Wesel Alles Handarbeit aus dem Kleinstverlag

Wesel · Rolf Thiemann liebt Lesestoff zum Anfassen. Den macht er am liebsten selbst. In irrwitzig kleinen Auflagen bringt er Bücher heraus, die nur für Familie und Freunde bestimmt sind. Immer mit Tiefgang, aber nie todernst.

 Auch eine kleine Hommage auf den verstorbenen Pianisten Paul Kuhn darf in Thiemanns Büchern nicht fehlen.

Auch eine kleine Hommage auf den verstorbenen Pianisten Paul Kuhn darf in Thiemanns Büchern nicht fehlen.

Foto: Malz, Ekkehart (ema)

Der eine sammelt Briefmarken, der andere züchtet Rosen, und Rolf Thiemann macht Bücher. Dass der deutschsprachige Literaturbetrieb davon noch nichts mitgekriegt hat, ist Absicht. Der gerade 62 Jahre alt gewordene Weseler mit Kölner Wurzeln bringt seine Bände im Kleinstverlag heraus. Nur für die Familie und für Freunde. Alles ist Handarbeit. Jede Seite wird einzeln gefaltet, mit schmaler Verstärkung versehen. Manchmal liegen Pergamentblätter dazwischen, die Zeichnungen oder Collagen schützen. Auflage: mal vier, mal 24 Exemplare. Wichtig: Man muss Buchstaben fühlen können. Denn Thiemann liebt Lesestoff zum Anfassen.

 "Fehlalarm im Nacktscanner" und "Backöfen müssten Gardinen tragen": Rolf Thiemann setzt auf Titel, die neugierig machen.

"Fehlalarm im Nacktscanner" und "Backöfen müssten Gardinen tragen": Rolf Thiemann setzt auf Titel, die neugierig machen.

Foto: Ekkehart Malz

"Wen man schon an einem Computer sitzt, dann kann man so am besten vielen eine Freude machen. Erst mal sich selber", sagt Rolf Thiemann, lacht und erzählt gleich die Geschichte von einem Rotkäppchen-Malbuch, das er samt Buntstiften seinen Weihnachtsgästen schenkte.

Viel gelernt hat Thiemann vom früheren Weseler Drucker und Lithographen Wilhelm Furthmann. Zum Beispiel den Handsatz, der schon beim ersten Buch — "Die Nixe und der Fisch" seiner Tochter Janka — 1985 zum Einsatz kam. Auf beiden Seiten eines winzigen Blatts eines Notizblocks hatte die Elfjährige eine bebilderte Kindergeschichte untergebracht. Vater Rolf kopierte die Elemente heraus und verteilte sie auf insgesamt elf Seiten.

Das war der Beginn. Frisch in Arbeit war jetzt gerade das Projekt "Mondleuchten — Mit dem Dampfzug unterwegs". Tolle Eisenbahn-Fotos von Rainer und Helmut Veit aus Wesel sind die Grundlage. Für Dr. Ulrike von Stoltzenberg hat Thiemann gerade ihr "Drachenmärchen" zwischen Buchdeckel gebracht. Doch die meisten seiner mittlerweile mehr als 50 Bücher sind in Wort und Bild von eigener Hand entstanden.

Familienerinnerungen, Reisebeobachtungen, Detailbeschreibungen, Menschenskizzen, Gesellschaftsbetrachtungen: Rolf Thiemann nähert sich vielen Themen auf ganz unterschiedliche Weise. Immer mit Tiefgang, immer offen, ohne zu werten, aber anregend, zum Weiterdenken — und nie todernst.

Titel müssen neugierig machen. Da kommen dann Werke heraus wie "Fehlalarm im Nacktscanner" oder "Backöfen müssten Gardinen tragen". Letzteres ist sein Lieblingsbuch. Vier Exemplare gab's davon mit handgeschnittenen Collagen. Der Titel ist schnell erklärt: Ein Freund verbarg seinen Herd immer unter einer Decke, damit seine Gäste nicht zu früh sahen, was er für sie gekocht hatte. Schwieriger wird es bei "ATX-101 — alternativlos", der Formel gegen Doppelkinn.

Herrlich schräg oder ganz gefühlvoll: "Maulwürfe" ist so eine kleine, dennoch ein Büchlein füllende Bildergeschichte, die Rolf Thiemanns Frau Fränzis mitgestaltet hat. Ein Jahr hat es gedauert, bis beide mit der zarten Farbgebung der Illustrationen zufrieden waren. Steht das Grundgerüst einmal, geht es vergleichsweise flott. Eine Stunde braucht Rolf Thiemann fürs rein handwerkliche Machen eines Buches.

Es ist wohl ein Familienvirus. Vater Lothar schreibt ebenfalls leidenschaftlich gern. Sohn Lennart kam 1989 mit "Früh ist nicht spät" als Zwölfjähriger auch schon zu Ehren.

(RP)
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