Wesel Beichtstuhl Internet
Wesel · Bundesweit plaudern Jugendliche ihre Geheimnisse im sozialen Netzwerk Instagram aus. Anonym, sortiert nach den Namen ihrer Schulen. Vielfach wissen die Schulleiter davon nichts - auch in Wesel.
Im Bild- und Video-Online-Portal Instagram kursiert ein Trend: Mit sogenannten Beichtstuhl-Profilen verraten Schüler, was sie Schlimmes angestellt haben, wen sie toll oder weniger toll finden. Aber nicht mit vollem Namen, sondern anonym. Die Einträge werden von anderen Nutzern geklickt und kommentiert. Auf dem Profil "deinbeichtstuhl", das man sich wie eine virtuelle Pinnwand vorstellen muss, befinden sich beispielsweise 11.000 Beiträge. Viele davon gehen unter die Gürtellinie.
Für fast alle weiterführenden Schulen bundesweit gibt es solche Profile - auch in Wesel. Der "Beichtstuhl" der Martini-Hauptschule beispielsweise hat 15 Beiträge, der des Konrad-Duden-Gymnasiums (KDG) 25 und der Gesamtschule am Lauerhaas 140. Die meisten Einträge erscheinen harmlos: Eine Schülerin offenbart, eine Toilettentür zerstört zu haben. Manche Beiträge haben es in sich: Eine 16-jährige KDG-Schülerin gesteht, dass sie "sehr oft auf Drogen am Unterricht teilgenommen" habe. Und ein 16-Jähriger schreibt: "Ich beichte, dass ich im Monat zwischen 2500 bis 3500 Euro (steuerfrei) durch das Verkaufen von Cheats (Tricks, Anm. d. Redaktion) für Computerspiele verdiene."
Hinter den Seiten stehen nicht die Schulen selbst, sondern vermutlich Schüler, die mit wenigen Klicks ein Instagram-Profil erstellen. Der Gründer des Profils erhält die "Beichten" per Privatmail und veröffentlicht sie anonymisiert. Zwar bleibt der Name der "Beichtenden" unerkannt, aber alle, die mit Gefällt-mir-Klicks und Kommentaren auf die Beichte reagieren, tun das unter ihrem Nutzernamen.
Ulrich Leistner, Medienbeauftragter für den Kreis Wesel, hält den Trend für bedenklich, aber auch für ein Phänomen der Zeit: "In der heutigen Gesellschaft sind wir es eben gewohnt, dass Informationen überall zur Verfügung stehen und bewertet werden."
Beunruhigend findet er die Altersklasse der Nutzer. Fast alle "Beicht"-Einträge stammen von Elf- bis 16-Jährigen. Grundsätzlich, sagt Leistner, seien viele Kinder schon im Alter von neun oder zehn Jahren in diversen sozialen Medien aktiv. "Nur bei Whatsapp gibt es eine theoretische Altersbegrenzung ab 13 Jahren, die mit falschem Geburtsdatum einfach umgangen werden kann", sagt er. Statistiken zufolge nehme die Mediennutzung von Schülern außerhalb der Schule täglich fünf bis sechs Stunden in Anspruch. "Medienbildung sollte deswegen Pflichtfach an den Schulen sein", sagt Leistner.
Dirk Timmermann, Leiter der Gesamtschule am Lauerhaas, hat von den "Beichtstühlen" noch nichts gehört. Er verweist auf ein Maßnahmen-Paket zur Medienerziehung, das an seiner Schule die Klassen fünf bis sieben begleite. Dafür gebe es positive Resonanz. Den "Beichtstuhl"-Trend hält er für ein vorübergehendes Phänomen, wie das Portal "Spickmich", auf dem Schüler ihre Lehrer bewerten konnten und das 2014 eingestellt wurde. Timmermann vertraut auf das Beratungsnetz an seiner Schule: "Zu mir sickert nur durch, wofür das Medienteam keine Lösung findet." Bei den "Beichtstühlen" sei das nicht der Fall. KDG-Leiterin Karen Schneider geht noch weiter. Sie legt Wert darauf, dass Mobbing im Netz "unsere Schule noch nicht erreicht hat". Das Gymnasium sei durch ein strenges Handy-Verbot wie eine "Käseglocke". Für Streits, die aus den sozialen Medien in die Schule getragen werden, sei eine Sozialarbeiterin vor Ort. Grundsätzlich hält sie Eltern und Lehrer für die Thematik ausreichend sensibilisiert.
Leistner rät Schulen, sich mit aktuellen Trends wie den "Beichtstühlen" konkret auseinanderzusetzen, anstatt den Umgang mit den Medien nur theoretisch zu diskutieren. "Es ist wichtig, Vertrauen aufzubauen, weil die Kinder sich ihren Lehrern sonst nicht öffnen", sagt er. Er hält es für wichtig, wenn sich Schüler erst einmal untereinander austauschen. Wie im Projekt "Medienscouts" der Landesanstalt für Medien, das Schüler zu Medien-Mentoren ausbilden lässt. Mehr als 560 Schulen in NRW nehmen an dem Projekt teil. Das KDG und die Weseler Gesamtschule gehören dazu.
Instagram ließ in einer Mitteilung an die Redaktion verlauten, das Portal verfüge über eine "gut funktionierende Infrastruktur, um unerwünschte Beiträge zu melden", die gegen die Gemeinschaftsrichtlinien verstoßen. Nutzer müssten mindestens 13 Jahre alt sein, um ein Konto auf Instagram erstellen zu können. Und andere Nutzer können Konten von Nutzern, die mutmaßlich unter 13 Jahren alt sind, bei Instagram melden. Diese sollen nach Angaben des Unternehmens nach einer Prüfung gegebenenfalls gelöscht werden.