Montagsinterview in Wermelskirchen „Fake News sind sehr hinderlich“

Wermelskirchen · Susanne Liebherr ist Heilpraktikerin für Psychotherapie. Sie spricht über die Angst vieler Menschen vor Corona.

 Susanne Liebherr ist Heilpraktikerin und Psychotherapeutin. Sie hat den Eindruck, dass die Corona-Krise die Menschen dazu einlädt, in ganz vielen Bereichen sehr kreativ zu werden.

Susanne Liebherr ist Heilpraktikerin und Psychotherapeutin. Sie hat den Eindruck, dass die Corona-Krise die Menschen dazu einlädt, in ganz vielen Bereichen sehr kreativ zu werden.

Foto: Moll, Jürgen (jumo)

Frau Liebherr, bereitet Ihnen das Coronavirus Sorge?

Susanne Liebherr Mir persönlich nicht, weil ich nicht zur Gefährdetengruppe gehöre. Ich mache mir aber schon Gedanken, wie es anderen Menschen geht. Da nehme ich mich zurück, da achte ich drauf, da passe ich auf.

Was ist der Unterschied zwischen Sorge und Angst?

Liebherr Ich persönlich mache mir Sorgen, ob ich mein Geschäft halten kann. Dies ist für mich nichts, was mich lähmt oder handlungsunfähig macht. Das sind berechtigte Sorgen, aus denen bestenfalls Handlungen erwachsen können. Angst wiederum gibt es in verschiedenen Abstufungen – von leichter, gesunder Angst bis zu lähmender Angst. In Gesprächen mit befreundeten Unternehmern in der Stadt habe ich aber auch gehört, dass es da für viele wirklich um die Existenz geht.

Warum macht dieses Virus vielen Menschen so große Angst?

Liebherr Mein Empfinden ist, dass wir Menschen aus unserer Gewohnheit herausgerissen werden. Es gibt Veränderungen, die sich nicht einschätzen lassen. Wir wissen nicht, was morgen ist. Dazu kommen Existenzängste vieler Menschen. Wir haben eben auch keinerlei Erfahrungswerte mit solchen Situationen gemacht – zumindest in meiner Generation. Wir mussten uns nie aus der Gesellschaft zurückziehen. Es droht ja auch eine Krankheit, die man nicht einschätzen kann. Es gibt hier keinen festen Plan. Es wird von Stunde zu Stunde neu entschieden. Das erzeugt Unsicherheit. Es erfordert viel Flexibilität, was für uns sehr schwierig ist, weil wir in der Regel aus einem durchgetakteten Alltag kommen. Das kann Ängste hervorrufen, was ich wiederum sehr menschlich finde.

Und wie kann man dieser Angst wirkungsvoll begegnen?

Liebherr Das kann man sicherlich auf unterschiedlichen Ebenen machen. Eine Möglichkeit ist, sich selbst zu hinterfragen, wie man diesen Ängsten begegnen und mit ihnen umgehen kann. Wir hier im Gesundheitszentrum haben zum Beispiel das gemeinsame Gespräch gesucht: Wie geht der andere damit um? Welche Möglichkeiten gibt es? Dann merke ich: Wenn wir das können, dann geht es mir besser. Den Rest um einen herum, kann man natürlich nur schwer beeinflussen. Wichtig ist: den Austausch – auch über Skype etwa – zu suchen, miteinander zu sprechen und nicht in der Problem-Trance gefangen bleiben. Auch Humor kann diese Lähmung auflösen, die viele Menschen empfinden. Und vielleicht gelingt auch der Blick nach vorne: Was hat diese Krise eventuell auch Gutes für die Gesellschaft?

Sind grundsätzlich ängstliche Menschen dafür auch in Krisenzeiten empfänglicher?

Liebherr Ja, denn es gibt einfach unterschiedliche Typen. Der eine empfindet die Situation als Herausforderung, krempelt die Ärmel hoch und fühlt sich mit seiner Tatkraft und Kreativität gefordert. Und auf der anderen Seite sind da Menschen, die vom Grundtyp eher ängstlich und vorsichtig sind. Die werden sich in der aktuellen Krisensituation sicherlich mehr Sorgen machen. Wobei sich jetzt insgesamt schon sehr viele Menschen berechtigte Sorgen machen.

Welche Rolle spielen Fake News in den sozialen Netzwerken hierbei?

Liebherr Fake News sind ja in der Regel eher negative Nachrichten. Und weil die Menschen ängstlich sind, verbreiten sie diese noch schneller, weil sie vielleicht andere Menschen warnen oder darauf aufmerksam machen wollen. Und somit werden Fake News sehr hinderlich. Und ich merke selbst, dass das emotional etwas mit mir macht, auch wenn ich ein Typ bin, der erst einmal alles hinterfragt. Ich kann nicht behaupten, dass ich mit meinem Verstand sagen kann, dass ich davon frei bin. Fake News, selbst wenn ich mir darüber klar bin, hinterlassen eine Spur von Unsicherheit bei mir.

Häusliche Quarantäne ist eine Extremsituation. Wie vermeidet man den „Lagerkoller“?

Liebherr Darauf gibt es nicht die eine Antwort. Jede Familie, jedes Paar muss das auf seine Weise lösen. Wichtig ist, dass man sich darüber bewusst ist, dass eine Situation kommt, die so noch nicht da war. Dass man jetzt nicht mehr ausweichen kann – sei es in den Job oder einfach ins Freie. Diese Problematik sollte man sich bewusst machen. Man sollte in den Austausch gehen – auch wenn es nicht mehr der Spielplatz oder die Kneipe sein kann, in der man sich trifft. Dafür gibt es dann Telefon, Skype, soziale Medien und so weiter. Der Austausch ist wichtig: „Kannst du mir mal für eine halbe Stunde dein Ohr leihen, ich krieg hier den Koller.“ Das kann sehr viel bewirken. Hier ist wieder die Solidarität gefragt. Helfen kann auch, sich eine neue Struktur im Unstrukturierten zu geben.

Wie kann man Kinder im Haushalt in der Quarantäne motivieren?

Liebherr Auch hier ist es wieder individuell. Vielleicht kann man es den Kindern auch als Abenteuer verkaufen. Ich habe den Eindruck, dass diese Krise uns dazu einlädt, in ganz vielen Bereichen sehr kreativ zu werden, andere Wege zu gehen, andere Gedanken zu entwickeln. Kinder kann man durchaus auf kreative Art abholen. Kinder sind vielleicht von uns allen die flexibelsten. Oft kann man sich bei ihnen sogar noch was abgucken.

Befürchtungen zu steigender häuslicher Gewalt werden laut – glauben Sie, dass das in Quarantäne zum Problem werden kann?

Liebherr Ja, das ist nicht ganz von der Hand zu weisen. Wenn man zusammen in häuslicher Quarantäne ist, kann man die an sich ganz menschliche Flucht-Tendenz nicht mehr ausleben. Wenn es sonst Situationen gibt, die man nicht gut aushalten kann, gibt es immer die Möglichkeit, aus der Situation heraus zu gehen. Das ist in der Quarantäne nicht möglich. Wenn dann etwa in Beziehungen viele ungeklärte Dinge vorhanden sind, können die in einer Situation, in der man gezwungenermaßen nahe beieinander bleiben muss, durchaus hochkochen. In einer solchen Extremsituation können verborgene Dinge zum Vorschein kommen. Das sollte man durchaus im Hinterkopf behalten und sich vielleicht auch öfters mit Dritten austauschen, etwa über Skype oder WhatsApp.

Kann die Gesellschaft aus der Corona-Krise auch etwas Positives ziehen?

Liebherr Ich würde es mir wirklich sehr wünschen. Wenn die Krise eine gewisse Zeit dauert, was ja durchaus den Anschein hat im Moment, dann kann ich mir schon vorstellen, dass auch eine Gesellschaft in ein Fahrwasser von „jetzt machen wir mal was anders!“ gerät. Angenommen, es wäre morgen vorbei, dürfte sich kaum etwas ändern, und da nehme ich mich nicht aus. Sind wir aber fünf oder sechs Wochen in dieser Situation, arrangieren wir uns vielleicht mit neuen Sichtweisen auf Gesellschaft, Solidarität, Umweltschutz und so weiter, dann könnte es durchaus sein, dass diese neue Gewohnheit bleibt. Hier ist natürlich jeder einzelne gefragt.

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