Motorradlärm in Wermelskirchen „Es gibt keine kurzfristige Problemlösung“

Wermelskirchen · Jürgen Steeger plädiert für eine differenzierte Herangehensweise an das Thema Motorradlärm. Problem seien einige wenige Gruppen.

 Jürgen Steeger ist Mitglied im Arbeitskreis Motorradlärm der Stadt Wermelskirchen. Er ist an der Deutschen Alleenstraße in Dreibäumen zu sehen, dort ist eine beliebte Motorradstrecke.

Jürgen Steeger ist Mitglied im Arbeitskreis Motorradlärm der Stadt Wermelskirchen. Er ist an der Deutschen Alleenstraße in Dreibäumen zu sehen, dort ist eine beliebte Motorradstrecke.

Foto: Wolfgang Weitzdörfer

Herr Steeger, können Sie die Faszination Motorradfahren nachvollziehen?

Jürgen Steeger Ich selbst bin kein Motorradfahrer, glaube aber schon, dass Motorradfahren faszinierend sein kann. Der bei den Anwohnern ankommende Lärm ist es sicherlich nicht. Auch ich habe gerne Easy Rider gesehen – aber nie den Wunsch verspürt, einen Highway in Arizona mit einer Fahrt auf der L101 bei Dreibäumen zu verwechseln.

Wodurch entstehen die Probleme zwischen Motorradfreunden und -gegnern hauptsächlich?

Steeger Es gibt keine generellen Probleme zwischen diesen Gruppen. Das spezielle Problem ist die Lärmentwicklung einiger Motorräder sowie bestimmte Handlungen mancher Fahrer. Das Thema könnte vollkommen irrelevant sein: Motorräder können problemlos leise gebaut – und leise gefahren werden.

Was macht es zum besonderen Aufregerthema?

Steeger Der Lärm ist gesundheitsschädlich. Herz- und Kreislaufkrankheiten werden verursacht. Außerdem enteignet er die Ortsansässigen. Wer nicht mehr draußen sitzen kann, braucht keinen Garten mehr. Wegziehen? Verkaufen? Noch nicht einmal ein Motorradfahrer würde Interesse an den Objekten zeigen. Neubauten werden noch teurer – Schallschutzmaßnahmen werden von Gutachtern dringend empfohlen. Außerdem spaltet es die Gesellschaft: hier die Ortsansässigen – dort die Tagestouristen, die außer einer Tankfüllung nichts zur lokalen Wirtschaft beitragen.

Der Bürger fragt sich: Was ist meinem Bürgermeister eigentlich lieber: seine Bürger oder diese Tagestouristen? Ist das in Zeiten von Frühling und Corona ein verstärktes Problem?

Steeger Ja. Der verantwortungsvolle Bürger hält sich an die Empfehlungen, bleibt daheim und merkt, dass Motorradfahrer alles ganz anders interpretieren. Wir im Bergischen Land beobachten dann, dass mehr Bikes als Autos unterwegs sind, und der Anteil der Problemgruppen drastisch steigt. Was aber hat die Landesregierung gegen die „geht mich alles nichts an“- Gruppe unter den Motorradfahrern angeordnet? Nichts! Die Kreispolizei im Bergischen konnte ergo nichts machen. Parallel dazu aber übt etwa die Polizei in Südwestfalen scharfe Kritik an diesem Freizeitverkehr und weist auf Krankenhausbetten hin, die im Moment sicher anders gebraucht würden. Und die Motorradfahrer-Lobby nutzt das, um darauf hinzuweisen, dass sie doch die „Rückendeckung der Politik hat“.

Wird dennoch das Gros der Motorradfahrer zu Unrecht verteufelt?

Steeger Klares Ja! Ich unterscheide drei Gruppen von Motorradfahrern. Die Entspannten: In normalen Zeiten machen sie etwa 70 bis 80 Prozent des Motorradverkehrs aus. Diese Gruppe hat nichts mit dem Lärmthema zu tun.
Die Fahrer einer US-Kultmarke:
Diese wollen Sound, also Lärm wie es der Normalbürger nennt. Sie kaufen ihrem Bike gerne direkt einen neuen Auspuff mit gutem Soundpotential. Rasen ist nicht ihr Ding, aber so ein Pulk von fünf bis sechs Harleys gibt dem Bürger trotzdem das Gefühl, auf der Flugzeug-Startbahn zu sitzen. Leider haben sie den Vorteil, dass sie wegen der jetzigen Legislative einen Persilschein vorweisen können.
Die sogenannten Knieschleifer: Eher jünger und ultimativ unterwegs, den Bürgern zu zeigen, wie viel Sound und Speed man doch rausholen kann. Generelle Einstellung: bei Bedarf sagt mein Mittelfinger doch alles. Die beiden letzteren sind die Problemgruppen.

Wie können beide Seiten unter einen Hut gebracht werden?

Steeger Es gibt nicht nur zwei Seiten in dieser Diskussion. Die konkrete Antwort auch hier: Einsicht ist bei beiden Problemgruppen nicht zu erwarten. Die Botschaft ist: Was Freisein heißt, bestimme ich. Jeder Einspruch dagegen wird abgelehnt. Da hört man oft: „Alles Spaßbremsen! Können doch wegziehen!“

Das Bergische ist besonders beliebtes Motorrad-Terrain. Wie sehr gilt das speziell für Wermelskirchen?

Steeger Das gilt für den gesamten Nordkreis, weil die wunderschöne Natur mit ihren ausgebauten Straßen ein ideales Ziel ist für die Tagestouristen aus dem Kölner Raum, Düsseldorf, dem Ruhrgebiet und auch den Niederlanden.

Wie begegnet die Stadt dieser Problematik?

Steeger Hier ein dickes Lob an die Bürgermeister in Wermelskirchen und auch Witzhelden und Leichlingen, die sich dem Problem stellen. Das heißt aber nicht, dass ein Durchbruch gelungen ist, denn kommunale Werkzeugkästen sind limitiert. Aber man kann einiges tun. Etwa fokussieren. Nicht ein gesamtes Stadtgebiet ist belastet, sondern nur die Hot Spots. Und die nur zu bestimmten Zeiten. Oder umsetzen, was andere Kommunen bereits vorleben: Für eine Verstetigung der Maximalgeschwindigkeit sorgen, Überquerungen für Fußgänger an neuralgischen Straßenpunkten einfordern oder eine 500-Meter-Zone hinter der Ortsausfahrt einrichten lassen, an der noch 50 Stundenkilometer gelten.

Wie funktioniert verantwortungsvolles Fahren?

Steeger Ersetzen Sie einfach Verantwortung durch Empathie – dann haben Sie die Antwort.

Gibt es da auch Grenzwerte und entsprechende Regelungen?

Steeger Es gibt keine kurzfristige Problemlösung. Die Motorrad-Lobby – egal ob Hersteller oder Kunden – werden derzeit wie ein Panzer durch Gesetze und deren Umsetzung von der EU geschützt. Grundsätzlich steht alles in der Antwort der Bundesregierung vom Sommer 2018 auf eine Anfrage von Bundestagsabgeordneten. Kurz zusammengefasst: Lärmgrenzwerte macht die EU, die Bundesländer setzen um, und wenn beide ihren Job machen, gibt es kein Problem. Dazu kommt: der Altbestand an Bikes – im Schnitt ist jedes zugelassene Motorrad in Deutschland über zehn Jahre alt – darf nicht angepackt werden.

Wie sieht es mit entsprechenden technischen Möglichkeiten aus – Stichwort: E-Motorrad?

Steeger Kann man sicher forcieren und hilft uns bestimmt etwas – 2040, wenn der Anteil nennenswert ist… Bis dahin erlauben Sie mir, auf die simplen Kernforderungen der betroffenen Bürger hinzuweisen, um kurzfristige Abhilfe zu schaffen: Ein Verbot von Veränderungen an Fahrzeugbauteilen, um sie lauter zu machen, des Überschreitens der Höchstgeschwindigkeit, von sinnlosem und unnötig lautem Hin- und Herfahren. Wir brauchen Klartext von Verwaltung, Polizei und Politik. Da würde ich mir auch eine Stellungnahme wünschen.

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