Theater im Film-Eck Ein Spektakel der Poesie

Wermelskirchen · Mit dem Stück „Schöner Scheitern mit Ringelnatz“ landete der Kulturverein einen Volltreffer. Ein Stück im Film-Eck zwischen Heiterkeit und tiefer Melancholie.

 Heike Feist und Andreas Nickl während der Aufführung von „Schöner Scheitern mit Ringelnatz“

Heike Feist und Andreas Nickl während der Aufführung von „Schöner Scheitern mit Ringelnatz“

Foto: Meuter, Peter (pm)

Der Zuschauer braucht einen Augenblick. Zumindest jener, der bisher eher selten auf Ringelnatz gestoßen ist. Er braucht einen Augenblick, um zu verstehen, was auf der Bühne in rasender Geschwindigkeit geschieht, was es mit diesem Hans Bötticher auf sich hat, mit all den Dialekten und Requisiten aus Papier. Aber als er dann zu verstehen beginnt, dass Hans Bötticher sich später den Namen Joachim Ringelnatz geben wird, als er die Genialität hinter der Magnetwand erkennt, von der sich die Schauspieler mit Papierrequisiten bedienen und sie lebendig werden lassen, als er zu lauschen beginnt, da entfaltet sich der Zauber.

Heike Feist und Andreas Nickel aus Berlin erzählen im Film-Eck an der Telegrafenstraße 1 die Lebensgeschichte von Schriftsteller Joachim Ringelnatz – und das machen sie so engagiert und temperamentvoll, dass der Zuschauer manchmal nicht weiß, ob er lachen oder weinen soll: Der Titel „Schöner Scheitern mit Ringelnatz“ trägt diesen Spagat schon in seinem Namen. Heike Feist, aus deren Feder das Stück stammt, und Andreas Nickel scherzen mit dem Publikum, verwandeln sich in Stand-Up-Komiker, greifen auf, was ihnen die Zuschauer bieten.

Sie verfallen heiter in sächsischen Dialekt, flanieren durchs Publikum, sammeln Groschen und Bonbons und holen sogar zwei Zuschauer aus der ersten Reihe auf die Bühne. Die schlüpfen in die Rollen von Tucholsky und Brecht. Dann kichert das Publikum, lacht ausgelassen, freut sich über die Berliner Schnüss der Schauspielerin. Heike Feist und Andreas Nickl leihen sich die meiste Zeit ihren Text von Ringelnatz – auch mal von Heinz Erhardt oder Erich Mühsam. Und in dieser heiteren Phase schmettern sie dann gut gelaunt: „Ich bin so knallvergnügt erwacht“ oder „Aus meiner tiefsten Seele zieht, mit Nasenflügelbeben, ein ungeheurer Appetit, nach Frühstück und nach Leben“. Es ist die eine Seite des Künstlers – seine Unbeschwerte. Sie erlaubt einen Blick auf den Jungen, der in Sachsen aufwächst und sich schnell an den Grenzen des bürgerlichen Lebens stößt, der Seemann wird und Tabakhändler und schließlich Kabarettist.

Dann wieder klingt in seinen Texten, die die beiden Schauspieler auf die Bühne zaubern, so viel Melancholie und Traurigkeit mit, dass dem Zuschauer gar nichts anderes übrig bleibt, als mitzufühlen. Dann klingt Ringelnatz so: „Ich bin etwas schief ins Leben gebaut, wo mir alles rätselvoll ist und fremd“. Dann hadert er mit seiner brotlosen Kunst, mit einem harten Publikum und schließlich mit den Nazis – ohne seinen feinen Humor völlig zu verlieren.

Die Stimmung im Publikum folgt den Schauspielern, denen die Verzweiflung des Künstlers nun schon ins Gesicht geschrieben ist. Es gibt Szenenapplaus – wenn Heike Feist singend in die Rolle von Ehefrau Musch schlüpft, wenn Andreas Nickl an Klavier, Akkordeon oder Mundharmonika Melodien unter die Texte legt, wenn romantische Zeilen ihren Raum einfordern. „Mein richtiges Herz, das ist anderswärts“, dichtet Ringelnatz. Oder: „Ich habe dich so lieb! Ich würde dir ohne Bedenken, eine Kachel aus meinem Ofen schenken.“

Der Dichter stirbt mit 54 an Tuberkulose. Das Publikum leidet mit und lässt sich dann den eindrucksvollen Appell gefallen: „Lebe, lache gut! Mache deine Sache gut!“ Langer Applaus – und eine Zugabe.

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