Montagsinterview mit Udo Andriessen „Gespräche über den Tod finden kaum statt“

Wermelskirchen · Der Bestatter Udo Andriessen spricht über den Wandel in der Bestattungskultur und erzählt, warum sein Beruf sehr erfüllend ist.

 Udo Andriessen vom gleichnamigen Bestattungshaus an der Berliner Straße.

Udo Andriessen vom gleichnamigen Bestattungshaus an der Berliner Straße.

Foto: Moll, Jürgen (jumo)

Herr Andriessen, ist der Tod immer noch ein Tabuthema?

Udo Andriessen Ja, nach wie vor. Deswegen veranstalten wir auch im Bestattungshaus immer wieder Informationsabende rund um dieses Thema. Da wundert man sich dann, wer alles kommt – und wie viele es sind.

Woran, meinen Sie, liegt das?

Andriessen Der Mensch ist zum Sterben geboren. Da führt kein Weg drum herum. Wie lange wir haben, wissen wir nicht. Ich denke, es hängt viel damit zusammen, dass früher die Menschen mehr unter einem Dach gelebt haben und sich ausgetauscht haben. Heute werden andere Fragen gestellt: Kümmern sich die Kinder? Wo wohnen sie? Will ich ihnen nach meinem Tod zur Last fallen? Das hat nichts mehr mit Kultur zu tun, sondern nur noch daran, niemandem zur Last zu fallen. Wir sind getrieben und gehetzt in unserem Alltag. Gespräche in den Familien, in denen es um den Tod und die Beerdigung von Verwandten geht, kommen heute kaum noch vor.

Ist der Bestatter dennoch ein erfüllender Beruf?

Andriessen Viele Menschen bringen kein „Auf Wiedersehen“ über die Lippen, wenn sie bei uns waren. Wenn wir aber unsere Arbeit gut machen, dann sind sie glücklich. Der Beruf hat Vor- und Nachteile. Zum einen wird er immer am Kapital gemessen, das mit Beerdigungen zusammenhängt. Bestattungen sind weltweit ein Milliardengeschäft. Da hängen aber ganz viele andere Bereiche dran als nur der Bestatter, etwa der Steinmetz, Friedhofsgärtner, Gaststätten, Floristen und andere. Wir bekommen aber eine andere Form der Dankbarkeit von den Menschen. Sie befinden sich in einem Ausnahmeprozess, wenn ein lieber Mensch im Sterben liegt und schließlich stirbt. Wenn dann aber eine schöne Trauerfeier war, ist die Dankbarkeit eine ganz andere. Man spricht auch miteinander, wenn man sich auf der Straße trifft. Und wir hören auch von Dritten über die Bestattung. Wenn da Positives kommt, dann ist das schon sehr erfüllend.

Plagen Ihren Beruf Nachwuchssorgen?

Andriessen Nein, gar nicht. Wir haben eine sehr gute Anzahl von Ausbildungsanfragen. Derzeit ist ein Ausbildungsplatz belegt, ein junger Mann hat seine Ausbildung mit Auszeichnung bestanden und ist auch schon übernommen worden. Im kommenden Jahr werden wir eine junge Frau als Auszubildende einstellen, die bereits drei Praktika bei uns gemacht hat. Sie wollte schon vorher anfangen, ich habe ihr aber gesagt: Mach erst dein Abi, denn das kann ich dir nicht geben. Ich habe ihr eine Ausbildungsplatzzusage nach der Schule gegeben. Ich führe meine Azubis lieber ordentlich an den Beruf, Quereinsteiger, die nicht so viel wissen, gibt es genug.

Sie haben 31 Jahre Berufserfahrung – hat sich die Bestattungskultur in dieser Zeit geändert?

Andriessen Sie hat sich sehr verändert. Früher wurde in der Regel mit einem Sarg erdbestattet. Ein wichtiger Punkt ist, dass die Menschen älter werden. Früher wurden die Menschen 70 oder 75 Jahre, die Kinder waren entsprechend 40, 45 Jahre. Wenn man denen gesagt hat, sie müssten für 25 Jahre ein Grab pflegen, haben die gesagt: Ja, klar. Ein Beispiel von heute: Mein Opa wird demnächst 100 Jahre, die Kinder sind in den 70ern. Die können natürlich ein Grab nicht auf Jahrzehnte pflegen. Also gibt man es in Pflege, was natürlich viel Geld kostet. Das hat sich schon sehr gewandelt.

Gibt es also Tendenzen zu einer bestimmten Bestattungsart oder hält es sich die Waage?

Andriessen Ja, und auch die haben sich komplett gedreht. Früher waren es etwa 90 Prozent Erdbestattung, heute sind es 80 bis 85 Prozent Feuerbestattung. Die Tendenz geht daher auch zu kleinen und pflegefreien Gräbern hin - damit man den Kindern nicht zu sehr zur Last fällt. Die Menschen haben nach wie vor den Wunsch, ordentlich bestattet zu werden. Manche haben das Kapital dazu nicht, daher gibt es entsprechende finanzielle Absicherungen. Die kann sich aber auch nicht jeder leisten, daher ist dann oft der Wunsch nach möglichst kostengünstiger Bestattung da.

Gibt es in der Bestattungskultur Trends, etwa bei der Gestaltung von Urnen oder Särgen?

Andriessen Die Gestaltung eines Sarges ist immer noch sehr traditionell. Mal gibt es Intarsien, Schnitzereien oder andere Farben, aber im Grunde ist ein Sarg immer noch ein Sarg. Bei den Urnen geht alles hin zu biologisch abbaubaren Urnen. Denn auch die Bestattungsgesetze sagen, dass alles, was im Erdreich bestattet wird, vergänglich sein muss. Das ist bei Metallurnen natürlich etwas schwierig, aber auch die sind mittlerweile abbaubar. Das Design ist was anderes: Wir haben hier drei Bücher, in denen wir den Kunden auf Anhieb 1000 verschiedene Designs zeigen können, von ganz klassisch über Fußball- und Herzform bis zur Keramikurne. Beim Thema Sarg ist übrigens noch eines zu beachten: Man hört oft den Satz – man sehe den Sarg ja nur 20 Minuten, dann ist er in der Erde. Das stimmt, aber er hat auch eine Schutzfunktion für den Leichnam. Denn wenn die Erde auf den Sarg geschaufelt ist, dann lasten auf dem Sarg runde drei Tonnen Gewicht. Und die kann ein guter Sarg aushalten.

Werden manchmal Bestattungsformen gewünscht, bei denen Sie ablehnen müssen?

Andriessen Der Wunsch kommt nach wie vor, die Urne mit nach Hause zu nehmen. Das ist aber nicht erlaubt. Dabei gibt es auch noch die Frage zu beachten: Wer hat das Recht an einem Verstorbenen? Stellen Sie sich zwei Brüder vor, deren Mutter verstorben ist. Einer nimmt die Urne mit nach Hause, die beiden Brüder bekommen Streit – und der Bruder mit der Urne verwehrt seinem Bruder den Zugang zur Mutter an deren Geburtstag. Ich befürworte daher auf jeden Fall Friedhöfe, denn jeder kann zu jeder Zeit an jedes Grab gehen. Urnen in Privatbesitz würden bedeuten, dass einer die Macht über den Verstorbenen hat – und wenn diese Macht ausgespielt wird, dann gibt es Theater.

Für wie sinnvoll erachten Sie eine Bestattungsvorsorge?

Andriessen Das ist sehr sinnvoll, denn es steht schon im Grundgesetz: Der Wille des Menschen ist unantastbar. Aber was ist denn dieser Wille? Wenn jemand zu Lebzeiten nichts festgelegt hat, dann muss er oder sie erdbestattet werden. Man sollte es aber auch nicht übertreiben. Die Bestattungsart ist der Wille des Verstorbenen. Die Art der Trauerfeier ist aber für die Angehörigen eine Möglichkeit, der Trauer Raum zu geben. Das ist die Gefahr einer zu weitreichenden Bestattungsvorsorge, über die man sich klar sein sollte.

Haben Sie in der dunklen Jahreszeit eigentlich mehr zu tun als im Sommer?

Andriessen Ja, das ist zumindest in der Tendenz so. In meiner Zeit als Bestatter in Wermelskirchen war der Februar des Vorjahres der Monat mit den meisten Trauerfällen. Aber sonst gilt: Wenn das Laub von den Blättern fällt, dann steigen die Todesfälle.

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