Dialekt in Wermelskirchen Mundart begeistert die Wissenschaft

Wermelskirchen · Die Ergebnisse der Forschung zur Wermelskirchener Mundart seien spektakulär, sagt Sprachwissenschaftler Björn Köhnlein.

 Begeistert von der Mundart in Wermelskirchen: Prof. Björn Köhnlein schaltete sich zum Vortrag des Geschichtsvereins über seine Untersuchungsergebnisse digital aus Ohio zu.

Begeistert von der Mundart in Wermelskirchen: Prof. Björn Köhnlein schaltete sich zum Vortrag des Geschichtsvereins über seine Untersuchungsergebnisse digital aus Ohio zu.

Foto: Theresa Demski

Wenn in den Wermelskirchener Wohnstuben die Mundart gesprochen wird, dann wird Platt gekallt. Dann versteht einer den anderen, gemeinsame Wurzeln werden gepflegt, gemeinsame Erinnerungen lebendig. Die Wissenschaft bleibt meistens vor der Tür. Sprachwissenschaftler Prof. Björn Köhnlein allerdings wollte es genau wissen – und besuchte im vergangenen Jahr gleich mehrere Freunde der Mundart in Wermelskirchen. Er hörte genau hin, fertigte Probeaufnahmen an, nahm die Laute unter die Lupe und brachte sie schließlich in einen Zusammenhang.

Das Ergebnis seiner Untersuchung stellte er am Donnerstagabend bei einem digitalen Vortrag des Bergischen Geschichtsvereins in Wermelskirchen vor. Der Verein um Volker Ernst hatte den Sprachwissenschaftler bei seinen Untersuchungen unterstützt. 43 Zuhörer nahmen teil – um sich der Mundart aus wissenschaftlicher Perspektive zu nähern. Das Ergebnis: „Der Dialekt in Wermelskirchen ist einmalig“, befand Björn Köhnlein, die Begeisterung war dem Sprachwissenschaftler ins Gesicht geschrieben. Im Grunde sei es „spektakulär“, wie sich die Mundart in Wermelskirchen entwickelt habe, erklärte er den Zuhörern. Diese Entwicklung sei wohl bei keinem anderen Dialekt in Deutschland erkennbar.

Dabei geht es vor allem um die Effekte der zweiten Lautverschiebung: Die sorgte vor rund 1500 Jahren dafür, dass sich die Sprache von Süden her veränderte. Aus dem germanischen „bitten“ wurde im Hochdeutschen „beißen“ und „gebissen“. Während andere Sprachen wie in den Niederlanden oder in Großbritannien beim T-Laut blieben – „bite“ und „bijten“ – ersetze das Hochdeutsche den T-Laut durch ein einen S-Laut. Bis auf die Menschen in Wermelskirchen, die sich sprachwissenschaftlich durch den Verlauf der „Benrather-Linie“ im Grenzgebiet befinden. Die Mundart in Wermelskirchen erhielt im Infinitiv den T-Laut: Wer heute vom „beißen“ kallt, spricht vom „bieten“. In der Vergangenheitsform allerdings gingen die Wermelskirchener zum S-Laut über: „jebessen“. Nach einem lang gesprochenen Vokal blieb also das T, nach einem kurz gesprochenen wurde es ein S. Gleiches gilt auch für andere Laute. Das sei einzigartig, befand der Sprachwissenschaftler. „Die Mundart in Wermelskirchen verbindet sehr alte Sprachstadien mit heutigem Hochdeutsch“, sagt er, „sie funktioniert nach eigenen Regeln.“ Und das unterscheide sie systematisch von allen anderen ihm bekannten deutschen Dialekten.

In seiner Untersuchung nahm Björn Köhnlein noch eine andere Frage in den Blick: Max Hasenclever aus Zurmühle hatte im Jahre 1904 seine Dissertation mit dem Thema „Der Dialekt der Gemeinde Wermelskirchen“ vorgelegt – und dabei auch festgestellt, dass es Worte gebe, die sich ausschließlich durch einen Tonakzent unterscheiden. Die Betonung eines Wortes ändert also seine Bedeutung. Köhnlein machte sich im Gespräch mit manch einem „Plattkaller“ in Wermelskirchen auf die Suche nach diesen Akzenten. „Ich habe sie allerdings nicht gefunden“, stellte er schließlich fest, „und es konnte sich auch niemand an solche Tonakzente erinnern.“ Er gehe also davon aus, dass die Tonakzente seit 1904 ausgestorben seien. Der Akzentverlust werde in Dialekten häufig beobachtet. Sollte sich allerdings ein Wermelskirchener finden, dem entsprechende Begriffe doch noch einfielen, sei er daran sehr interessant, betonte der Sprachwissenschaftler.

Den Zuhörern ging es in der anschließenden Diskussion vor allem um eine Frage: Wie kann die Mundart doch noch gerettet werden? „Viele Ortsdialekte sind ausgelöscht worden, weil sie gegenüber dem Hochdeutschen abgewertet wurden“, fasste Köhnlein zusammen. Eltern hätten sich Sorgen gemacht, dass die Mundart den Kindern beim Lernen in der Schule in die Quere komme. „Heute wissen wir: Es gibt keine Nachteile für junge Menschen, die mit Dialekt und Hochdeutsch gleichzeitig aufwachsen. Ganz im Gegenteil“, befand der Sprachwissenschaftler. Für die Einsicht scheint es aber fast etwas zu spät zu sein. „Das einzige, was wir machen können: Wir können mit den Kinder wieder Dialekt sprechen“, ermutigte der Sprachwissenschaftler. Das gelte für den Alltag, aber auch das Angebot von entsprechenden Kursen sei möglich. Auch Schulen könnten Dialektunterricht in Arbeitsgruppen anbieten – wenn es die entsprechenden Fachleute gebe, die die Lehre übernehmen könnten. So könnte das „Plattkallen“ doch noch in die nächste Generation gerettet werden.

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