Wermelskirchen Zwölf unter einem Dach

Wermelskirchen · Wie in einer Großfamilie leben an der Königstraße zwölf Menschen mit Behinderung zusammen. Natürlich gibt es dort auch hin und wieder Zank. Doch allen gefällt die große Gemeinschaft.

Plötzlich kippt die Stimmung bei der Kaffeerunde in der Wohngemeinschaft der Caritas. Gerade noch haben zwölf Menschen mit Behinderung am großen Tisch über ihren Tag geplaudert, miteinander gelacht und Plätzchen gegessen.

Jetzt ist genau das kleine Gebäck Stein des Anstoßes für den Zank. Heidi Senft, mit 68 Jahren die älteste Bewohnerin, will eigentlich abnehmen. Nun hat ein Mitbewohner ihr den Teller genau vor die Nase gestellt. Eine Verlockung, der sie nur schwer widerstehen kann. Aufgeregt schimpfen die Bewohner durcheinander. Caritas-Mitarbeiter Karl-Heinz Muschik schmunzelt. "Hier geht es nicht anders zu als in jeder großen Familie", sagt er.

2004 ist die Wohngruppe entstanden. Viele der aktuell zwölf Bewohner leben dort seit Beginn an miteinander. Die offizielle Bezeichnung lautet "ambulant betreutes Wohnen". Mindestens eine Pflegeperson gibt tagsüber im Alltag Hilfestellung, nachts gilt ein Bereitschaftsdienst. Die Menschen sollen dort so selbstständig leben, wie es ihr Handicap zulässt. Das geht von der geistigen bis hin zur schwerst-mehrfachen Behinderung.

Eigene Zimmer als Rückzugsraum

Jeder hat sein eigenes Zimmer — selbstverständlich mit Schlüssel. "Wir sind in den Räumen der Bewohner Gäste", betont Muschik — und die klopfen immer vorher an. Wer möchte, bringt beim Einzug eigene Möbel mit. Denise Werner zeigt stolz ihre eigenen vier Wände. Sie ist Anfang 20 und die jüngste Bewohnerin.

Über dem Bett hängt eine Flagge von ihrem Lieblingsverein: Bayern München. Denise selbst ist ebenfalls sportlich: Auf ihrem Kleiderschrank steht der Pokal, den sie 2004 als Sportlerin des Jahres bekommen hat. Doch auch, wenn der kleine Rückzugsraum wichtig ist, die zwölf Bewohner unternehmen viel gemeinsam.

Benedikt Kötter erzählt, wie eine gewöhnliche Woche aussieht: "Montags gehen wir nach der Arbeit schwimmen, dienstags gibt es den Freizeitclub, mittwochs den offenen Treff der Lebenshilfe und donnerstags gehen einige von uns zum Sport."

Etwa einmal im Monat machen die Bewohner auch gemeinsame Ausflüge. Am Wochenende spielen die gemeinsamen Mahlzeiten eine wichtige Rolle. Angefangen beim gemütlichen Frühstück bis hin zum Kochen in der Gruppe am Abend.

Doch es ist eben nicht immer alles so harmonisch, wie es sollte. Die Aufgaben und Regeln hängen zwar am Fernsehschrank, doch hin und wieder müsse auch diskutiert werden, berichten die Bewohner.

Dafür gibt es regelmäßig Gespräche mit der ganzen Gruppe. Zudem hat jeder einen Bezugsbetreuer, mit dem er Probleme besprechen kann. Das von Heidi Senft und der Kaffeerunde ist schnell aus der Welt. Ein Betreuer glättet die Wogen. Alle können wieder gemeinsam lachen. Und Heidi Senft gönnt sich doch noch ein Plätzchen.

(RP)
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