Analyse Stadtrat ist kein Spielball für Fehden

Meinung | Wermelskirchen · Das Thema Seenotrettung und Flüchtlingspolitik ist plötzlich ein Thema in Wermelskirchen. Auslöser ist ein Satz, den Henning Rehse auf Facebook postete. Jochen Bilstein (SPD) fordert eine Rüge durch den Stadtrat. Dazu hat dieser aber kein Recht.

 Flüchtlinge auf dem Mittelmeer – kein lokalpolitisches Thema, aber diskutiert wird vor Ort trotzdem.

Flüchtlinge auf dem Mittelmeer – kein lokalpolitisches Thema, aber diskutiert wird vor Ort trotzdem.

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Mitten ins vermeintliche Sommerloch und während der Sitzungspause der Politik brach ein Streit herein, der nicht auf der kommunalpolitischen Bühne spielt, aber zu dem bundespolitischen Thema „Seenotrettung für Flüchtlinge“ eine entscheidende Frage aufwirft: Kann der Stadtrat einen Politiker für eine Aussage rügen, die viele als „fremdenfeindlich“ einstufen?

Konkret: Darf der Stadtrat Henning Rehse von der WNKUWG ((Wermelskirchener Neue Kommunalpolitik – Unabhängige Wählergemeinschaft) für seine Aussage rügen, die er auf Facebook zum Flüchtlingsthema gepostet hat? Eine Aussage, die weder im Zusammenhang mit einer kommunalpolitischen Diskussion steht, noch ein lokalpolitisches Thema aufgreift. Ohne den Inhalt zu bewerten: Nein, der Stadtrat hat dazu wohl kein Recht. Der Antrag des SPD-Fraktionsvorsitzenden Jochen Bilstein ist unzulässig. Der Rat besitzt mangels gesetzlicher Grundlage in der Gemeindeordnung Nordrhein-Westfalen kein Rügerecht, so dass zu Beginn der Ratssitzung der vorgeschlagene Tagesordnungspunkt vom Rat abgesetzt werden müsste. Das ergab eine Recherche dieser Zeitung. Zudem: Henning Rehse hat das Recht auf freie Meinungsäußerung. Es ist ein hohes Gut, eine Demokratie muss diese generell aushalten.

Ausgerechnet in einer Zeit, in der das politische Geschäft ruht, geht es um solche Grundsatzfragen. Unsere Redaktion hat ganz bewusst Zurückhaltung bei dem nicht-lokalen Thema geübt. Sie hat sich aber auch nicht zur Plattform für einen Schlagabtausch machen lassen, der sich online abspielte, nicht in Sitzungssälen und nicht im öffentlichen Gespräch.

Noch einmal: Es geht um ein bundesweites, um ein weltpolitisches Thema. Und die Redaktion wählt – nicht zuletzt im nahenden Kommunalwahlkampf – aus, wie sie berichtet. Nicht alles, was über die sozialen Medien gepostet wird, landet automatisch im Blatt. Selbst wenn sich vielen die Nackenhaare sträuben mögen bei dem Satz von Henning Rehse: „Es geht (bei dem Einsatz von Rettungsschiffen, Anmerk. der Red.) ausschließlich darum, dass bestimmte Kreise Menschen um jeden Preis nach Deutschland holen wollen, um hier und in Europa in ihrem Sinne die Zusammensetzung der Bevölkerung zu verändern.“

Es ist eine freie Meinungsäußerung, über die Außenwirkung muss sich der Autor Gedanken machen. Henning Rehse sagt, er habe die Aussage als Privatmann gepostet, nicht als Ratsmitglied, also abseits jedweder Funktionen und Gremien. Im Übrigen, was wäre denn, wenn der Stadtrat auch zu anderen Tweets und geposteten Aussagen von Mandatsträgern zu globalen Themen Stellung beziehen und Rügen erteilen sollte?

 Für Jochen Bilstein, SPD-Fraktionsvorsitzender und engagierter Ehrenamtlicher in der Flüchtlingsinitiative Wermelskirchen, ging dieser besagte Satz entschieden zu weit. Henning Rehse vertrete damit eindeutig eine der Kernthesen der identitären Bewegung, die gerade vom Bundesamt für Verfassungsschutz unter Beobachtung gestellt werde. Bilsteins Reaktion, der Antrag an den Stadtrat, Rehse zu rügen, ist aus Sicht vieler engagierter Ehrenamtlicher nachvollziehbar. Dass sie sich zu wehren versuchen, verständlich. Aber am Ende bleibt es bei einem Schlagabtausch.

Rein juristisch betrachtet, gibt es keine Handhabe, das ergab eine Anfrage bei einer Rechtsanwältin: Im Zusammenhang mit dem freien Mandat hat Henning Rehse insbesondere das Recht zu einer gegenüber der Gemeinde und ihrer Politik kritischen freien Meinungsäußerung. Außerhalb von Ratssitzungen ist seine Aussage zudem (Art. 5 Abs. 1 Satz 1 Hs. 1 GG) grundrechtlich geschützt. Dies gilt auch für den Fall, dass er seine Äußerung unter den Facebook-Namen „Henning Rehse - Freie Wähler NRW“ postete.

Es handelte sich hierbei zudem um keine Angelegenheit der örtlichen Gemeinschaft, das heißt um eine Äußerung gegenüber der Gemeinde und ihrer Politik. Die Äußerung bezieht sich nicht auf die Flüchtlingspolitik der Gemeinde, sondern auf die Flüchtlingspolitik im Allgemeinen.

Im August wird sich der Ältestenrat in nicht-öffentlicher Sitzung mit dem Antrag Bilsteins befassen – vermutlich nach genauer juristischer Prüfung der Kompetenzen des Stadtrats.

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