Neuer Kindergartenbedarfsplan Mehr als 100 Kita-Plätze fehlen in Wermelskirchen

Wermelskirchen · Der neue Kindergartenbedarfsplan setzt Politik und Verwaltung in Zugzwang. Vor allem in Dhünn und Hünger mangelt es an Betreuungsmöglichkeiten für Kinder.

Bewegungs-Einheiten gehören zum Kindergarten-Alltag. Nicht alle Jungen und Mädchen in Wermelskirchen werden den in absehbarer Zeit erleben dürfen.

Bewegungs-Einheiten gehören zum Kindergarten-Alltag. Nicht alle Jungen und Mädchen in Wermelskirchen werden den in absehbarer Zeit erleben dürfen.

Foto: dpa/Marijan Murat

Keine guten Nachrichten auf der Sondersitzung des Jugendhilfeausschusses: In der Stadt fehlen mehr als 100 Betreuungsplätze für Kinder unter sechs Jahren. Hintergrund zwei wesentliche Faktoren: Zum einen agieren nahezu alle Kindertagesstätten (Kita) mit Überbelegungen, zum anderen geht der neue Kindergartenbedarfsplan ab dem Kindergartenjahr 2023/24 nicht mehr von einem dreijährigen Aufenthalt der Kinder in einer Tagesstätte aus, sondern von dreieinhalb Jahren. Letzteres Vorgehen ist in anderen Kommunen ein längst praktiziertes Verfahren, in Wermelskirchen greift es erst jetzt. Diese Berechnung mit dreieinhalb Jahren Kindergartenzeit soll auf der einen Seite für einen Puffer sorgen und vor allem sicherstellen, dass Kinder nach ihrem dritten Geburtstag einen Platz erhalten. Derzeitige Praxis ist, dass beispielsweise ein Kind, das im Januar seinen dritten Geburtstag feiert, erst im folgenden August einen Kindergartenplatz erhält, wodurch eine von den Eltern selbst zu finanzierende Betreuungslücke über Monate entsteht.

Marvin Schlicht vom von der Stadt mit der Erstellung des Kindergartenbedarfplans beauftragten Büro „biregio“ richtete mahnende Worte an die Mitglieder des Jugendhilfeausschusses: „Sie müssen handeln – vor allem im U3-Bereich, aber auch im Ü3-Bereich.“ Es sei allerorts zu beobachten, dass der Bedarf an einer Betreuung für Kinder unter drei Jahren (U3) steigt. „Wermelskirchen sollte den Anspruch haben, genug Ü3-Plätze vorzuhalten und U3-Plätze im Angebot zu haben. 100 Prozent sollte der Ansatz sein. Der Anspruch sollte nicht sein, nur den Rechtsanspruch zu erfüllen.“ Denn, so unterstrich Schlicht: „Das verursacht natürlich Kosten, ist aber ein großer Standortfaktor. Und: Für viele Eltern ist es zu spät, wenn sie auf einen Kita-Platz warten müssen bis ihr Kind dreieinhalb Jahre ist.“ Die meisten Kommunen würden sogar bei der Berechnung über dreieinhalb Jahre Kindergartenzeit hinaus gehen, führte der „biregio“-Experte aus: „Da wird teils sogar mit 3,75 Jahren kalkuliert.“

Der Kindergartenbedarfsplan schreibt der Stadt Wermelskirchen für das Jahr 2033 ein Minus von 15 Ü3-Gruppen und ein Minus von fünf U3-Grupppen in die Agenda. Akut herrscht ein Kita-Problem besonders in Dhünn, wo 43 Plätze vorhanden sind, aber 100 benötigt werden. Für Dabringhausen macht „biregio“ eine fehlende U3-Gruppe aus. Für den Bereich Hünger stellt der Bedarfsplan zwei fehlende Ü3-Gruppen fest, aber eine gute Versorgung mit U3-Plätzen. „Der Stadtbereich Mitte/Ost ist im Moment gut versorgt, hier gehen wir für 2033 sogar von einem Überschuss von einer Ü3-Gruppe aus, aber auch einem Minus von sechs U3-Gruppen“, stellte Marvin Schlicht fest.

„Ab dem 1. April werden Absagen für Kindergartenplätze herausgeschickt“, kündigte Jugendamtsleiterin Barbara Frank drohendes Ungemach für die betroffenen Eltern an: „Dann kommen Rückmeldungen und werden Gespräche geführt und versucht, Lösungen zu finden.“ Erst danach könne die Verwaltung genaue Zahlen nennen. „Im Sommer fehlen in Wermelskirchen 120 Kita-Plätze. Werden die Eltern ihren Rechtsanspruch geltend machen und was kostet das?“, wollte Tim Bosbach (FDP) wissen. Barbara Frank antwortete: „Die Schadensersatzansprüche hängen vom Einkommen der Eltern ab und da gibt es eine riesige Bandbreite.“

Der Erste Beigeordnete Stefan Görnert, bei dessen Dezernat die Zuständigkeit für die Kindergartenplanung liegt, zeigte sich optimistisch: „In den vergangenen Jahren haben wir es geschafft, mit einem großen Kraftakt 200 Betreuungsplätze zu schaffen – das schaffen wir jetzt auch.“ Durch den Bedarfsplan lägen die Bedarfe nunmehr vor, es gehe jetzt um die ortsteilscharfe Maßnahmen-Umsetzung. Auf die Nachfrage von Tim Bosbach, bis wann denn diese Umsetzung erfolge, wich Stefan Görnert aus: „Da bin ich nicht bereit, darauf zu antworten.“ Die Zahlen seien sicherlich nicht sehr schön und die Kosten würden nicht unerheblich sein, konstatierte der Erste Beigeordnete: „Wir sind dabei, entsprechende Maßnahmen gedanklich zu entwickeln.“

Petra Sprenger (CDU) warb um unkonventionelle Ideen und verwies auf den Container-Kindergarten auf dem Remscheider Schützenplatz: „Wir haben lange das Problem und warum ist deshalb nicht eher etwas passiert?“ Wenig optimistisch zeigte sich Jürgen Graef, der für die Lebenshilfe im Jugendhilfeausschuss vertreten ist: „Wenn wir neun Gruppen brauchen, heißt das, dass wir drei Kindergärten neu bauen müssen. Wir reden da von finanziellen Kraftakten und nach dem Bau haben wir nicht das Personal, um die Einrichtungen zu betreiben.“ Wenn es danach ginge, müsste die Stadt die Flinte ins Korn werfen, hielt Bürgermeisterin Marion Lück entgegen: „Dazu bin ich aber nicht bereit. Wir freuen uns ja über die Eltern, die in Wermelskirchen leben wollen.“

Ulrike Schorn-Kussi (Die Grünen) unterstrich: „Ich höre heraus: Es darf kein Zeitverzug entstehen.“ Und André Frowein, für das Jugend-Café (Juca) im Jugendhilfeausschuss, fragte konkret: „Wie viele Kita-Gruppen werden in 2023 neu eröffnet?“ „Wahrscheinlich keine“ lautete die Antwort von Stefan Görnert: „Wir müssen mit den einzelnen Kita-Standorten sprechen.“

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort