Wermelskirchen Stationäre Jugendhilfe nimmt zu, vor Ort aber rückläufig

Wermelskirchen · Immer mehr Kinder müssen aus zerrütten Familien herausgenommen werden. Das örtliche Jugendamt setzt aber auf ambulante Hilfen.

Die Zahl der Fälle, in denen die Jugendämter Kinder aus ihren Familien heraus in Heime, Wohngruppen oder zu Pflegefamilien in Obhut geben müssen, hat in Nordrhein-Westfalen in den vergangenen Jahren drastisch zugenommen. Zwischen 2002 und 2011 ist sie um 34 Prozent gestiegen, wie unsere Zeitung berichtete. In Wermelskirchen ergibt sich ein ganz anderes Bild.

Zwischen 2009 und 2012 hat die Zahl der Inobhutnahmen, die das örtliche Jugendamt verfügen musste, sogar abgenommen. Nach Auskunft von Sozialdezernent Jürgen Graef mussten 2009 insgesamt 27 Kinder und Jugendliche aus ihren Familien heraus genommen werden, 2010 waren es 26, 2011 17 und 2012 statistisch zwar 19 Kinder. De facto seien es aber nur 15 Kinder gewesen, da noch vier Fälle aus dem Vorjahr wegen nachträglicher gerichtlicher Verfahren mitgezählt worden seien. Zu berücksichtigen sei auch, dass es dabei Inobhutnahmen gegeben habe, die wegen eines akuten Notfalles nur zwei bis drei Tage angedauert hätten, heißt es aus dem örtlichen Jugendamt.

Graef betont aber, dass ein Herausnehmen des Kindes oder Jugendlichen aus seiner Familie immer nur die "ultima ratio" darstelle: "Wir sind aber in der glücklichen Lage, ein gut ausgebildetes Team in unserem Allgemeinen Sozialen Dienst zu haben, das sehr sensibel mit den Fällen umgeht", betont der Dezernent. Und diesem Dienst gelinge es immer öfter, Inobhutnahmen abzuwenden und stattdessen ambulante Hilfen anzubieten. Dabei sei auch die Zusammenarbeit mit dem Landesjugendamt sehr fruchtbar sowie die Möglichkeit, auf ein gutes Netzwerk von Hilfen zurückzugreifen.

Anders wird die Lage aber bei der Evangelischen Jugendhilfe Bergisch Land (EJBL) beurteilt. Dort sei die Zahl der Inobhutnahmen in den vergangenen Jahren ständig gestiegen, beobachtet EJBL-Geschäftsführerin Silke Gaube. Eine statistische Erfassung gebe es zwar noch nicht, schränkt sie ein. Aber die 107 Wohnplätze der EJBL seien fast immer belegt. Zurzeit gebe es nur zwei freie Plätze. Voll ausgelastet sei auch das diagnostische Aufnahme- und Clearing-Zentrum: "Wir haben deshalb das Personal und die Kapazitäten aufgestockt", berichtet Gaube. So bietet die EJBL jetzt zwei Aufnahmegruppen mit jeweils acht Plätzen an, wobei 14 der 16 Plätze schon wieder belegt seien. Die Zunahme der Inobhutnahmen sehen Gaube und die Leiterin des Clearings-Zentrums, Melanie Grobe, in der Tatsache begründet, dass immer mehr Familien mit Mehrfachproblematiken wie beispielsweise psychischen Erkrankungen, Sucht, finanziellen Schwierigkeiten, Trennung und vielem mehr zu kämpfen hätten. Und vor der Aufstockung habe es sogar Wartelisten für die Aufnahmegruppen gegeben: "Wir sind nämlich immer dann gefragt, wenn es brennt", weiß die EJBL-Geschäftsführerin. Und es brenne immer öfter in den Familien...

Lokalseite C 3

(RP/rl)
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