Willibert Pauels Straßenkarneval - ein Vorgeschmack des Himmels

Wermelskirchen · Der "Bergische Jung" Willibert Pauels ist zwar seit einigen Jahren nicht mehr aktiv im Kölner Karneval dabei, bereut das aber nicht. Warum der Diakon dennoch mit Leib und Seele Karnevalist ist und auch die Fastenzeit schätzt, verrät der Wipperfürther im BM-Interview.

Der "Bergische Jung" in seinem Element - Willibert Pauels bei der "Kölschen Weihnacht". Er hat sich fast völlig aus dem professionellen Karneval zurückgezogen.

Der "Bergische Jung" in seinem Element - Willibert Pauels bei der "Kölschen Weihnacht". Er hat sich fast völlig aus dem professionellen Karneval zurückgezogen.

Foto: fOTO. sALZBURG

Herr Pauels, warum feiern wir eigentlich Karneval?

Pauels Du meine Güte! Da gibt es verschiedene Gründe. Historisch gesehen kommt das Wort Karneval ja aus dem Lateinischen: "carne vale", das heißt "Fleisch, Ade". Deutscher wird's in den Worten "Fastnacht" oder "Fastelovend". Vor der Fastenzeit wird also noch einmal richtig gefeiert, noch einmal die Sau rausgelassen. Im mittelalterlichen Kontext versteht man das besser, da die Fastenzeit damals richtig streng gehalten wurde, da musste man mit Verfolgung rechnen, wenn man die Gebote brach. Und am Abend vor dem Fasten war eben die letzte Gelegenheit für das Sinnliche, das Fressen, das Saufen. Und deswegen gibt es den richtigen Karneval auch vorwiegend in katholischen Gebieten: Köln, Aachen, Bonn, Brühl, Brasilien. Ja, sogar in der Dritten Welt - in Düsseldorf.

Ist der Brauch deswegen vor allem im Rheinland so besonders ausgeprägt?

Pauels Genau. Es kommt aber natürlich noch der rheinische Frohsinn dazu. Denn der Ostwestfale ist ja auch katholisch, aber eher weniger karnevalsbesessen. Dort gibt es mehr Schützenfeste. Übrigens: Das Katholische wird ja immer so mit Sinnenfeindlichkeit in Verbindung gebracht. Das ist aber wirklich falsch. Strenge calvinistische Protestanten sind doch viel sinnenfeindlicher. Der Karneval im katholischen Brasilien ist ja fast eine Orgie, und der Tango, der wohl sinnlichste Tanz der Welt, kommt auch von dort. Mein Freund, der Psychologe und Karnevalskenner Wolfgang Oelsner, sagt: Wenn es Karneval nicht gäbe, dann müsste man ihn aus psychotherapeutischen Gründen erfinden. Denn eine die Sinnlichkeit unterdrückende Religion macht krank -das sieht man auch an den kranken Gedanken der Fundamentalisten.

Wie werden Sie selbst denn den heutigen Rosenmontag verbringen?

Pauels Ich habe die Ehre, den Rosenmontagszug in Köln live auf Domradio zu kommentieren.

Welcher Tag im Karneval ist denn Ihr liebster?

Pauels In meiner Wipperfürth Jugend war es der Karnevalssonntag, da setzte kollektiv der Verstand aus. Man wogte gemeinsam durch die Stadt, von einer Kneipe in die nächste, fiel einander in die Arme und schunkelte mit wunderhübschen Mädchen. Der Eros spielte und spielt da natürliche eine Rolle, weil die gesellschaftlichen Grenzen aufgehoben sind. Einen ganz eigenen, morbiden Charme hat auch der eigentliche Karnevalstag, also der Dienstag. Da brandet es noch einmal auf, man ist todmüde und in einer Art Depression und Melancholie vom vielen Alkohol, und bäumt sich doch noch einmal auf, bis es dann Mitternacht mit dem Verbrennen des Nubbels vorbei ist und man am Mittwoch das Aschekreuz empfängt. "Gedenke, dass du Staub bist!" Das ist eine so großartige Choreographie, die man sich gar nicht besser hätte ausdenken können.

Sind Sie noch irgendwo aktiv zu sehen?

Pauels Ich bin ja 1972/73 als junger Bursche in Wipperfürth eingestiegen, in Klein-Nazareth. Das war eine wesentliche Prägung für mich. 1995 bin ich dann direkt in die Elite des Kölner Karnevals eingestiegen und habe das dann 17 Jahre gemacht. Dann kam meine Depression zum Ausbruch. Und mein Arzt hat mir geraten: Herr Pauels, der Dauerdruck vom professionellen Karneval ist für Sie Gift. Sie sind Diakon, gehen Sie dahin zurück. Aber gehen Sie auch noch auf die Bühne - aber nur als Amateur. Amateur kommt ja von amare, lieben. Ich mache jetzt nur noch ganz wenig im professionellen Karneval, die berühmten Ausnahmen, die die Regel bestätigen. Zum Beispiel die Domsitzung, die Pfarrsitzung im Kölner Dom. Ich mache ganz wenig, aber das genieße ich dann!

Vermissen Sie Ihre aktive Zeit?

Pauels Überhaupt nicht. Ich habe die Kollegen immer noch als Freunde und kann bei denen backstage vorbeischauen. Und dann weiß ich: Ich brauch da jetzt nicht raus, brauch keine acht Sitzungen pro Tag machen, nein, ich brauch das nicht. Alles ist gut!

Was ist Ihnen lieber - der Straßenkarneval oder doch der Sitzungskarneval?

Pauels Eindeutig Straßenkarneval! Sitzung nur dann, wenn es ein homogenes Publikum gibt. Wenn die Leute zum Zuhören kommen, wie bei Pfarrsitzungen. Das wird alles aber immer schlimmer, hat mir gerade auch der Guido Cantz gesagt - und der ist ja absoluter Profi. Der sagt: Willibert, du bist jetzt fünf Jahre raus. Und in der Zeit hat es sich noch einmal verschlimmert. Man weiß nicht: Kommt jetzt gleich Ballermann? Ich war jetzt beim Müttercafé in Engelskirchen - so eine tolle, professionelle Sitzung erlebe ich in Köln nie! Wenn sich aber dann die Leute in den Kneipen nur wegballern, dann ist das auch nur noch Elend. Aber es gibt natürlich Straßenkarneval, der auch in den richtigen Rausch geht, den Rausch zwischen Trunk, Eros und Gesang - den gibt es immer noch. Das ist ein Vorgeschmack des Himmels!

Wo ist man denn im Bergischen am jecksten?

Pauels Grob gesagt dort, wo es rheinisch-bergisch ist. Das kann man auch an der Sprache erkennen. Wo man "ick hevv ne Pippe im Munk" sagt, ist es eher platt-zurückhaltend, wo man "isch han enne Pieev in de Muul" sagt, ist es eher rheinisch-locker.

Was für eine Bedeutung hat die Fastenzeit?

Pauels Das ist eine sehr kluge Einrichtung. Denn: Wer nie feiert, wird krank - wer nur feiert, wird auch krank. So einfach ist das. Man kann auch nicht mehr genießen, wenn man nur noch feiert. Es ist wie das Einatmen und Luftholen für den richtigen Karneval - und das ist Ostern.

Ist die Fastenzeit dann für den Karneval das Yin zum Yang?

Pauels Ganz genau. Das ist eines der klügsten Symbole, die es gibt. Die Gegensätze ergeben nur zusammen Sinn. In den Gegensätzen ist auch immer ein Punkt des Anderen: Eine gute Karnevalszeit hat auch punktuell Melancholie - und ein Fasten darf nicht nur schwarz sein, deswegen wird am Sonntag nicht gefastet.

Worauf verzichten Sie dieses Jahr in der Fastenzeit?

Pauels Ich habe ja den Alkoholkonsum schon radikal runtergefahren, als ich aus dem professionellen Karneval ausgestiegen bin. Ich sehe keine besonderen Fastenbereiche, weil ich nicht, wie früher, ekstatisch feiere. Ich bin wohl in der Phase des älteren Herren, der es eh ruhiger angehen lässt. Die katholische Kirche war eh manchmal klug: Über 60 braucht man nicht mehr zu fasten...

Und was ist für Sie das Schönste an der Fastenzeit?

Pauels Die Vorfreude auf den Osterbraten! Aber auch zu spüren, dass die innere Enthaltsamkeit zeigt: Man kann es, der Körper freut sich und eine gesunde Seele braucht einen gesunden Körper. Das Extrovertierte braucht das Introvertierte. Auch hier wieder Yin und Yang. Schon Thomas von Aquin hat gesagt: Im Menschen wohnt der Engel und das Animalische. Und beide dürfen nicht unterdrückt werden, müssen miteinander versöhnt werden.

DAS INTERVIEW FÜHRTE WOLFGANG WEITZDÖRFER

(RP)
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