Aufruf in Wermelskirchen Das Kreuz setzen – „für Europa“

Wermelskirchen · Friedel Burghoff weiß noch genau, wie es in einem Europa ohne EU zuging. Er erinnert sich an Stimmungsmache, Krieg und Feindschaft – und wie daraus trotzdem eine europäische Gemeinschaft wurde. Daher sein Appell für Sonntag: Wählen gehen!

 Friedel Burghoff steht in seinem Garten in Dhünn. Der 86-Jährige ruft zum Wählen für ein geeintes Europa auf.

Friedel Burghoff steht in seinem Garten in Dhünn. Der 86-Jährige ruft zum Wählen für ein geeintes Europa auf.

Foto: Moll, Jürgen (jumo)

Friedel Burghoff sitzt in seinem Wohnzimmer in Dhünn. Der 86-Jährige trägt einen grauen Anzug, das weiße Haar ist leicht zur Seite gekämmt. Er sitzt in einem Sessel, beugt sich vor zum Wohnzimmertisch und tunkt den Bergischen Zwieback in die Kaffeetasse aus rot-weißem Porzellan. Es ist Mai 2019 und Friedel Burghoff geht es in diesem Moment gut. Doch er erinnert sich auch an ganz andere Zeiten. An Zeiten, die weder er, noch die folgenden Generationen in Europa je wieder erleben sollen. Und deshalb wünscht sich Burghoff für die Wahl am Sonntag vor allem eines: „dass möglichst viele Menschen ihr Kreuz setzen – für Europa“.

„Ich war 28 Tage alt, als die Diktatur begann“, sagt Friedel Burghoff, der 1933 geboren wurde. Daran erinnern kann er sich freilich nicht mehr. Welchen Schrecken der Zweite Weltkrieg in der Folge mit sich brachte, weiß der heute 86-Jährige aber sehr wohl noch. Er erinnert sich, wie ein britischer Pilot nach der Notlandung in Wermelskirchen erschossen wurde, weil man keine Arbeit mit ihm haben wollte. Er erinnert sich, wie er und die anderen Kinder in der Schule darauf getrimmt wurden, dass Nicht-Deutsche weniger wert sind – Franzosen zählten für manche nicht mal als Menschen. Er erinnert sich, wie der Glaube im Dritten Reich hintangestellt wurde – oder wie es in der Schule hieß: „Wir brauchen kein Vater Unser mehr, wir haben jetzt die Ukraine.“ Und er erinnert sich an das Dröhnen der Flieger, das Explodieren der Bomben, verschleppte Kinder und Kriegsgefangene.

„Das alles habe ich vor meinen Kinderaugen gesehen“, sagt Burghoff. Bei Kriegsende war er zwölf Jahre alt. „Die Generationen nach mir haben das ja alles nicht erlebt. Das waren ganz schlimme Zeiten“, sagt Burghoff im Rückblick. „Und weil ich die so in Erinnerung habe, bin ich heute ein großer Verfechter von Europa.“

Auch, weil er gesehen hat, wie aus Feinden wieder Freunde werden können. Denn etwa die Niederlande oder Frankreich waren nach den zahlreichen Kriegsverbrechen zunächst gar nicht gut auf Deutschland zu sprechen. Umso mehr freute es ihn, als Charles de Gaulle und Konrad Adenauer im Jahr 1963 den Élysée-Vertrag zwischen Frankreich und Deutschland unterzeichneten. „Da sind mir die Freudentränen gekommen“, sagt Burghoff. Und so engagierte er sich fortan selbst in der Politik und für das europäische Miteinander. Als die Schulpartnerschaft zwischen den Gymnasien in Wermelskirchen und Loches ins Leben gerufen wurde, war Burghoff Elternvertreter in der Realschule. Sein erfreuter Kommentar damals: „Wenn die Kinder sich vertragen, die Eltern sich nicht schlagen.“

Mehr Einigkeit ist etwas, das sich Burghoff auch für das heutige Europa wieder wünschen würde. Denn nachdem er erlebt hat, wie sich immer mehr Länder zur Europäischen Union zusammenschlossen, muss er jetzt mitansehen, wie diese infrage gestellt wird. „Es tut mir weh, dass Großbritannien durch den Brexit ausscheiden will.“ Burghoff wünscht sich, dass die 28 Staaten – lieber noch ein paar mehr – wieder zueinander finden. „Die menschliche Seite des Zusammenlebens über Grenzen hinweg ist für mich wichtig“, sagt Burghoff.

Deswegen liegt es ihm so am Herzen, dass sich am Sonntag bei der Europawahl möglichst viele Menschen beteiligen. „Wir dürfen nicht den Radikalen, egal von welcher Seite, Europa überlassen“, sagt Burghoff. Er habe auch Nationalbewusstsein – das sei aber nicht mit den nationalistischen Tendenzen in vielen Ländern zu verwechseln. „Ich bin Deutscher, aber die Welt besteht nicht allein aus Deutschland“, sagt Burghoff. „Deshalb muss man auch versuchen, mit allen Menschen ein ordentliches Verhältnis zu haben.“ Und das funktioniere nun mal am besten als Gemeinschaft.

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Foto: RP/Ferl, Martin

Diese Gemeinschaft müsse nicht perfekt sein. Denn nach 86 Jahren weiß Burghoff, dass das ein Zustand ist, der bislang wohl nie erreicht wurde – auch nicht in der EU. „Wo Menschen handeln, menschelt es eben“, sagt Burghoff. Ihm ist klar, dass es zum Teil Unterschiede zwischen den europäischen Ländern gibt. Aber die seien nicht zu groß, um nicht gemeinsam die Schwierigkeiten in Europa zu bewältigen. „Die EU ist eine tolle Sache“, sagt Burghoff. Er hofft, dass möglichst viele Menschen das genauso sehen, und mit ihrem Kreuz am Wahl-Sonntag dazu beitragen, diese zu stärken und zu bewahren.

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