Beratungsstellen im Kreis kooperieren Netzwerkarbeit bei sexualisierter Gewalt

Wermelskirchen · Eine Kooperation von Katholischer Erziehungsberatung Bergisch Gladbach und Beratungsstelle Wermelskirchen gründet neue Fachberatungsstelle „MehrBlick“. Im Vorschulbereich steigen Fälle körperlicher Grenzverletzung.

 Geschäftsführer Frank Köchling und Diplom-Psychologin Barbara Feldmann von der Katholischen Erziehungsberatung Bergisch Gladbach mit Manfred Bartos, Leiter der Beratungsstelle Wermelskirchen.

Geschäftsführer Frank Köchling und Diplom-Psychologin Barbara Feldmann von der Katholischen Erziehungsberatung Bergisch Gladbach mit Manfred Bartos, Leiter der Beratungsstelle Wermelskirchen.

Foto: Laura Wagener

„Sexualisierte Gewalt ist ein immenses Thema“, sagt Manfred Bartos, Leiter der Beratungsstelle Wermelskirchen. „Wir sind da auf Netzwerkarbeit angewiesen. Das kann man nicht alleine stemmen.“ Seit Jahren werden in trauriger Regelmäßigkeit neue Missbrauchsskandale aufgedeckt – ob in der Katholischen Kirche, Lügde oder Münster. Die jüngst bekannt gewordenen Missbrauchsfälle, in deren Fokus ein Wahl-Wermelskirchener steht, zeigen: Beratungsstellen müssen ein schärferes Augenmerk auf sexualisierte Gewalt werfen.

Dass die Fachkräfte in den Kommunen alleine nicht ausreichen, wissen auch die Verantwortlichen in den Beratungsstellen. Ein Netzwerk soll nun Abhilfe schaffen: Bereits im November letzten Jahres hat sich die „Fachberatungsstelle bei sexualisierter Gewalt gegen Kinder und Jugendliche“ formiert. Unter dem einprägsameren Namen „MehrBlick“ vernetzt diese die Katholische Erziehungsberatung Bergisch Gladbach mit der Beratungsstelle in Wermelskirchen. „Die Vernetzung hat es immer schon gegeben, aber in jüngster Zeit gab es intensivere Treffen der Beratungsstellen“, sagt Bartos. „Das Motto ist: ‚Den Feuerlöscher finden, bevor es brennt‘.“

Konkret bedeutet das: Zwei neue Stellen wurden geschaffen, die sich ausschließlich mit dem Thema sexualisierte Gewalt beschäftigen. Davon liegen zwei halbe Stellen – besetzt mit Psychotherapeutinnen – bei der Katholischen Erziehungsberatung, eine weitere Vollzeitstelle soll beim Kinderschutzbund Bergisch Gladbach besetzt werden. Als erste Anlaufstelle für Betroffene soll aber weiterhin die Beratungsstelle in Wermelskirchen dienen. Erhärtet sich ein Missbrauchsverdacht, wird von dort an die neue Fachberatungsstelle verwiesen. „Es ist also eine Stärkung der Angebote, die es schon immer gab“, fasst Frank Köchling, Geschäftsführer der Katholischen Erziehungsberatung Bergisch Gladbach, zusammen. „Bei Trennungs- oder Scheidungsberatungen treten wir immer unparteiisch auf“, erklärt Bartos den Hintergrund. „Mit diesem Konzept kommt man hierbei aber nicht mehr weiter. Insbesondere darum gibt es die Fachberatungsstelle. Sonst werden die Kinder zum zweiten Mal Opfer.“

Bereits im Sommer 2021 habe das Land NRW eine Initiative gestartet, um flächendeckend Stellen zu finanzieren, berichtet Köchling. „Wir haben ziemlich schnell die Zusage bekommen, dass wir gefördert werden.“ Nach seinem Kenntnisstand seien alle in NRW gestellten Anträge bewilligt worden. „Das ist ein immenser finanzieller Aufwand.“ Insgesamt stellt das Land 89 Millionen Euro pro Jahr für das Thema Sexualisierte Gewalt zur Verfügung. In NRW seien zudem 100 neue Schulpsychologen hinzugekommen.

Im Vorschulbereich machten die Experten der beiden Beratungsstellen immer häufiger die Beobachtung, dass es dort Fälle von körperlicher Grenzverletzung gibt – unter Gleichaltrigen. Jedoch seien es oft keine klaren Täter-Opfer-Situationen und ginge über die bekannten „Doktorspielchen“ hinaus, so Bartos. OGS- und Kita-Leitungen seien in dem Zuge auf die Beratungsstellen zugekommen. „Da müssen Dinge aufgearbeitet werden.“ Ebenso seien die Zahlen des sogenannten „Cybergrooming“, also die Anbahnung von sexueller Gewalt gegen Minderjährige im Internet, gestiegen.

„Wir wollen das nicht alleine stemmen, sondern uns vernetzen“, so Köchling. „Und Kollegen hinzunehmen, die sich den ganzen Tag nur damit beschäftigen.“ Durch die aktuellen Fälle habe das Thema eine neue Brisanz bekommen. „Ich mache das schon seit 30 Jahren und bin schockiert, in welcher Tiefe das Problem vorhanden ist“, sagt Köchling. „Ich dachte, mich könnte nichts mehr schocken. Aber diese Dimension habe ich mir nicht vorstellen können.“ Das sei jedoch kein Thema einzelner Stelle, sondern ein gesellschaftliches.

Die gute Nachricht: Bisher seien „so gut wie keine Bedarfe“ wegen sexualisierter Gewalt in Wermelskirchen aufgetreten, berichtet Bartos. „Ich werte das erstmal als gutes Zeichen.“ Dennoch seien im Gespräch, auch mit Schulen, Verunsicherungen durch die aktuelle Situation zu spüren. Missbrauchssignale sind laut Bartos heute sehr viel schwerer zu erkennen. Das hänge auch mit den elektronischen Medien zusammen. Ein möglicher Hinweis sei „im Prinzip jede Verhaltensänderung“, weiß Diplom-Psychologin Barbara Feldmann von der Katholischen Erziehungsberatung. Ganz wichtig sei es, Kinder ernst zu nehmen und zu sensibilisieren. „Studien zeigen, dass Kinder im Schnitt sieben Mal etwas sagen müssen, bis sie ernst genommen werden.“

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