Wermelskirchenerin in Nicaragua Der Friedensdienst endet im Bürgerkrieg

Wermelskirchen · Tina Horky suchte nach Weite und Abenteuer. Und entschied sich für den Friedensdienst in Nicaragua. Dann geriet sie in die Unruhen des Landes - und wurde ausgeflogen. 2019 will sie aber ihre Freunde wieder besuchen.

    Straßenbarrikaden und Proteste gegen den Autokraten Daniel Ortega und Polizeigewalt beherrschten den Alltag in Nicaragua, während Tina Horky dort ihren Friendensdienst absolvierte.

   Straßenbarrikaden und Proteste gegen den Autokraten Daniel Ortega und Polizeigewalt beherrschten den Alltag in Nicaragua, während Tina Horky dort ihren Friendensdienst absolvierte.

Foto: Horky

Diese Sehnsucht nach Weite und Abenteuer schlummert seit Jahren in Tina Horky. „Ich wollte weit weg, etwas Sinnvolles machen und gebraucht werden“, sagt die 18-Jährige. Und deswegen entschied sie sich nach dem Abitur für den Freiwilligen Friedensdienst der Evangelischen Landeskirche im Rheinland. Sie überzeugte im Bewerbungsverfahren und flog im August 2017 nach Nicaragua in Zentralamerika. „Ich wusste nicht viel über das Land“, sagt sie heute, „mein Spanisch war schlecht.“ Aber ihre Motivation, die sei riesig gewesen. Nach ihrer Rückkehr wollte sie Sozialpädagogik studieren, freute sich auf die Arbeit mit Kindern mit Behinderung in einer Schule in Matagala und die Wohngemeinschaft mit anderen Freiwilligen aus Deutschland.

Aber dann kam alles ganz anders: Acht Monate lebte und arbeitete Tina Horky in der kleinen Grundschule, nachmittags engagierte sie sich für eine Stiftung, die misshandelten Mädchen half. Mit ihren neuen Freunden erkundete sie die Karibik. Sie lernte, dass es nur tagsüber Wasser gab und dann auch nur eiskalt, dass Duschen nichts mit Wellness zu tun hat, Mäuse und Kakerlaken keine wirkliche Bedrohung sind, das Bohnengericht der „Nicas“ mit der Zeit seinen Reiz verliert und dass Männer in Nicaragua häufig Machos sind. „Und ich fand wirklich viele gute Freunde“, erzählt die Wermelskirchenerin.

 Einsatz in der Grundschule: Tina Horky (l.) freute sich darüber, etwas Sinnvolles tun zu können.    

Einsatz in der Grundschule: Tina Horky (l.) freute sich darüber, etwas Sinnvolles tun zu können.   

Foto: Horky

Dann rief Präsident Daniel Ortega eine Rentenreform aus – die Menschen sollten mehr Geld in die Rentenkasse zahlen, auf der anderen Seite aber weniger Rente erhalten. Der Haushalt sollte saniert werden. „Die Menschen warfen der Regierung vor, dass sie sich selbst bereichert habe und die Bevölkerung das nun ausbaden solle“, erzählt Tina Horky. Schon vorher hatte sie gespürt, dass die politische Situation in Nicaragua angespannt, die Menschen zwar patriotisch, aber zerrissen seien. Der Präsident Ortega war in Schulmaterialien stetig präsent gewesen.

 So sah es bei den Unruhen auch in der Provinz aus.

So sah es bei den Unruhen auch in der Provinz aus.

Foto: Horky

„Und Gespräche über Politik wurden nicht geführt“, sagt die 18-Jährige. Bis zum 19. April, als tausende Rentner auf die Straße gingen und erstmals von Studenten unterstützt wurden. „Die Proteste waren für uns weit weg“, erzählt sie. Bis zu jenem Abend als Tina Horky aus einem Salsa-Kursus kam und wie Tausende andere auf ihrem Handy die Nachricht von den ersten Toten in der Hauptstadt Managua las. „Da wusste ich: Jetzt ändert sich alles“, sagt Tina Horky.

Reisen wurden abgesagt, die neun deutschen Freiwilligen zogen zusammen und warteten die tägliche Post der deutschen Botschaft ab: Die riet zu Hamsterkäufen, dazu, genug Bargeld in der Tasche zu haben, um kurzfristig das Land verlassen zu können. Und sie empfahl, im Haus zu bleiben, an keinen Demonstrationen teilzunehmen.

Als Ortega die Reform zurücknahm, aber am gleichen Tag Studenten ermorden ließ, da sei die Stimmung brenzlig geworden. Wochen später eskalierte die Situation. Straßensperren in Matagala, Menschen, die nur noch vermummt vor die Tür gingen, die Meldung von immer mehr Toten und großer Gewalt: Tina Horky und die anderen Freiwilligen fühlten sich bedroht, sorgten sich um ihre Freunde, schlossen sich in ihrem Haus ein und berieten über die Zukunft.

Dann ging alles ganz schnell: Dienstags habe ihre Mentorin entschieden, dass die Deutschen in Windeseile das Land verlassen müssten, fast zeitgleich kam die Aufforderung des Auswärtigen Amtes, der Freiwilligendienst sperrte Nicaragua fürs erste als Einsatzgebiet. „Zwei Tage später saßen wir im Flugzeug“, sagt Tina Horky, „wir konnten uns von niemandem verabschieden.“ Der Weg zum Flughafen habe durch Straßenbarrikaden geführt und die Erleichterung sei groß gewesen, als sie endlich im Flugzeug saßen.

Die Traurigkeit allerdings folgte auf den Fuß: „Ich flog zurück nach Deutschland, wo ich eigentlich noch gar nicht sein wollte“, sagt Tina Horky. Seitdem verfolgt sie wie gebannt die Situation in Nicaragua. „Das tut sehr weh“, sagt sie, „auch weil wir gar nicht Abschied nehmen konnten und weil Polizei und Partei so gewalttätig und grausam vorgehen.“

Im Oktober will die Wermelskirchenerin anfangen, Psychologie zu studieren. Und nächstes Jahr will sie zurückkehren nach Nicaragua. Sie hofft, dass sich das Land schnell erholt. Und dann will sie endlich in Ruhe „Auf Wiedersehen“ sagen.

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