Montagsinterview Volker Lubinetzki „Fasten ist kein Selbstzweck“

Wermelskirchen · Der Pfarrer der Evangelischen Kirchengemeinde spricht über die Bedeutung des Verzichts in der Fastenzeit aus theologischer Sicht.

 Volker Lubinetzki ist Pfarrer in der Evangelischen Kirchengemeinde Wermelskirchen.

Volker Lubinetzki ist Pfarrer in der Evangelischen Kirchengemeinde Wermelskirchen.

Foto: Wolfgang Weitzdörfer

Herr Lubinetzki, fasten Sie in diesem Jahr?

Volker Lubinetzki Nein, ich selber faste nicht und habe für mich auch keine besondere Fastenpraxis in den offiziell vorgegebenen Zeiten.

Welche Bedeutung hat das Fasten in theologischer Hinsicht?

Lubinetzki Die Fastenzeit ist von ihrer Entstehung her das Einstimmen auf die Passionszeit und insofern eine Zeit der Einkehr und Buße. Im Kirchenjahr gibt es zwei Bußzeiten – vor Weihnachten die vier Adventswochen als Vorbereitung auf die Menschwerdung Christi, und vor Ostern die sieben Wochen der Passionszeit als Vorbereitung auf das Leiden und Sterben Christi. Um das ein wenig nachempfinden zu können, lädt die Passionszeit in der Tradition der „imitatio Christi“ – dem Nachempfinden des Leidens Christi – dazu ein, Verzicht zu üben und sich auf den Grund zu besinnen, warum Jesus das auf sich genommen hat. Nämlich unsere eigene Schuld. Durch Verzicht – sozusagen ein punktuelles, freiwilliges Leiden – kann man diesem Gedanken näherkommen. Das ist der eigentliche Hintergrund der Fastenzeit.

Gibt es hier Unterschiede zwischen den Konfessionen?

Lubinetzki In der Katholischen Kirche ist das insgesamt noch ein wenig präsenter als in der Evangelischen. Im Katholizismus ist ja zum Beispiel vom Karfreitag her die Tradition des Fleischverzichts am Freitag noch heute verbreitet – Fisch galt gegenüber Fleisch in früheren Zeiten als Arme-Leute-Essen. In der Evangelischen Kirche ist das Fasten in der Passionszeit in den vergangenen Jahren durch die Aktion „Sieben Wochen ohne …“ wieder etwas verstärkt in den Fokus gerückt worden und hat einen moderneren Anstrich bekommen.

Welche Form des Fastens empfehlen Sie?

Lubinetzki Wenn man den Grundgedanken, dass es darum geht, sich auf das Leiden Christi zu beziehen, ernst nimmt, dann sollte man idealerweise auf etwas verzichten, was man oft als völlig selbstverständlich hinnimmt. Das kann Essen sein. Es kann aber auch etwas sein, an das man sich so gewöhnt hat, dass man es gar nicht mehr als besonders wahrnimmt. Manche Menschen verzichten auf Facebook. Andere aufs Handy – was schon eine große Hausnummer ist. Wieder andere verzichten auf das Autofahren. Das sind alles hilfreiche Anstöße. Fasten ist übrigens auch über die christliche Tradition hinaus verbreitet. So kennt der Islam den Fastenmonat Ramadan. Fasten hilft einem, sich darauf zu besinnen, dass es nicht selbstverständlich ist, jeden Tag etwas zu essen auf dem Tisch zu haben. Es weitet den Blick hin zu dem, was wirklich zählt im Leben.

Was kann man durch Fasten in spiritueller Hinsicht für sich selbst lernen?

Lubinetzki In dem Moment, in dem meine Gedanken nicht nur etwa auf das nächste Essen gerichtet sind, bekomme ich den Kopf frei für andere Sachen. So benutzen manche Menschen die Fastenzeit auch positiv – nicht primär, um auf etwas zu verzichten, sondern um sich auf etwas zu besinnen. Hier gibt es etwa die Tradition der Passionsandachten. Das kann ein spiritueller Gewinn sein, wenn man sich mit dem Werdegang der Passionsgeschichte auseinandersetzt: Wie kam es dazu, dass Jesus angefeindet und getötet wurde, für das, was er verkündet hat? Dazu kann man auch die Parallele zum eigenen Sein ziehen – nichts im Leben ist selbstverständlich. Wenn man sich auf die Fastenzeit einlässt, kann man Zuflucht zur Vergebung nehmen. Fasten ist kein Selbstzweck. Gesundheit und Entschlackung sind schöne Nebeneffekte, aber nicht das Entscheidende.

Kann sich dadurch auch die Sicht auf die Welt ändern?

Lubinetzki Ich finde, dass das sehr schön in der Aktion „Sieben Wochen ohne …“ deutlich wird. Denn wenn ich in der Fastenzeit auf bestimmte Sachen aus dem für uns ganz normalen Alltag verzichte, mache ich mir dadurch klar, dass andere Menschen dafür schuften müssen, dass ich diese Dinge nutzen kann. Seien es die seltenen Erden im Smartphone oder die Lebensmittelvielfalt aus aller Welt in den Supermarktregalen. Vieles ist so selbstverständlich für uns geworden – durch den Verzicht kann man sich bewusst machen, dass es das aber eigentlich gar nicht ist.

Muss fasten eigentlich immer Verzicht sein?

Lubinetzki Zumindest nicht in erster Linie. Die Frage ist immer: Wo ist bei mir das Herz gefangen? Es gibt eine tiefsinnige Geschichte, die von Jesus erzählt wird. Sie handelt von einem jungen Mann, der zu ihm kam und wissen wollte, was er tun müsse, um das ewige Leben zu erlangen. Jesus sagt ihm, er solle die Gebote einhalten. Der Mann sagt, dass er das schon mache. Jesus sagt ihm dann, dass es bei ihm an einer anderen Stelle hake: „Verkauf deinen Besitz und gib den Erlös den Armen.“ An der Stelle merkt der Mann, dass er da nicht über seinen Schatten springen kann. Das heißt: Jeder Mensch hat etwas, woran sein Herz hängt. Und wenn ich dann darüber nachdenke, was das bei mir ist, hilft mir das vielleicht, an der einen oder anderen Stelle über meinen Schatten zu springen.

Sollte man alleine fasten oder sich in einer Gruppe zusammentun?

Lubinetzki Der große Unterschied zum, wie ich es mal nennen möchte, „Selbstoptimierungsfasten“ ist, dass man es eben nicht alleine macht. Es hilft, wenn man nicht alleine auf dem Weg ist. Bei der Aktion „Sieben Wochen ohne“ gibt es gutes Begleitmaterial und auch die Möglichkeit des Austauschs mit anderen; das hilft mir zu verstehen, dass ich das Fasten nicht nur zu meinem Privatvergnügen mache. Es ist eine Bestärkung und Motivation, dabei zu bleiben, wenn ich weiß, dass ich einer von vielen Menschen bin.

Sollte man auch außerhalb der Fastenzeit ab und zu fasten?

Lubinetzki Der Brauch des Fastens ist in vielen Kulturen und Religionen bekannt. Und er ist dabei immer so angelegt, dass er auch lebensdienlich ist. Kein Mensch kann nur fasten, kein Mensch kann nur feiern. Deswegen ist es gut, dass es diese festen Zeiten gibt. Der Mensch braucht Strukturen und Rhythmus im Leben. Das sieht man auch an der Schöpfungserzählung, in der Gott dem Chaos Struktur und einen Rahmen gibt. Es tut dem Menschen einfach gut, in einer geordneten Welt zu leben. Das ist übrigens auch der Grund, warum die Evangelische Kirche sich so sehr für den freien Sonntag einsetzt. Die Fastenzeit ist auch eine von Struktur geprägte Zeit, die muss man nicht extra erfinden, da kann man sich einfach so mit dranhängen.

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