In Wermelskirchen Schweigemarsch in der Innenstadt

Wermelskirchen · Zu einem Gedenken an die Reichspogromnacht vor 81 Jahren trafen sich gut 200 Teilnehmer zu einer einstündigen Veranstaltung.

 Führten den Schweigemarsch an (v.l.): Wolfgang Wendland aus der Kirchengemeinde Tente, Superintendent Hartmut Demski, Pfarrerin Almuth Conrad, Bürgermeister Rainer Bleek und Initiator Tim Philipp.

Führten den Schweigemarsch an (v.l.): Wolfgang Wendland aus der Kirchengemeinde Tente, Superintendent Hartmut Demski, Pfarrerin Almuth Conrad, Bürgermeister Rainer Bleek und Initiator Tim Philipp.

Foto: Stephan Singer

Die Zahl der vorbereiteten Liedzettel reichte nicht aus: Mit gut 200 Teilnehmern kamen mehr Bürger zum Schweigemarsch und zur Andacht im Gedenken an die Reichspogromnacht vor 81 Jahren am 9 November 1938, als die Organisatoren um Tim Philipp, Hanna Krauß und Pfarrerin Almuth Conrad erwartet hatten. Am Treffpunkt Eich 49, wo der von den Nationalsozialisten vertriebene Arzt Kurt Wohl wohnte, fand Tim Philipp eindringliche Worte angesichts der jüngsten Wahlergebnisse: „Wer sich jetzt noch fragt, wie 1933 die Nazis an die Macht kommen konnten, der läuft mit Scheuklappen herum. Wehret den Anfängen ist vorbei.“

Damit stellte sich Philipp in eine Reihe mit Michel Friedman, der bereits vor knapp zwei Jahren sagte: „Wer bei den heutigen Ereignissen noch von ‚Wehret den Anfängen‘ redet im Zusammenhang mit dem, was wir damals erlebt haben, hat überhaupt nichts begriffen.“

Kritik an Missständen dürfe niemals zu Diffamierung und Herabwürdigung führen, unterstrich Tim Philipp, der das Gedenken im November 2017 erstmals initiierte – damals absolvierte er ein Freiwilliges Soziales Jahr bei der Evangelischen Kirchengemeinde, inzwischen studiert er Evangelische Theologie in Marburg. Philipp warnte: „Es waren Menschen, die das NS-Regime schufen. Es ist passiert, also kann es wieder passieren.“ Die Gedenkveranstaltung vereine Kirche und Zivilgesellschaft, um das zu verhindern.

Bürgermeister Rainer Bleek, der den Schweigemarsch unter anderem mit Superintendent Hartmut Demski anführte, rückte klar, dass die Reichspogromnacht keine „Spontan-Aktion“, wie vielfach behauptet, gewesen sei: „Das belegen unmissverständliche Befehle, die noch heute schriftlich in den Archiven vorliegen.“ Und weiter: „Die Reichspogromnacht war der Beginn der Verfolgung der jüdischen Bevölkerung – und nicht nur der Juden.“ Die Gefahren aufgrund von Verblendung und Hass seien wieder bedrohlicher geworden, blickte er in die Gegenwart: „Wir müssen uns allen Gefahren für Freiheit und Frieden, Menschenwürde und -rechte widersetzen.“

In Gläsern vor Wind geschützt, trugen die Teilnehmer leuchtende Kerzen von der Eich über die Kölner Straße zum Markt, wo eine Andacht die einstündige Gedenkveranstaltung abschloss. Für Musik zu den Liedern „Von guten Mächten wunderbar geborgen“ und „Hineh ma tov“ sorgten Christoph Glücks (Cajon), Maic (Gitarre) und Jeanet Plaga (Gesang). Die Sprecher erinnerten an Bürger, die von den Nazis verfolgt, verhaftet, vertrieben oder ermordet wurden. „Benannt haben wir Einzelbeispiele aus Wermelskirchen, die dokumentiert sind und für Millionen Opfer stehen“, erläuterte Conrad, die in ihrem Segen sagte: „In Zeiten des Irrwahns segne uns mit Vernunft.“ Die Pfarrerin appellierte an die Teilnehmer: „Stellen sie sich fest auf beide Beine und stehen sie ein für Frieden und Mitmenschlichkeit und Barmherzigkeit hier bei uns in Wermelskirchen.“

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