Tag der Inklusion Die kuriose Wirkung des Bogens

Halzenberg · Wenn Sabine Nitsche auf dem Bogenstand in Halzenberg Aufstellung nimmt und in Ruhe zielt, dann fällt die innere Unruhe von ihr ab. Dann vergisst sie für einen Augenblick ihre psychische Erkrankung und den Alltag.

 "Das macht Spaß und gibt mir Ruhe": Sabine Nitzsche fühlt sich auf der Bogenanlage in Halzenberg wohl.

"Das macht Spaß und gibt mir Ruhe": Sabine Nitzsche fühlt sich auf der Bogenanlage in Halzenberg wohl.

Foto: Theresa Demski

Manchmal wird es dunkel um Sabine Nitsche. Dann versperren ihr die Depressionen den Blick für die guten Dinge in ihrem Leben, dann geht sie so selten wie möglich vor die Tür, meidet Menschen. „Und wenn ich in den Depris hänge, dann treffe ich auch die Zielscheibe nicht“, sagt die 39-Jährige. Das sei kurios. Dann mache sie alles wie sonst auch. Sie nimmt den gleichen Bogen und die gleichen Pfeile, wählt den gleichen Platz in der Bogenhalle in Halzenberg, konzentriert sich auf ihre Atmung und die Haltung. Sie spannt den Bogen und lässt los. Aber sie trifft nicht.

„Als würde der Bogen wissen, dass mein Kopf nicht frei ist“, sagt sie. Dann wagt sie es erneut – sie stellt sich auf, konzentriert sich auf die Atmung, auf den Arm, den Bogen. Lässt los. „Und manchmal spüre ich dann, wie ich ruhig werde, wie ich runterkomme“, sagt sie. Erklären könne sie sich das nicht. Aber dieser Moment, in dem sich alles auf das Ziel konzentriert, Hände, Arme und Füße sich an ihre Aufgaben erinnern und der Bogen zielsicher durch die Halle saust: „Deswegen bin ich hier“, sagt sie. Hans-Jürgen Brehm vom Verein Alpha weiß um diese Macht des Bogenschießens. „Zwischen dem Bogen und der Zielscheibe haben Gedanken keinen Platz“, sagt er.

Diese Erfahrung machen viele Besucher, die über das Jahr auf die Bogenanlage nach Halzenberg kommen – Menschen mit und ohne psychischen Problemen, mit und ohne körperlichen Handicaps. Der Bogensport ermögliche den Menschen ein Aussteigen aus dem Gedankenkarussell. Auch deswegen hat sich das Sozialpsychiatrische Zentrum Alpha vor zehn Jahren so intensiv um den Aufbau der Anlage bemüht – die seit dem um Außenanlage und Parcours gewachsen ist und sich über steigende Zahlen der Bogenschützen freut.

„Wir arbeiten inklusiv“, sagt Hans-Jürgen Brehm. Und das bedeutet unterm Strich: Jeder ist willkommen, es werden keine Unterschiede gemacht. Das wissen die vielen Besucher, die ohne Handicaps in die Halle, auf das Außengelände und in den Parcours kommen – und das wissen Bogenschützen mit psychischen oder körperlichen Beeinträchtigungen. „Viele Menschen spüren im Alltag gar nicht mehr, wie angespannt sie sind“, sagt Brehm. Aber wenn sie dann mit dem Bogen in der Hand jede Faser ihres Körpers anspannen und wieder entspannen, dann bekämen sie das Gefühl für sich selbst zurück.

„Menschen kommen zu uns, die in ihrem Leben kein Ziel mehr vor Augen haben“, erzählt Brehm, „dann haben sie plötzlich die Zielscheibe vor sich.“ Immer wieder würde er erleben, wie diese Menschen beginnen, auch für ihr eigenes Leben wieder Ziele zu formulieren.

So ähnlich ging es auch Simone Nitsche, als sie damals von einem Freund zum Bogenschießen mitgenommen wurde. „Eigentlich habe ich da nicht dran geglaubt“, sagt sie. Und anfangs sei es auch erstmal harte Arbeit gewesen. Aber irgendwann habe sie aufgehört über jeden Schritt nachzudenken, sie habe die Abläufe verinnerlicht. Damit kam die Ruhe. „Außerdem ist es hier lustig“, sagst sie lächelnd. Die meisten Menschen, die zum Bogenstand kommen, kennt sie. Hier sei es ihr wieder möglich gewesen, neue Kontakte zu knüpfen. Inzwischen hat sie den Trainerschein gemacht, unterstützt die Projektleiter bei Aktionen an Schulen oder Projekten. Und sie erzählt den Menschen von der Kraft des Bogens.

Die erleben in der Halzenberger Halle auch immer mal wieder Menschen mit körperlichen Beeinträchtigungen – aber noch sind weder Toilette, noch Außengelände oder Parcours barrierefrei. „Das ist unser großer Traum“, sagt Brehm, „ein barrierefreier 3D-Parcours“. Alpha wolle auch Menschen im Rollstuhl die Möglichkeit geben, auf große Distanz und bewegte Ziele zu schießen.

Deswegen sucht der Verein seit zwei Jahren eine geeignete Fläche. Noch ohne Erfolg. Im Oktober allerdings gab es im Sportausschuss ein positives Signal: Der nicht mehr genutzte Sportplatz in Tente könnte als zweiter Bogen-Standort ausgebaut werden. Aber politische Entscheidungen dazu stehen allerdings noch aus.

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