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Hoffnung in Wermelskirchen Im Kirchenasyl neue Hoffnung gefunden

Wermelskirchen · Anmar Aljadooa floh 2015 vor dem Krieg aus dem Irak. In Europa fand er vor allem Ablehnung, Not und Schmerz – bis die Evangelische Kirchengemeinde Hilgen-Neuenhaus ihm Kirchasyl bot. Heute ist er verheiratet, hat eine kleine Tochter und arbeitet auf der Straußenfarm.

Anmar Aljadooa ist angekommen: Große Unterstützung hat er dabei auch von Naima Ouffal aus Marokko und Dorothea Hoffrogge aus Neuenhaus bekommen.

Anmar Aljadooa ist angekommen: Große Unterstützung hat er dabei auch von Naima Ouffal aus Marokko und Dorothea Hoffrogge aus Neuenhaus bekommen.

Foto: Theresa Demski

Wenn Anmar Aljadooa lacht, dann hellt sich sein Gesicht auf. In einem einzigen Moment verschwinden die Furchen um seine Augen und die Spur von Traurigkeit in seinem Blick. Gerade hat er ein paar Tassen aus der Küche im Gemeindehauses in Neuenhaus geholt und deckt den Tisch. „Ich weiß noch, wo alles steht“, sagt er. Und dann ist da wieder dieses Lächeln. Denn der 29-Jährige erinnert sich an jenen Tag, als sich sein Leben änderte. Als endlich die Hoffnung zurückkehrte. „Das war der Tag als ich hier ankam“, sagt er und deutet auf das Gemeindehaus.

Das Presbyterium der Evangelischen Kirchengemeinde Hilgen-Neuenhaus hatte zuvor in geheimer Abstimmung entschieden, dem jungen Mann aus dem Irak Kirchenasyl zu bieten. „Um ihm eine Perspektive für sein Leben eröffnen zu können“, erklärt Presbyteriumsvorsitzende Dorothea Hoffrogge. Am 31. März 2021 zieht er in das Gemeindehaus ein. Er schläft in dem kleinen Zimmer im Keller, kocht im Jugendbereich, nutzt die kleine Dusche. „Und wir haben oft im Garten gegrillt und gegessen“, erzählt er. Ein knappes halbes Jahr lang bleibt er im Kirchenasyl. Hätte er das Gemeindehaus verlassen, hätte ihm die Abschiebung nach Belgien gedroht. „Dublin“, sagt Hoffrogge und erinnert an die stark umstrittene Regelung, dass Flüchtlinge in das Land abgeschoben werden, in dem sie zuerst Asyl beantragt haben.

Die Leichtigkeit hat seine Gesichtszüge jetzt verlassen. „Das waren schlimme Jahre“, sagt Anmar Aljadooa. Sein langer Weg beginnt, als er 2015 mit seiner Familie aus dem Irak in die Türkei flieht. Von dort aus macht er sich erstmal alleine auf den Weg Richtung Europa. Am 15. September trifft er in Dortmund ein. „Am Anfang hat sich das richtig angefühlt“, sagt er, „endlich musste ich keine Angst mehr haben. Ich war frei.“ Aber das Gefühl währt nicht lange. Inzwischen haben sich auch seine Eltern auf den Weg nach Europa gemacht. Die Chancen auf Asyl in Deutschland scheinen ihnen schlecht. „Damals kamen so viele Menschen“, sagt Anmar Aljadooa. Also ziehen sie weiter Richtung Belgien: Hier stellt die Familie einen Antrag auf Asyl. Und hier lernt Anmar Aljadooa seine Baneen kennen. Jetzt hellt sich sein Gesicht wieder auf – es ist ein breites Strahlen, das er zeigt. Aber sein schmerzvoller Weg ist in Belgien nicht zuende. Zweimal wird sein Antrag abgelehnt. In ihrer Not flieht die Familie zurück nach Deutschland. „Meine Eltern gingen daran kaputt“, sagt Anmar Aljadooa, „sie kehrten in die Türkei zurück.“ Nach der Wartefrist stellt Anmar Aljadooa einen Asylantrag in Deutschland. Er wird abgelehnt und nach Belgien abgeschoben. In den folgenden vier Jahren schiebt ihn Deutschland insgesamt vier Mal ab. Als er sich Anfang 2021 mal wieder nach Deutschland zu Baneen durchgeschlagen hat, mit der er inzwischen verlobt ist, sitzt er irgendwann im Waschcafé und fleht Brigitte Krips um Hilfe an. Er brauche nur ein bisschen Zeit, um endlich in Ruhe heiraten zu können, um nicht während des Wartens auf das Ende der Frist, um einen neuen Asylantrag stellen zu können, wieder abgeschoben zu werden. So kommt das Thema Kirchenasyl auf den Tisch. „Ich hatte erst etwas Angst“, sagt Anmar Aljadooa, „ich wollte meine Religion nicht aufgeben.“ Aber das erwarten die Menschen in Neuenhaus auch gar nicht. „Es hat sich wie Zuhause angefühlt“, sagt der Iraker über seine Zeit im Kirchenasyl. Seine Verlobte und Freunde können ihn besuchen, und Anmar Aljadooa nimmt am Gemeindeleben teil, er unterstützt die Ehrenamtlichen, wird zum Freund und verscheucht auch bei Skeptikern die letzten Zweifel.

Am 14. Juli heiratet er im Gemeindehaus seine Verlobte – die Standesbeamtin kommt nach Neuenhaus. Brigitte Krips und Warda Halimi-Aissat vom Sozialamt werden Trauzeuginnen. „Das war die erste muslimische Hochzeit bei uns im Gemeindehaus“, erzählt Dorothea Hoffrogge. Baneen hat inzwischen die Anerkennung und kann in Deutschland bleiben. Zum ersten Mal nach sieben Jahr droht auch Anmar Aljadooa keine Abschiebung. Am 23. August verlässt er das Kirchenasyl. Inzwischen haben Baneen und Anmar Aljadooa eine kleine Tochter. Seine Eltern sind nach Deutschland zurückgekehrt. Er hat eine Arbeitsstelle auf der Straußenfarm gefunden. „Ich bin sehr, sehr glücklich“, sagt er.

Dorothea Hoffrogge lächelt leise. Es gibt gelegentlich ein gutes Ende. „Wir sehen es als unseren christlichen Auftrag an, mitmenschlich zu sein“, sagt sie. Und deswegen haben im Laufe der Zeit vier Menschen Kirchenasyl im Stephanus-Gemeindezentrum gefunden – Männer und Frauen, die keine andere Chance mehr hatten. „Wir haben den Eindruck, dass der Rechtsstaat gelegentlich an seine Grenzen stößt“, sagt Hoffrogge. Und dann könne das geduldete Mittel des Kirchenasyls helfen. Es sind Menschen, die wegen des Dublin-Verfahrens noch keinen Asylantrag in Deutschland stellen dürfen. Während der Wartezeit bietet ihnen die Gemeinde Kirchenasyl. Gerade ist eine junge Frau aus Guinea mit ihrer kleinen Tochter in Neuenhaus angekommen – völlig traumatisiert, nur mit einer Tasche in der Hand. „Das war auch für unsere Gemeinde ein langer Weg“, sagt sie, „wir sind uns auch nicht immer einig. Aber wir tragen die Entscheidungen gemeinsam.“ Um Hoffnung zu schenken.

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