Sie sind im Urlaub, bekommen einen Anruf und werden informiert, dass ein Dachstuhlbrand großen Schaden in der Stadtbücherei verursacht hat. Wie haben Sie diesen Moment erlebt ?
Leiterin der Stadtbücherei Wermelskirchen „Wir waren überwältigt von den Hilfsangeboten“
Interview | Wermelskirchen · Kathrin Ludwig spricht über den Tag des Dachstuhlbrandes und die Folgen sowie die Mammutaufgabe, den Bestand an Büchern und Medien zu sichten und wieder aufzufüllen.
Ludwig Es war ziemlich früh am Morgen, und ich war noch gar nicht richtig wach. Natürlich habe ich mich gewundert, warum mich jemand von der Stadt Wermelskirchen am Wochenende um kurz vor acht im Urlaub anruft. Als ich gehört habe, dass es in der Bücherei brennt, war ich total schockiert. Es war schwer vorstellbar, welches Ausmaß der Dachstuhlbrand tatsächlich haben würde. Im ersten Moment habe ich sogar befürchtet, dass die Bücherei womöglich bis auf die Grundmauern niedergebrannt wäre.
Haben Sie die Dimension der Schäden erahnen können?
Ludwig Ich habe gehofft, dass es vielleicht doch nicht so schlimm ist. Aber als den ganzen Tag über Bilder per Whats App eintrudelten, habe ich erkannt, dass die Schäden doch immens sind. Am Nachmittag wurde dann berichtet, dass viele Helfer schon damit beschäftigt waren, alles auszuräumen. Da war mir klar, dass wir mit der Bücherei wohl nicht in der Kattwinkelschen Fabrik bleiben können. Da fragt man sich schon, wie alles weitergehen soll.
Haben Sie überlegt, ob Sie Ihren Urlaub in Schweden kurzfristig abbrechen sollen?
Ludwig Ich war erst eine Woche in Urlaub und wäre auch zurückgekommen. Aber das hätte eine Tagesreise bedeutet mit 14 bis 15 Stunden und hätte keinen Sinn gemacht. An dem Tag des Brandes wäre ich gar nicht mehr in Wermelskirchen angekommen. Das gesamte Team der Bücherei war außer Landes – bis auf eine Kollegin, die hier tatkräftig mitgeholfen und uns mit zusätzlichen Informationen versorgt hat. Und in dem Moment, als alles ausgeräumt war, war zunächst nichts mehr zu tun.
Trotzdem werden Sie sich im Urlaub viele Gedanken gemacht haben, was Sie nach Ihrer Rückkehr erwartet . . .
Ludwig Das holt einen immer wieder ein. Es liefen E-Mails, Telefonate, Whats Apps. Man will ja auch auf dem Laufenden gehalten werden, und es musste einiges entschieden werden. Zum Beispiel, wie die Kooperation mit der Katholischen Bücherei der Kirchengemeinde St. Michael gestaltet werden kann. Zum Glück ist es stundenweise doch gelungen, das Geschehen auszublenden. Natürlich hat der Brand uns alle im Team beschäftigt: Man weiß, dass man nach dem Urlaub ins Chaos kommt – und das ist keine schöne Vorstellung.
Wie sind die ersten Arbeitstage verlaufen ?
Ludwig In den ersten Tagen haben wir ganz viele Veranstaltungen und vereinbarten Termine absagen müssen. Wir können zur Zeit keine Klassenführungen und kein Bilderbuchkino anbieten. Den Sommerleseclub, der aktuell noch läuft, können wir aber schon zu Ende bringen. Die Abschlussveranstaltung war ohnehin in dem kleinen Saal der Halle nebenan geplant. Und den dürfen wir auch nutzen, nur können die Kinder momentan keine neuen Bücher ausleihen. In jedem Fall haben wir mit Blick auf die kommenden Monate sehr viel geregelt.
Über allem aber stehen die Bemühungen, den Betrieb der Stadtbücherei wieder aufzunehmen ...
Ludwig Ja. Aktuell konzentrieren wir uns darauf, den Bestand zu aktualisieren. Zum Beispiel werden alle vom Löschwasser durchweichten Bücher aus dem System genommen, bevor sie entsorgt werden. Sonst bekommen wir nie wieder eine Übersicht über den Bestand. Bislang haben wir rund 1000 Medien ausgebucht.
Wie ist das Angebot angenommen worden, Bücher und Medien auch in der KÖB ausleihen zu können ?
Ludwig Wir waren in der vorigen Woche an zwei Nachmittagen dort und haben bislang nur eine geringe Resonanz festgestellt. Das muss sich sicher noch herumsprechen. Wir sind sehr froh über dieses Angebot.
Als Ausweichstandort während der Sanierung der Räumlichkeiten in der Kattwinkelschen Fabrik wird der ehemalige Obi-Markt in Tente genannt. Gibt es einen Zeitplan ?
Ludwig Erst einmal sind die bislang geretteten und am vergangenen Wochenende vom Brandgeruch befreiten Bücher und Medien dort zwischengelagert. Wir hoffen, dass wir in Tente irgendwann einen geregelten Bücherei-Betrieb starten können – aber bevor dort eröffnet werden kann, sind noch viele Dinge zu klären.
Es war zu hören, dass es viele Hilfsangebote aus der Bevölkerung gegeben hat. Wie sahen die aus ?
Ludwig Wir waren überwältigt von der großen Anteilnahme und Wertschätzung der Einrichtung, von den vielen Hilfsangeboten. Das ging von ehrenamtlicher Arbeit über Bücherspenden bis zum Sponsorenlauf. Bei Bücherspenden allerdings sagen wir: Bitte nicht. Es ist gut gemeint, aber wir sind aktuell mit dem eigenen Bestand logistisch voll gefordert und können keine Geschenke annehmen.
Irgendwann wird der Bestand aber aufgefüllt werden müssen. Wie wird das Vorgehen sein ?
Ludwig Man muss sich eine Bibliothek als geordnete Sammlung vorstellen. Man schaut, was sind die Wünsche der Kunden, was passt in den Bestand? Was ist in der Vergangenheit viel ausgeliehen worden? Benötigt man in einem Bereich ein größeres Angebot? Die Leute wollen in einer öffentlichen Bibliothek aktuelle Medien finden, das, was auch im Buchhandel gefragt ist und in aller Munde ist. Deshalb buchen wir regelmäßig Medien aus, die längere Zeit nicht mehr nachgefragt wurden, und neue Bücher und Medien werden eingekauft.
Das klingt nach einer Mammutaufgabe, diesen Prozess nach dem Verlust einer so großen Zahl an Medien zu vollziehen.
Ludwig (nickt) Es schmerzt besonders, dass ein Großteil des Heimatkunde-Bestandes verdorben ist. Die Regale standen genau dort an der Wand, wo das Feuer war. Davon ist vieles nicht so leicht wieder zu beschaffen.
Welche Bereiche waren im oberen Bereich noch betroffen?
Ludwig In der Hauptsache war es die Sachliteratur wie Medizin, Technik, Heimatkunde und Geschichte. Das Wasser ist aber auch in die Themenbibliothek gelaufen, wo unter anderem sämtliche Backbücher und einiges an Fachliteratur nicht mehr zu retten war. Alles wird in einem Abgangsbuch aufgeführt, das Aufschluss darüber gibt, was ein Buch gekostet hat, wie viele Ausleihen es hatte. Anhand dieser Angaben wird entschieden, ob dieser Titel wieder in den Bestand aufgenommen werden soll oder nicht.