Wesel 70 Jahre danach hält Wesel inne

Wesel · Stadt gedenkt der Zerstörung von 1945. - RP ruft Zeitzeugen auf, ihre Geschichten zu erzählen.

16., 18. und 19. Februar 1945: Diese drei Tage haben sich ins kollektive Gedächtnis der Stadt eingebrannt. Jetzt jährt sich das Ereignis, das Wesel vollkommen verändert hat, zum 70. Mal. Die nahezu komplette Zerstörung Alt-Wesels durch die verheerenden Luftangriffe der Alliierten. Die ersten Bomben waren bereits am 2. Juni 1940 gefallen. Sie gingen an Kaldenberg, Sand-, Brück- und Ritterstraße nieder. Aber die besagten Tage im Februar 1945, knapp drei Monate vor dem Ende des Zweiten Weltkriegs, stellten alles in den Schatten, was die Stadt und ihre Bewohner bis dahin zu erleiden gehabt hatten.

401 Todesopfer unter den Zivilisten (insgesamt ist von rund 600 Toten die Rede) waren zu beklagen. Von 3280 Gebäuden blieben nur 60 unbeschädigt. Das ganze Ausmaß des Leids kann auch der damals ermittelte Zerstörungsgrad von 97 Prozent kaum wiedergeben. Nicht ohne Grund wird Wesel in einem Atemzug mit ausradierten Städten wie Dresden und Coventry genannt. Das US-amerikanische Magazin "Life" titelte damals so schrecklich wie treffend: "Wesel wurde pulverisiert". Traurige Berühmtheit erlangte eine Aufnahme der alliierten Luftaufklärer, die am 15. April 1945 in "The New York Times Magazine" zu sehen war. Bombentrichter an Bombentrichter und aus der Trümmerwüste ragen Ruinen des Jungengymnasiums am Ring (heute Amtsgericht), des Doms, der Himmelfahrt-Kirche. Das Bild muss nach finalen Zerstörungen durch Bomben und Granaten vom 23. auf den 24. März 1945 entstanden sein. Die Alliierten gingen für ihren Rheinübergang auf Nummer sicher.

Die Geschichten der großen Katastrophe füllen Bände. Vom akribischen Historiker bis hin zum persönlich betroffenen Zeitzeugen haben viele sie niedergeschrieben. In manchen Weseler Familien überleben sie mündlich. Mittlerweile über Generationen. Es sind die Geschichten von Müttern, die mit dem Nötigsten bepackt und den Kindern an den Händen in die Luftschutzkeller hasten, um dort das über ihnen tobende Inferno abzuwarten. Es sind die Geschichten von den Suchenden, die aus den Trümmern Verwandte, Nachbarn, Arbeitskollegen bergen wollen - oder wenigstens deren Überreste. Es sind ebenso die Geschichte der Trauernden, die ihre nächsten Angehörigen sowie ihr gesamtes Hab und Gut verloren haben, die Geschichten der Evakuierten, der Spätheimkehrer, der Vertriebenen und schließlich auch der Menschen, die alles aufräumen und eine neue Stadt bauen mussten.

Die Entscheidung, Wesel an Ort und Stelle neu zu errichten, fiel damals nicht leicht. Zu groß war die Zerstörung. Unter anderem die Kanalisation, die jetzt nach und nach ersetzt wird, gab den Ausschlag. Damals war das System gerade 50 Jahre alt und fast unversehrt. Jahrzehnte hat es gedauert, bis von den im Februar 1945 erlittenen Wunden im Stadtbild nichts mehr zu sehen war.

Wer dies weiß und ein Gespür entwickelt, wie viel Mühe es gekostet hat, aus dem Nichts neu zu beginnen, der sieht die gern gescholtene Nachkriegsarchitektur in einem anderen Licht. Und es zeigt, wie alles mit allem zusammenhängt.

So sind die Jahrestage der Zerstörung im Februar immer der Zeitpunkt, in Wesel innezuhalten. Die Stadt tut dies am Sonntag, 22. Februar. Bürgermeisterin Ulrike Westkamp, Pfarrer Albrecht Holthuis als Vorsitzender des Presbyteriums der Evangelischen Kirchengemeinde Wesel und Stefan Sühling als Leitender Pfarrer der Katholischen Kirchengemeinde Sankt Nikolaus Wesel laden dazu ein. Um 10 Uhr findet eine Kranzniederlegung an der Trauernden Vesalia auf dem Friedhof an der Caspar-Baur-Straße statt. Es folgt ab 11 Uhr ein ökumenischer Gottesdienst im Dom.

AUFRUF Die Rheinische Post begleitet das Gedenken mit den Erinnerungen ihrer Leser. Zeitzeugen sind aufgerufen, ihre persönliche Geschichte zu erzählen. Melden Sie sich in der Redaktion am Großen Markt 11, unter Tel. 0281 14340 per Fax unter 0281 14345 oder mailen sie an redaktion.wesel@reinische-post.de.

(RP)
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