Heimatgeschichte in Wermelskirchen Lebendige Geschichte hinter alten Mauern

Wermelskirchen · Mit dem Abriss der Gebäude an der Remscheider Straße endet ein Kapitel Stadtgeschichte: Geschichtsvereins-Vorsitzender Volker Ernst erinnert an Gastronomie und Industrie, an menschliches Leben hinter bergischem Fachwerk.

 Die Remscheider Straße heute: Die Häuser 10 bis 14 sollen abgerissen werden.

Die Remscheider Straße heute: Die Häuser 10 bis 14 sollen abgerissen werden.

Foto: Udo Teifel

Über die unbefestigte Straße holperten die Fuhrwerke, vor der Gaststätte standen die Herren mit schwarzen Hüten und Uhren in der Brusttasche. Und wer genau hinsieht, entdeckt Kinder mit einem Karren am Straßenrand: Auf der Remscheider Straße brodelte das Leben. „In den Gebäuden steckt ein Stück Stadtgeschichte“, sagt Volker Ernst, Vorsitzendender des Bergischen Geschichtsvereins in Wermelskirchen. Wenn er im Stadtarchiv die Fotos durchsieht, dann entdeckt er immer neue Zahlen, Hinweise und Anekdoten. Mit dem geplanten Abriss der Häuser schließe sich nun ein weiteres Kapitel der Stadtgeschichte, sagt er. „Wermelskirchen verliert damit nach und nach sein Gesicht“, sagt Ernst. Und deswegen will er an all die Geschichten und Menschen erinnern, die hier ihre Spuren hinterließen, bevor sie verwischt werden.

Stadtgeschichte schrieben vor allem die Gebäude mit den Hausnummern 10, 12 und 14 an der Remscheider Straße. „Ganz am Anfang gehörten sie zu einem Komplex“, sagt Ernst und zeigt auf das alte Papier aus dem Kataster. 1831 kaufte der katholische Lehrer Johann Joseph Werner das Grundstück an der Remscheider Straße. Weit und breit gab es damals noch kein anderes Gebäude, erst ein Jahr zuvor war die neue Straße vom Markt bis zur heutigen Unterführung gebaut worden. Nur ein kleiner katholischer Friedhof hatte gegenüber einen Platz gefunden. Werner baute damals drei Häuser – in einem eröffnete die Gastwirtschaft „Werners Garten“. Und damit begründete er eine Tradition, die rund 170 Jahre später endete, als die Gaststätte Keil ihre Türen schloss.

Schon 1847 verkaufte Werner seine Gebäude wieder: Dr. Carl Leverkus nutzte einen Teil zu „Oekonomiezwecken“, belegt das Archiv. „Also als Büro“, erklärt Ernst. Ab 1860 wechselte der Inhaber dann gleich mehrfach. Zwischenzeitlich übernahm Familie Schöpp, baute an die Nummer 12 eine neue Schmiede an und vermietete es schließlich der katholischen Gemeinde: 1888 zog eine Klasse der katholischen Schule ein. „Ein Jahr zuvor war die katholische Schule an der Telegrafenstraße aufgelöst worden, 1888 nahm man sie wieder in Betrieb, aber der Platz reichte nicht mehr“, erzählt Volker Ernst. Also machte sich der Schulleiter auf die Suche nach freiem Raum – und fand ihn an der Remscheider Straße.

 Ein Stück Stadtgeschichte an der Remscheider Straße: das Restaurant zum Reichsluftschiff um 1930.

Ein Stück Stadtgeschichte an der Remscheider Straße: das Restaurant zum Reichsluftschiff um 1930.

Foto: BGV/Volker Ernst

Das neue Jahrhundert setzte dann neue Vorzeichen für den Häuserkomplex – und liefert die ersten Bilder, die sich heute im Stadtarchiv finden lassen: An der Remscheider Straße Nummer 10 eröffneten 1920 die Tabakwaren Burghoff. „Sie wurden zu einer Institution“, erzählt Renate Ernst, die sich gut an das kleine Geschäft erinnern kann. „Mein Vater ging dort ein und aus“, sagt sie und lacht. Rund 65 Jahre lang wurden hier Tabakwaren und Zeitschriften verkauft. Währenddessen übernahm zwei Häuser weiter Julius Stossberg 1910 die Gastwirtschaft und eröffnete das Restaurant „Zum Reichsluftschiff“. Die Schiefer seien dafür weiß angestrichen worden, erzählt Volker Ernst und deutet auf ein altes Foto, Schriftzug und Luftschiffabbildung fanden auf der Fassade einen Platz. 20 Jahre später übernahm Wilhelm Neuhaus die Gaststätte, 1960 dann Wilhelm Keil. Und wer die Bilder aus den 1960er Jahren genau unter die Lupe nimmt, findet auf den schwarzen Schiefern noch die weiße Farbe der Vorgänger. „Und auch die Gaststätte Keil wurde zur Institution“, erinnert Volker Ernst. Mehr als 40 Jahre lang feierten die Wermelskirchener hier Matinee und Karneval, im Hinterzimmer trafen sich Vereine und Stammtische.

 Die Remscheider Straße um 1910

Die Remscheider Straße um 1910

Foto: BGV/Volker Ernst
 Das Gesellschaftszimmer in der Gaststätte Wilhelm Neuhaus um1930

Das Gesellschaftszimmer in der Gaststätte Wilhelm Neuhaus um1930

Foto: BGV/Volker Ernst

Nur ein paar Meter weiter fanden die Besucher bei Bedarf ein warmes Bett: Der Bitburger Hof habe lange unter dem Namen „Hotel zum Stadtwald“ firmiert. Auch diese Schriftzeilen seien noch viele Jahre nach der Schließung lesbar gewesen. Geselligkeit und Feste, ein Bierchen zum Feierabend und ein Stammtisch unter Sportlern: Auch im Bitburger Hof sei Wermelskirchener Stadtgeschichte geschrieben worden, erinnert Ernst. Der Abbruch der Häuser, auf den im nächsten Jahr Neubauten folgen sollen (wir berichteten), lasse ihn nicht unberührt, sagt Volker Ernst. Zumal damit auch ein weiteres, wenn nicht womöglich das letzte Gebäude abgerissen werde, dass der Ehrenbürger Leverkus genutzt habe. „Uns bleibt die Erinnerung“, sagt Ernst und blättert die wertvollen Fotos aus vergangenen Zeiten durch.

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