Ballettschule in Corona-Krise Fast hätte es sich ausgetanzt

Wermelskirchen · Seit dem 11. Mai lebt der Tanzbetrieb im Land unter strengen Auflagen wieder auf. Für Nicole Helder und Jennifer Hebekerl von der Ballettschule „Momo“ kamen die Corona-Lockerungen des Landes in letzter Minute.

 Trainerin Jennifer Heberkerl mit einer bekannten Ballett-Pose. Im Hintergrund sitzt Nicole Helder am Laptop.

Trainerin Jennifer Heberkerl mit einer bekannten Ballett-Pose. Im Hintergrund sitzt Nicole Helder am Laptop.

Foto: Jürgen Moll

Jennifer Hebekerl ist nicht Bühnentänzerin geworden, um sich eine goldene Nase zu verdienen. „Als Ballerina ist man es gewöhnt, sich von Engagement zu Engagement zu tanzen und selten zu wissen, was die nächste Saison bringt“, sagt Hebekerl, die aus Frankfurt am Main stammt. Dort machte sie ihr Diplom an einer renommierten Hochschule. Später wurde sie langjährige Solistin am Staatstheater Cottbus.

Irgendwann verschlug es sie aus privaten Gründen ins Bergische Land. Hier lernte sie Nicole Helder kennen. Auch Helder stand viele Jahre lang als professionelle Ballett-Tänzerin auf der Bühne und war es trotz hochkarätiger Engagements gewöhnt, „mit wenig Geld über die Runden zu kommen“. Bis sie etliche Jahre vor Hebekerl ebenfalls in Wermelskirchen landete und eine Ballettschule aufbaute, die kontinuierlich mehr Zulauf erhielt.

Für Helder bedeutete das auch finanziell eine neue Erfahrung: „Zum ersten Mal in meinem Leben konnte ich ein paar Rücklagen bilden“, sagt die gebürtige Niederländerin, die noch im März mehr als ein Dutzend Honorar-Trainer in ganz unterschiedlichen Tanzsparten beschäftigte. Unter ihnen war auch fest verwurzelt die ehemalige Solistin Hebekerl. Alles lief gut, bis Mitte März plötzlich der Corona-Lockdown kam. „Das hat nicht nur mich, sondern auch meine Mitarbeiter eiskalt erwischt“, sagt Helder. Um ihr Personal nicht zu verlieren und ihren inzwischen über 300 Schülern Programm zu bieten, tat Helder das, was viele Tanzschulen während der Zwangspause taten: „Wir stellten Videos ins Netz, boten Training via Zoom an und streamten live auf Instagram.“

Für die Vorzeige-Tänzerin Hebekerl war klar, dass sie Helder dabei unterstützen würde. Eine Hilfsbereitschaft, die sie herausforderte: „Als Tänzerin hatte ich keine Probleme damit, vor eine Kamera zu treten. Doch nun musste ich mich auch erstmals mit der Technik auseinandersetzen, die daran hängt.“ Zum Glück hätten sich dabei alle im „Momo“-Team gegenseitig geholfen, „indem wir quasi über Nacht gemeinsam lernten, wie man Videos schneidet und was digitale Postproduktion bedeutet“. Eine lehrreiche Erfahrung. Doch nun sei sie froh, „dass es langsam unter strengen Auflagen wieder erlaubt ist, in der Ballettschule zu unterrichten“. Denn das gemeinsame Training habe ihr sehr gefehlt.

So sieht es auch ihre Chefin. Nicole Helder gibt ebenfalls zu, dass ihr „die Aufzeichnung von Tanz-Tutorials und das ganze digitale Training nur bedingt Freude bereitet haben“. Die Ursache liege weniger in der Technik, sondern in der Natur der Sache. „Digital-Unterricht hat mit richtigem Ballett-Training eben gar nichts zu tun.“ So sei es im Ballett-Saal geboten, „sofort Korrekturen vorzunehmen, wenn etwas in die falsche Richtung läuft“. Andernfalls drohten Verletzungen oder Überlastungen. Ferner lebe Ballett „vom richtigen Ausdruck“. Diesen zu vermitteln, ohne die Schüler direkt vor Augen zu haben, sei „praktisch unmöglich“.

Helder war daher von Anfang an klar, „dass jedes Online-Angebot zumindest in der Sparte Ballett kein gleichwertiger Ersatz für den Präsenzunterricht sein würde“. Weshalb sie aus Überzeugung im Mai aufhörte, die Beiträge ihrer Schüler einzuziehen. „Etwas, von dem ich im Nachhinein sagen würde, dass ich es besser nicht gemacht hätte“. Denn die wenigen Rücklagen, die sie in den letzten Jahren bilden konnte, seien „angesichts von mehreren Tausend Euro an monatlichen Fixkosten innerhalb eines Monats weggeschmolzen“. Daran habe auch die staatliche Soforthilfe nichts geändert: „Das Geld half nur, die laufenden Kosten zu begleichen, nicht aber, den Lebensunterhalt zu bestreiten“.

In ihrem Fall habe das auch daran gelegen, „dass ich eine Familie habe und mein Lebensgefährte ebenfalls als Selbständiger im Kulturbetrieb tätig ist“. So sei es „kaum möglich, mehrere Wochen ohne Einnahmen zu überstehen“. Zumal sie sich noch das Ziel gesetzt hatte, „das Gros meiner Mitarbeiter bei der Stange zu halten“.

Was sie aus verschiedenen Gründen getan habe: „Zum einen ist es im Bergischen Land schwierig, Trainer mit ausgezeichneten tänzerischen Qualifikationen zu finden. Zum anderen ist es einfach so, dass man im Tanzbetrieb schnell enge persönliche Bindungen aufbaut.“ Das liege an den vielen Wettbewerben und Aufführungen, „in die auch seitens meiner Mitarbeiter in normalen Zeiten unendlich viele gemeinsame Stunden an freiwilligem und unbezahltem Engagement einfließen“. Wer dieses Engagement zeigt, sei „nicht nur Idealist, sondern auch bereit, viel Aufwand zu haben, ohne einen Ertrag zu sehen“. Das indes müsse man sich leisten können: „Wer so arbeitet, kann kaum Rücklagen bilden und ist zumindest für eine Corona-Krise nicht gerüstet.“ So sei das auch in ihrem Fall gewesen: „Ich hätte an diesem Standort keinen einzigen weiteren Monat überlebt.“

Eine Aussage, die Wermelskirchener wachrütteln sollte: „Diese Stadt hat nur eine klassische Ballettschule.“ Wäre sie aus finanziellen Gründen verschwunden, hätte das einen künstlerischen Verlust bedeutet: „In diesen Räumen trainieren etliche eindrucksvolle Talente. Es wäre sehr schade gewesen, wenn man sie künftig nicht mehr gesehen hätte.“

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