Serie Ausbildungsinitiative Kreis Wesel, präsentiert von Altana (Folge 6) Die häufig unterschätzten Macher

Kreis Wesel · Eine Ausbildung im Handwerk ist oft nicht erste Wahl. „Ein Fehler“, sagt Kreishandwerksmeister Günter Bode.

 Im handwerklichen Bildungszentrum an der Repelener Straße in Moers lernen Lehrlinge der Fachrichtung Sanitär-Heizung-Klima unter anderem das Autogenschweißen.

Im handwerklichen Bildungszentrum an der Repelener Straße in Moers lernen Lehrlinge der Fachrichtung Sanitär-Heizung-Klima unter anderem das Autogenschweißen.

Foto: Arnulf Stoffel (ast)

Ein VW Käfer fuhr vor 50 Jahren mit 40 elektrischen Schaltungen über niederrheinische Landstraßen. Ein heutiger VW Golf, Standardmodell ohne kostspielige Extras, bringt es auf rund 3000 elektronische Bau-Elemente. Der Sanitärhandwerker – von böswilligen Zeitgenossen gerne mal als „Experte für Gas, Wasser, Sch…“ bezeichnet – stellt eine moderne Heiztherme mittlerweile per Laptop ein. Diese zwei Beispiele zeigen: Mögen andere über Industrie 4.0 reden – das moderne Handwerk ist in vielen Bereichen längst digital. Doch für das Image der vielen tausend Betriebe, die ausbilden, integrieren und Familieneinkommen sichern, hat das alles nichts getan. „Leider gilt eine Ausbildung im Handwerk nach wie vor bei nicht wenigen Menschen als nicht erstrebenswert“, sagt Kreishandwerksmeister Günter Bode.

Das hat gravierende Folgen. Zwar bildet die Handwerkerschaft im Kreis Wesel derzeit 2197 junge Menschen – verteilt auf drei Lehrjahre – aus. Doch um den vorhersehbaren Facharbeitermangel in den kleinen Betrieben auszugleichen, ist das viel zu wenig. Man habe Probleme, junge Menschen für eine Ausbildung im Handwerk zu begeistern. Und es fänden sich immer weniger Meister, die bereit sind, einen etablierten Handwerksbetrieb – samt Räumen, Werkzeugen und Maschinen, Mitarbeitern und einem über Jahre gewachsenen Kundenstamm – zu übernehmen, sagt Ulrich Kruchen, Leiter des Kreisausbildungszentrums des Handwerks in Moers.

Am liebsten würden die beiden Handwerks-Experten mit ihrem Geschäftsführer Holger Benninghoff einen Schalter in den Köpfen der Menschen umlegen. Wenn es den denn bloß gäbe. „Das schönste an den Handwerksberufen ist, dass man am Ende des Tages sieht, was man mit seinen Händen, seiner Kreativität und all seiner Erfahrung  geschaffen hat“, schwärmt Kreishandwerksmeister Bode. Er hat nie damit gehadert, eigentlich keine freie Berufswahl gehabt zu haben. Sein Großvater war Maler und Anstreicher, sein Vater war Maler- und Anstreicher – und sehr früh war klar: Der Junge übernimmt später mal den Betrieb.

Das ist die bodenständige Komponente des Handwerks. Sie vermittelt Sicherheit, ist aber vielleicht auch ein Teil des Problems. „Viele Eltern glauben, dass sich ihre Mädchen und Jungen in eine Sackgasse begeben, wenn sie eine Ausbildung bei einem Handwerksmeister antreten“, hat Geschäftsführer Benninghoff in Gesprächen auf Ausbildungsbörsen und in Schulklassen festgestellt. Dabei ist der Gesellenbrief – mehr als manch andere Ausbildung im vermeintlich sicheren Büro – die Eintrittskarte in ein facettenreiches Berufsleben.

Ulrich Kruchen zeigt nur einige der Möglichkeiten auf, die es für die Jugend gibt: Ein gut ausgebildeter junger Mensch könne gutes Geld verdienen. Falls sie oder er das möchten, kann im Anschluss ein Meisterbrief erworben werden – was der erste Schritt in die Selbstständigkeit ist. Oder aber die Praktiker nutzen die Möglichkeit, über Gesellenbrief und Berufserfahrung ihre Ausbildung mit einem Hochschulstudium zu krönen. All diese Möglichkeiten stehen jungen Azubis im Handwerk offen, sie haben die freie Wahl, den Weg zu ergreifen, der ihren Neigungen und Wünschen am besten gerecht wird. „Das System ist extrem durchlässig geworden – und das ist gut so.“

Liegt es am Geld, dass sich immer weniger Azubis für das Handwerk interessieren? Da schütteln alle drei Herren sofort den Kopf. „Im Baugewerbe zum Beispiel verdient ein Auszubildender 770 Euro im ersten, 1560 Euro im dritten Lehrjahr“, nennt Kreishandwerksmeister Bode ein Beispiel. Dennoch müssten Bauberufe verstärkt um Nachwuchs werben. Und selbst bei den Friseuren würden laut Tarif im ersten Ausbildungsjahr 510 Euro monatlich gezahlt. „Am Geld liegt es gewiss nicht.“ Bode glaubt, dass es am immer noch nicht optimalen Image des Handwerks liegt.

Wer nach dem Abitur eine Handwerksausbildung beginne, werde in der Gesellschaft gleich schief angeguckt. Das wollten viele Eltern ihren Sprösslingen ersparen und drängten sie deshalb zur Aufnahme eines Studiums. Die hohe Abbrecherquote an den Hochschulen zeige jedoch deutlich, dass auch das keine Garantie aufs Durchstarten bedeute.

Die Experten raten, sich einen Wunschberuf auszusuchen, sich dann aber auch über Alternativen zu informieren. Viele Berufsbilder von heute seien mit denen von vor 50 Jahren nicht mehr vergleichbar. Dann geht es darum, den Arbeitsalltag im Wunschberuf kennenzulernen. „Dabei helfen Praktika“, sagt Bode. Außerdem böte sich so auch Meistern und Gesellen die Chance, Azubis von Morgen kennenzulernen. Am Ende einer solch intensiven Kennenlernphase haben sich bereits viele für einen Handwerksberuf entschieden. Aus guten Gründen.

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