich erst mit dem Planfeststellungsbeschluss.

Die Zusage der Kostenübernahme durch das Land steht unter dem Vorbehalt, dass die Städte im Konsens mit der Bahn marschieren.

Schlierf Das macht unsere Position nicht gerade leichter. Wir laufen letztlich Gefahr, gar kein Geld zu kriegen und trotzdem kaum etwas von unseren Vorstellungen erfüllt zu bekommen. Andererseits stehen Klagen als letzter Ausweg im Raum.

Hamminkeln steuert in Mehrhoog, wo die Stadt die Troglage will, auf Konfrontationskurs.

Schlierf Die politische Forderung steht. Wenn wir uns beim Planfeststellungsbeschluss eine Abfuhr einhandeln, muss neu abgewogen und politisch entschieden werden, ob wir unsere Forderung auf dem Klageweg durchsetzen wollen. Dann gehen wir neben dem allgemeinen Prozessrisiko natürlich das Risiko ein, die volle Landesförderung und auch Klage zu verlieren. Und die Züge fahren trotzdem . . .

Wie steht's um das Thema Sicherheit auf der Strecke?

Schlierf Hier ging's im Projektbeirat nach zwei Schritten vor zuletzt wieder drei zurück. Eigentlich hatte man sich mit den Feuerwehren und der Bahn auf ein 40 Millionen Euro schweres Paket verständigt, das von allen akzeptiert wurde. Dann hat die Bahn plötzlich neue Detailforderungen gestellt, die das Ganze infrage stellen. Nun wird eine Untergruppe gebildet, die Lösungen erarbeiten soll.

Wo steht die Konfliktlinie?

Schlierf Die Feuerwehren haben für jeden Streckenabschnitt ein sehr differenziertes, passgenaues Sicherheitskonzept erarbeitet. Die Bahn zieht sich auf allgemeine Richtlinien zurück und verweist auf rechnerische Wahrscheinlichkeiten eines Gefahrgutunfalls, der danach praktisch gar nicht passieren kann. Die Feuerwehren sind dagegen der Auffassung, dass nach den Vorstellungen der Bahn die Sicherheit nicht aufrecht zu erhalten ist.

(RP)
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