Wermelskirchen Frieden braucht Mut

Wermelskirchen · Über 70 Jahre Frieden in Deutschland. Ein bequemer Frieden, eine Gewohnheitssache. Denn auch der kalte Krieg blieb kalt – dank jeder Menge Diplomatie und Glück.

 Norbert Hensel (links) und Qaso Ibrahim sprechen über das Thema Frieden.  Foto: Jürgen Moll

Norbert Hensel (links) und Qaso Ibrahim sprechen über das Thema Frieden. Foto: Jürgen Moll

Foto: Moll, Jürgen (jumo)

Sobald die erste Kerze auf dem Adventskranz brennt, wird der Frieden wieder aus der verstaubten Weihnachtsdeko-Kiste herausgekramt. Das „Friedenslicht“ erhellt Kirchen, der Engel wünscht den Menschen „Frieden auf Erden“. Frieden ist überall und doch nicht viel mehr als eine Floskel. Zeit, sich über diese Sehnsuchtsfloskel auszutauschen. Ist Frieden mehr als die Abwesenheit von Krieg? Einer, der geflohen ist, um Frieden zu finden und einer, der Krieg nur aus Erzählungen kennt, tauschen sich aus. Knapp 30 Jahre Altersunterschied trennen Qaso Ibrahim und Norbert Hensel, ihre Lebensgeschichten sind grundverschieden. Kennengelernt haben sie sich im Café International, organisiert von der Flüchtlingsinitiative „Willkommen in Wermelskirchen“, und sich im Laufe der Jahre angefreundet. „Frieden“ hat sie beide ihr Leben lang beschäftigt und doch fällt es manchmal schwer, die richtigen Worte zu finden, besonders dann, wenn es persönlich wird.

„Deutschland ist für mich Frieden“, sagt Qaso Ibrahim, „Ich kann meine Religion ausleben. Hier gibt es keinen Krieg, keine Waffen, keine Bomben.“ Ihm fehlt seine Familie. Dass er noch keine Arbeit gefunden hat und die Sprache noch nicht „richtig gut“ spricht, sei schwierig für ihn. „Ansonsten lebe ich hier in Frieden.“ Er lächelt kurz. Ibrahim ist in Sindschar aufgewachsen, einer Stadt in Nordirak. Als Jeside, Teil einer ethno-religiösen Minderheit, wurde er sein Leben lang offen diskriminiert. Norbert Hensel ergänzt: „Ich habe auch andere Jesiden gefragt, ob sie trotzdem gekommen wären, wenn sie gewusst hätten, wie kompliziert das hier alles ist mit der Sprache und dem ganzen System.“ Doch, auf jeden Fall sei die Antwort gewesen. „Wenn jemand an die Tür geklopft habe, dann wussten wir nicht, ob wir Besuch bekommen oder gleich erschossen werden.“

Er selbst ist im Nachkriegsdeutschland aufgewachsen. Aber die Geschichten von Krieg und Vertreibung seiner Großeltern, die auch fliehen mussten, haben ihn immer „sehr beschäftigt“. Hensel hält einen Moment inne. „Ich denke, das ist schon ein ganz wesentlicher Unterschied. Für die meisten Leute, die hergekommen sind, ist das so friedlich wie noch nie – auch wenn noch viele Probleme da sind.“

„Wir wurden nicht als Menschen gesehen“, beschreibt Ibrahim die offene Diskriminierung, der er seit jeher als Jeside ausgesetzt war. „Wenn man andere Menschen, ihre Gedanken und ihre Religion nicht akzeptiert. Das genauso seinen Kindern beibringt von Generation zu Generation.“ Da finge schon die Gewalt an mit der sich Menschen begegnen. Für Norbert Hensel Faktoren, die letztendlich Krieg provozieren können: „Irgendwann potenziert sich das immer weiter“, sagt er nachdenklich.

Beide beschreiben sich als religiös, der eine Jeside, der andere ist Christ. Aber welche Rollen spielen Religionen in den Konflikten: Machtinstrument oder friedenstiftend? „Religion wird sehr häufig von Menschen benutzt, um andere Menschen zu bekriegen, zu unterdrücken und gegeneinander aufzuhetzen. Aber das hat mit Religion eigentlich nichts zu tun“, schließt er. Hensel pflichtet ihm bei: „Man muss differenzieren zwischen Religion und dem, was Menschen daraus gemacht haben.“ Qaso Ibrahim erzählt von einem jesidischen Morgengebet. „Da gibt es eine Zeile, die geht so: Der Schöpfer soll erst die anderen Völker schützen, dann die Jesiden. Das heißt, wir wollen Frieden für die anderen. Wie Norbert es gesagt hat, Religionen kann man auch nutzen um Frieden zu sähen und nicht nur Hass. Wenn man den anderen auch als Menschen sieht und seinen Glauben respektiere, dann kann man zusammen leben.“

Die Menschen müssten sich mit all ihren Unterschieden auf Grundprinzipien, wie Wertschätzung und Annahme, einigen, um Frieden zu stiften, erklärt Hensel. „Dann kann das funktionieren.“ Das beginne auch mit Selbstannahme. „Wenn ich mich selbst wertschätzen kann, dann auch andere.“ Er fährt fort: „Durch Qaso habe ich auch gelernt, dass es Menschen gibt, die nach anderen Wertmaßstäben leben. Ich sehe, ja, so geht das auch. Da fühle ich mich an vielen Stellen beschenkt.“ Frieden - ein stetiger Dialog. Andere Meinungen kennenlernen, respektieren, Meinungsverschiedenheiten ansprechen und klären. „Durch Passivität kann sich kein Frieden ausbreiten, es muss immer wieder ein Ringen sein, dass es Frieden in unserem Umfeld und unserem Land gibt. Auch wenn es unbequem wird. Qaso Ibrahim und die anderen Jesiden in Sindschar durften ihre Stimme nicht erheben, zu lange wurde ihm beigebracht zu schweigen. „Die Gedanken, die bereits in den Köpfen der Menschen waren, waren wie eine Glut“, sagt Ibrahim. Der Islamische Staat entfachte das Feuer. Zwar hat bis zum Einmarsch der Terrororganisation kein Krieg geherrscht, „aber wenn man seine Religion nicht offen ausüben und seine Muttersprache nicht sprechen kann, dann ist das kein Frieden“, sagt er vorsichtig. Dann bleibt nur das Gefühl latenter Gefahr. „Jetzt haben wir in Deutschland noch nicht diese extreme Situation“, fügt Hensel hinzu. „Aufgrund des zunehmenden Extremismus ist es aber höchste Zeit,Position zu beziehen. Nicht mehr die schweigende Mehrheit sein, sondern zu sagen: Stopp, ich habe eine andere Meinung.“ Das sehe er mittlerweile als seine Verantwortung als Bürger. „Ich mache das ja nicht, weil es mir Spaß macht, wenn man jemandem widerspricht, verlässt man seine Komfortzone.“

Doch wenn Frieden bedeutet, dass alle Menschen unterschiedlich sind und dennoch im Frieden einen gemeinsamen Sehnsuchtsort haben, dann ist der kleinste gemeinsame Nenner gefunden. Und wenn über die Weihnachtstage alles im friedlichen „Schokoladensumpf“ versinkt, wie Norbert Hensel es schmunzelnd formuliert, ist das vielleicht der beste Zeitpunkt über den Frieden im „Fest des Friedens“ nachzudenken. „Ich denke, je mehr man sich mit dem Begriff beschäftigt, desto wertvoller wird er für einen“, findet Hensel.

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