Wie Politikerinnen gelernt haben, sich durchzusetzen „Sachverstand zählt  – nicht das Geschlecht“

Wermelskirchen · Seit 100 Jahren dürfen Frauen wählen. Trotzdem sind sie in der Kommunalpolitik meist unterrepräsentiert.

„Man erstaunt immer wieder darüber, wie völlig unberührt der Teil der weiblichen Wählerschaft von der ganzen ungeheuren Umwälzung der letzten Tage ist.“ Mit diesen Worten reagierte 1918 ein namenloser Wahlhelfer auf das scheinbare politische Desinteresse vieler Frauen in Wermelskirchen. Die Monarchie war gestürzt, die Republik ausgerufen und mit ihr eine große Wahlrechtsreform, die auch das Frauenwahlrecht enthielt. Am 19. Februar 1919 sollte es die Wahl zur verfassungsgebenden Nationalversammlung geben, die erste, an der auch Frauen ihre Stimme abgeben durften. Und diese Stimmen waren hart umkämpft: Denn mit 22 Millionen weiblichen Wahlberechtigten, waren es weitaus mehr als die 18 Millionen männlichen in der Weimarer Republik. Auch in Wermelskirchen waren sich die Parteien der neuen Entscheidungsgewalt der Frauen bewusst. Die bürgerlichen Parteien und Frauenvereine veranstalteten im Januar eine „Frauen-Versammlung“ im Gasthof zur Eich. Dort betonte man, dass die „Gestaltung der Nationalversammlung und das Geschick des Vaterlandes wesentlich in ihren Händen“ läge. Vorher von der Politik ausgeschlossen, wurden sie nun zur wichtigsten Zielgruppe.

 Helga Loepp ist seit 41 Jahren Mitglied in der CDU.

Helga Loepp ist seit 41 Jahren Mitglied in der CDU.

Foto: Theresa Demski

Am 2. November 1919 fand dann die erste Wahl auf kommunaler Ebene in Wermelskirchen statt. Drei Frauen zogen auf Anhieb in den Rat ein. Doch mit dem Aufstieg der Nationalsozialisten wurden Frauen wieder aus der Politik verdrängt. Sie durften nicht mehr für ein staatliches Amt kandidieren. Die NSDAP propagierte aktiv die Rolle der Frau als „Hausfrau und Mutter“. Eine Stereotypisierung, die noch lange das Frauenbild prägen soll.

  Brigitte Krips (CDU) wurde gefragt und kam zur Lokalpolitik .

Brigitte Krips (CDU) wurde gefragt und kam zur Lokalpolitik .

Foto: Moll/Moll, Jürgen (jumo)

Hanni Haag, die 1946 in den Wermelskirchener Stadtrat einzog, wurde angefeindet, nicht „ihrer Frauenrolle“ zu entsprechen. Bis 1958 dauerte es, als die nächste Frau in den Rat gewählt wurde. Frauen in der Politik – heute ist das eine Selbstverständlichkeit. Trotzdem sind sie in der politischen Landschaft gerade auf kommunaler Ebene unterrepräsentiert, das „Geschick“ liegt in vielen Kommunen in Männerhand.

 Anja Güntermann (WNKUWG) ist seit 2009 im Rat.

Anja Güntermann (WNKUWG) ist seit 2009 im Rat.

Foto: Dörner, Hans (hdo)

So sitzen heute in Wermelskirchen lediglich zwölf Frauen im Rat – und 42 Männer. Ist mangelndes politisches Interesse etwa der Grund? Nein, sagt die Gleichstellungsbeauftragte der Stadt Wermelskirchen, Esther Wargenau-Zeitz. Frauen fehle schlichtweg oft die Zeit, sich neben Beruf und Familie noch in der Kommunalpolitik zu engagieren. Das hinge auch mit der klassischen Rollenverteilung zusammen: die Frau als Hausfrau und Mutter. „Aus meinem Umfeld weiß ich, dass die meiste Hausarbeit immer noch an den Frauen hängenbleibt, obwohl beide berufstätig sind“, sagt Wargenau-Zeitz. CDU-Urgestein Helga Löpp, die von 1989 bis 2009 im Stadtrat saß, bestätigt auch, dass die Belastung für sie teilweise hoch war: „Es gab Morgen, da bin ich um vier Uhr aufgestanden, um noch den Haushalt zu schaffen. Aber es war ja auch mein eigener Wille, und Jammern gab es bei mir nicht.“ Auch Brigitte Krips, die für die CDU im Rat sitzt, vermutet, dass der Interessens- und Zeitkonflikt ein Thema sein könnte: „Frauen wollen ihre Kinder gut versorgt wissen.“ Einen Konflikt, den Männer eher nicht kennen, so Wargenau-Zeitz: „Es ist in Deutschland leider noch nicht die Norm, dass Väter die Elternzeit in Anspruch nehmen.“ Zeit, die dann vielleicht Frauen bliebe, um sich zu politisch engagieren.

Außerdem treten Frauen meist später in eine Partei ein, oder kandidieren für ein politisches Amt. „Im Schnitt fünf bis zehn Jahre“, erklärt die Gleichstellungsbeauftragte. Auch bei Brigitte Krips und Anja Güntermann dauerte es, bis die Kinder selbstständig waren und sie sich aufstellen ließen. Löpp hingegen erzählt lachend, wie sie mit Kinderwagen Flugblätter verteilt habe.

„Männer lernen so auch eher die Strukturen in der Politik kennen und wissen darum auch meist besser, wie sie weiterkommen“, sagt Zeitz-Wargenau. Die politischen Spielregeln bestünden aus „informellen Entscheidungs- und Machtstrukturen“. „Entscheidungen werden manchmal nicht öffentlich ausgetragen, sondern man einigt sich privat“, beschreibt die Gleichstellungsbeauftragte. Auch Brigitte Krips kann sich vorstellen, dass die Hemmschwelle bei Frauen größer ist, weil der Umgangston weitestgehend von Männern bestimmt ist: „Als Frau geht man oft anders an Dinge heran, als die Männer.“ Helga Löpp sagt, sie habe auch in manchen Sitzungen einen schroffen Ton erlebt: „Aber wenn ich etwas härter, angegangen wurde, dann war ich nie eingeschnappt.“

Die unterschiedliche Sozialisation spiele nach wie vor eine wichtige Rolle in Deutschland, erklärt Wargenau-Zeitz, Mädchen werde eher beigebracht zu „gefallen“ als ihre Vorstellungen durchzusetzen. Dadurch kommunizieren sie anders. „Ich glaube, dass Männer sich stärker mit rhetorischen Mitteln aushelfen können.“ Auch die Körperhaltung, „Präsenz zeigen“, könne von Männern besser instrumentalisiert werden. Ihre Ansichten, da sind sich Löpp, Krips und Güntermann einig, haben sie dennoch stets vehement vertreten. Politik profitiere davon, wenn Frauen und Männer sie gleichberechtigt mitgestalten. Viele Themen seien erst durch Frauen relevant geworden. Dennoch sagt Helga Löpp, sie habe immer zehn Prozent mehr geben müssen, um sich die Anerkennung ihrer männlichen Kollegen zu verdienen. „Zehn?“, fragt Güntermann, „ich würde sagen 25 Prozent.“ Doch trotz diverser Widrigkeiten sind alle drei froh, den Schritt in die Politik gewagt zu haben. „Ich habe erlebt, was in Gemeinschaft alles möglich gemacht werden kann“, begründet Löpp ihre leidenschaftliches Engagement für die Politik. Dass das Geschlecht für politischen Sachverstand keine Rolle spielt, steht für Löpp, Krips und Güntermann außer Frage.

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