Serie Gotteshäuser in Wermelskirchen Von Ungeheuern und Erzengeln

Wermelskirchen · Erst fühlten sich die Katholiken in ihr Zuhause, dann die Protestanten: Heute spiegelt die Stadtkirche ein Stück Stadtgeschichte wider und beherbergt den ältesten Raum Wermelskirchens.

 Der Blick von der Kanzel in der Stadtkirche. 600 Personen finden dort Platz.

Der Blick von der Kanzel in der Stadtkirche. 600 Personen finden dort Platz.

Foto: Moll/Moll, Jürgen

Ein schmaler, steiler Treppenaufgang führt in die verborgene Kapelle. Die Stufen sind ausgetreten, seit 1180 haben viele Füße den Weg in den kleinen, rechteckigen Raum gesucht. „Die Michaelskapelle dürfte der älteste Raum dieser Stadt sein“, sagt Pfarrer Dr. Volker Lubinetzki. Keine Wände alter bergischer Häuser hielten den Stadtbränden stand – außer dem starken Mauerwerk des Kirchturms. Er schottet die kleine Kapelle bis heute von Sonnenlicht und Hitze ab und erzählt eine berührende Geschichte, von Trost und Hoffnung. „Solche Räume finden sich häufig im ersten Turmgeschoss mittelalterlicher Kirchen“, sagt Lubinetzki. Sie waren dem Erzengel Michael geweiht, der Stadt und Kirche vor drohenden Gefahren schützen sollte. Und weil die nach uralter Vorstellung grundsätzlich aus dem Westen nahten, der auch für das schlechte Wetter zuständig ist, wurden die schützenden Kirchtürme an der Westseite der Kirche errichtet.

Die kleine Michaelskapelle in der Stadtkirche allerdings hatten die Menschen lange Zeit vergessen. Der Raum wurde als Rumpelkammer genutzt – für alte Bänke und Konzertpodeste. Mit der Renovierung der Kirche vor 16 Jahren entdeckte die Gemeinde den Raum neu, verlieh ihm einen neuen Anstrich und nutzt ihn seitdem für Gebet und Meditation, für kleine Taufen und Hochzeiten.

 Das Taufbecken in der Stadtkirche.

Das Taufbecken in der Stadtkirche.

Foto: Moll, Jürgen/Moll, Jürgen (jumo)

Als sich Pfarrer Lubinetzki kurzerhand für den Hinterausgang der kleinen Michaelskapelle entscheidet, steht er unversehens auf der Empore und wirft einen Blick durch das große Kirchenschiff. Rund 600 Menschen können hier Platz finden. „Eine so große Kirche für so einen kleinen Ort: Das ist damals eigentlich völlig unverhältnismäßig gewesen“, sagt er.

 Der Blick auf den Altar.

Der Blick auf den Altar.

Foto: Moll, Jürgen (jumo)

Schon der Vorgängerbau habe auf den gleichen Grundmauern gestanden, auf die 1838 die heutige Stadtkirche gebaut wurde. Von der Empore fällt der Blick auf die bunten Fenster im alten Chorraum, der mit der Reformation zur Sakristei wurde, auf den großen Altar, das weiße Tischtuch und die aufgeschlagene Bibel. Der Blick geht Richtung Osten. „Durch das Dunkel der Welt in das Licht der Auferstehung“, sagt der Pfarrer als sich die Vormittagssonne einen beeindruckenden Weg durch das Fensterglas hinter der Kanzel sucht.

 Die Michaelskapelle. Hier werden die Orgelpfeifen gelagert.

Die Michaelskapelle. Hier werden die Orgelpfeifen gelagert.

Foto: Moll, Jürgen (jumo)

Wer dann die kleine, weiße Tür öffnet, landet er in der Sakristei, in der Presbyter, Küster und Pfarrer sich vor dem Gottesdienst treffen oder das Abendmahl vorbereiten. Dort weist Volker Lubinetzki auf zwei weiße Schlösser hin, die zu einer Art uraltem Tresor in der Wand gehören. „Wir gehen davon aus, dass dort früher die Kollekte gesichert wurde“, sagt er. Genutzt werden die Schlösser seit Jahrzehnten nicht, die Schlüssel scheinen längst verschollen. Nicht alle Geheimnisse gibt die Stadtkirche preis.

Eines allerdings ist längst gelüftet: Was haben die Ungeheuer in der Kirche zu suchen? Denn wer genau hinsieht, entdeckt links neben dem Altar den alten Taufstein, um den Jahrzehnte gerungen wurde und den schließlich Künstler Wolf Münninghoff durch die Verbindung von uralten und neuen Elementen für die Zukunft sicherte. „Er ist der älteste Kunstgegenstand der Stadt“, heißt es in dem kleinen Kirchenführer, den es am Eingang gibt.

Und diese Kunst will gedeutet werden: Am oberen Rand des Taufsteins ziehen vier maskenhafte Köpfe den Blick der Besucher auf sich. „Sie könnten für die vier Evangelisten oder die vier Ströme im Paradies stehen“, sagt Lubinetzki.

Und dann kommen die Monster ins Spiel: drei Ungeheuer, ein Untier, ein geflügelter Drache. Sie symbolisieren auf dem Taufstein die bedrohlichen Mächte der Welt. „In der Taufe findet der Mensch Zuflucht und wird dem Schutz Gottes unterstellt“, erklärt der Kirchenführer der Stadtkirche. Wer genau hinsieht, entdeckt dann auch Lamm, Siegesfahne und Taube, die der Steinmetz dort hinterlassen hat – die Hoffnung des christlichen Glaubens in 800 Jahre altem Stein.

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