Forsa-Umfrage ergibt Viele trauen sich Erste Hilfe nicht zu

Wermelskirchen · Nicht wenige Deutsche haben Angst, lebensrettende Maßnahmen anzuwenden. Sollten Erste-Hilfe-Kurse Pflicht für alle sein? Johanniter und DRK finden: Freiwilliges Helfen ist besser.

 Bei der stabilen Seitenlage darauf achten, dass der Mund geöffnet bleibt.

Bei der stabilen Seitenlage darauf achten, dass der Mund geöffnet bleibt.

Foto: Johanniter/Illustration: Sonja Morisse

Im Schnitt 7100 Mal im Jahr verlassen Rettungswagen die Leitstelle der Feuer- und Rettungswache in Wermelskirchen. Bei vielen dieser Einsätze zählt jede Minute: Je länger kein Blut bei einem Herzstillstand durch den Körper fließt, desto mehr Schaden nimmt das Gehirn. Umso wichtiger, dass Passanten oder Angehörige Erste Hilfe leisten. Doch eine Forsa-Umfrage im Auftrag der Johanniter Unfall-Hilfe ergab im vergangenen Jahr: 40 Prozent der Befragten trauen sich eine Wiederbelebung gar nicht zu.

Von den befragten Frauen waren es sogar knapp die Hälfte, die diese Antwort gaben. In Deutschland ist die Teilnahme an einem Erste-Hilfe-Kurs nur für Führerschein-Anwärter vorgeschrieben. Das Problem: Viele können das dort erworbene Wissen später nicht mehr erinnern. Die Björn-Steiger-Stiftung fordert, dass Kenntnisse regelmäßig aufgefrischt werden, und zwar als Erste-Hilfe-Kurs verpflichtend für alle. Die Stiftung ist zentral für die moderne deutsche Notdiensthilfe verantwortlich und hat beispielsweise die Einführung des einheitlichen Notruf unter 112 veranlasst.

 Bei Atemstillstand eine Herzmassage anwenden

Bei Atemstillstand eine Herzmassage anwenden

Foto: Johanniter/Illustration: Sonja Morisse

Das Deutsche Rote Kreuz (DRK) und die Johanniter setzen auf Freiwilligkeit. „Ich bin kein Freund von Pflichten“, sagte DRK-Bereitschaftsdienstleiter Bernd Koebke. „Man sollte sich aus eigenen Stücken zum Helfen entschließen.“ Beide Organisationen empfehlen eine Auffrischung der Kenntnisse alle zwei Jahre. „Allein schon deshalb, weil sich die weltweiten Richtlinien alle fünf Jahre ändern“, sagt Claudia Schmied-Prediger, die seit elf Jahren Erste-Hilfe-Kurse beim Johanniter-Regionalverband Rhein-/Oberberg gibt.

   Stark blutende Wunden hochlegen

Stark blutende Wunden hochlegen

Foto: Johanniter/Illustration: Sonja Morisse

Christian Klickl von der CDU Wermelskirchen sieht eine Pflicht zum Erste-Hilfe-Kurs kritisch. „Juristisch gesehen wäre das ein Eingriff in die Grundrechte“, sagt er, und schlägt hingegen vor, Anreize für eine freiwillige Teilnahme an den Kursen zu schaffen – zum Beispiel durch Steuervergünstigungen.

    So legt man einen Druckverband richtig an.

So legt man einen Druckverband richtig an.

Foto: Johanniter/Illustration: Sonja Morisse

Die weitaus meisten derjenigen, die sich eine Wiederbelebung nicht zutrauen würden, gaben an, dass sie Angst haben, etwas falsch oder gar noch schlimmer zu machen (80 Prozent). „Dabei kann man gar nichts verschlimmern“, sagt Bernd Koebke. „Intuitiv zu handeln ist meistens genau das Richtige.“ Um die Hemmungen von potenziellen Ersthelfern zu mindern, sei es eine Maßnahme der Rettungsorganisationen gewesen, die Kurse immer wieder zu überarbeiten und zu vereinfachen. In der Umfrage sagten etwa 37 Prozent derjenigen, die sich eine Wiederbelebung nicht zutrauen, sie hätten Angst vor körperlichem Kontakt wie bei der Mund-zu-Mund-Beatmung. „Wichtiger als die Zufuhr von Sauerstoff ist es, den Kreislauf wieder zum Laufen zu bringen“, sagt Koebke. In den Kursen stehe daher zunehmend die Herzmassage im Vordergrund.

   Bernd Koebke, DRK-Bereitschaftsdienstleiter

Bernd Koebke, DRK-Bereitschaftsdienstleiter

Foto: Stephan Singer (sng)/Singer, Stephan (sng)

Ähnlich sehen das die Johanniter. „Wir haben das Ausbildungskonzept um den 360-Grad-Ansatz ergänzt“, sagt Schmied-Prediger. Die Kursteilnehmer nehmen dabei jeweils die Perspektive von Rettern und von Betroffenen ein und betrachten die Unfallsituation von außen. „Wir hoffen, dadurch den Menschen die Angst vor dem Helfen zu nehmen.“ In 23 Kitas des Regionalverbands nehmen Vorschulkinder am bundesweiten Projekt „Ersthelfer von morgen“ teil und lernen spielerisch die Grundlagen kennen.

In Betrieben ist eine bestimmte Anzahl an ausgebildeten Ersthelfern Vorschrift. In den Schulen gibt es keine verpflichtende Regelung, auch eine Integration der Thematik in den Lehrplan wurde bislang nicht durchgesetzt. Am Gymnasium Wermelskirchen gibt es seit 15 Jahren eine Arbeitsgemeinschaft, in der sich die Schüler freiwillig engagieren. Das funktioniert gut, sagt AG-Leiter Andree Sohmen. „Lehrer machen eine Fortbildung bei den Rettungsgesellschaften und können dann Schüler und Lehrerkollegen ausbilden“, erklärt er. Schüler ab Klasse 7 lernen ein Jahr lang die Grundschritte der Ersten Hilfe und werden anschließend als Sanitätsdienst während der Pausen und bei Veranstaltungen der Schule eingesetzt. Rund 35 Schüler engagieren sich aktuell in der AG.

Johanniter-Ausbilderin Claudia Schmied-Prediger beobachtet auch eine positive Tendenz. „Immer mehr Menschen kommen in unsere Kurse, weil sie einen Notfall im persönlichen Umfeld erlebt haben und sich hilflos fühlten – wie etwa die Dame, die beim Herzinfarkt des Ehemannes nicht wusste, was genau sie tun sollte.“ „Nur wer gar nichts tut, handelt falsch“, sagt sie, und Koebke erinnert: „Der wichtigste Schritte zur Ersten Hilfe ist der Notruf. Nichts zu machen ist hingegen das Falscheste, was man tun kann.“

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