Wesel 1915: Ganz Wesel spendet für Soldaten

Wesel · Vor 100 Jahren am Opfertag 12. September war die Kriegsbegeisterung noch groß. Mit Verdun wurde alles anders.

 Stadtarchivar Dr. Martin Roelen mit dem Buch, in das sich alle Spender eingetragen haben. 61 908,08 Mark kamen zusammen.

Stadtarchivar Dr. Martin Roelen mit dem Buch, in das sich alle Spender eingetragen haben. 61 908,08 Mark kamen zusammen.

Foto: Ekkehart Malz

Im Spätsommer 1915 ist der Erste Weltkrieg gerade mal ein Jahr alt. Die Kriegsbegeisterung im Kaiserreich ist weiter groß. Auch in der Garnisonsstadt Wesel, durch die allein im Mobilisierungsmonat August 1914 rund 300 000 Mann an die Front geschickt worden waren. In der Heimat wird gern gegeben, um Kämpfer, Verwundete und Hinterbliebene zu unterstützen. Überall gibt es Opfertage. Ein besonders großer findet, verbunden mit der Schillfeier, am 12. September 1915 in Wesel statt. Vor genau 100 Jahren.

Generalstabsmäßig wird er vorbereitet. Ganz Wesel wirkt mit. Und alles wird dokumentiert. Mehr als tausend Spender haben sich in ein Buch eingetragen, das im Stadtarchiv liegt. Zu finden sind sie samt Angabe des jeweiligen Betrags auch im Bericht von Bürgermeister Ludwig Poppelbaum (1866-1940). Der aus Wesel stammende Hamminkelner Geschichtsfreund Heinz Breuer fand ein Exemplar vor gut 25 Jahren im Haus Bovenkerk. Fasziniert hat ihn der Detailreichtum. "Die Bereitschaft war enorm. Alle Familien sind dabei", sagt Breuer. Und auch für Stadtarchivar Dr. Martin Roelen ist es ein Who's Who Wesels.

 Bürgermeister Ludwig Poppelbaum (l.) spricht am Opfertag vor dem Berliner Tor. Rechts die Flaggen Deutschlands, Österreichs und des Osmanischen Reichs

Bürgermeister Ludwig Poppelbaum (l.) spricht am Opfertag vor dem Berliner Tor. Rechts die Flaggen Deutschlands, Österreichs und des Osmanischen Reichs

Foto: Malz, Ekkehart (ema)

Ein hochrangig besetzter Ausschuss startet auf Einladung Poppelbaums die Vorbereitung. Ein Unterausschuss kümmert sich um die Sammlung von "Liebesgaben". 145 Schüler, alle benannt, führen diese schließlich aus. Weiter geht es mit 91 Verkäuferinnen von Denkmünzen, Fähnchen und Postkarten in elf Bezirken sowie zahlreichen Schülerinnen. Für die Benagelung einer Siegfried-Skulptur ist Personal ebenso nötig wie für die Organisation des musikalischen Teils. Und schließlich die Spender: Angeführt von den Inhabern der Firma Hülskens (3500 Mark) wird aufgelistet, wer was gab. Bis zur Fünf-Mark-Spende. Der Adel, hohe Militärs und Beamte, Kaufleute (darunter natürlich auch die jüdischen Familien), Fabrikanten, Handwerker, Rentner - alle sind dabei, auch viele Vereine.

61 980,08 Mark kamen am Opfertag zusammen, außerdem 13 593,50 Mark in Gold durch eine Sonderaktion zur Siegfried-Nagelung. Besonders interessant zu lesen ist die Liste der Liebesgaben. Hier ein paar Auszüge: 451 Pfund und 50 Gramm Tabak, 16 702 Zigaretten, ein Paket Zündhölzer, 208 Bleistifte, zwei Stück Rasierseife, 15 Zahnbürsten, 44 Paar Fußlappen, 129 Hosenträger, ein Pfund Honig, acht Päckchen Bahlsens Apfelsinenschnittchen und Haemoglobinspeise, 90 Pfund Schokolade, sechs Kartenspiele, 36 Papierservietten.

Die Verbundenheit Wesels mit seinen Soldaten kam nicht von ungefähr. Nachdem aus dem Handelsplatz 1614 eine Festung geworden war, lebte die Stadt zunehmend vom Militär. Kasernen wurden auf Stadtkosten gebaut und vermietet. Ab 1916 machte das Massensterben von Verdun die Sinnlosigkeit des Krieges immer deutlicher. Die Begeisterung ließ stark nach. So fallen die Nachbetrachtungen Poppelbaums im Verwaltungsbericht für 1913-1926 auch ernüchtert aus. Mit dem verlorenen Krieg hatte die Garnisonsstadt eine Haupteinnahmequelle verloren und war pleite.

(RP)
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