Wermelskirchen muss mit unkalkulierbaren Energiekosten handeln Stadt kauft tagesaktuell selbst Energie ein

Wermelskirchen · Der Rat gibt einstimmig freie Hand zum schnellen Handeln. Damit kauft nun die Verwaltung am Spot-Markt Gas und Strom für städtische Gebäude. Die kalkulierten Budgets werden sich vervielfachen. Genaue Zahlen werden nicht genannt.

 Das Lächeln der Entchen im Quellenbad könnte schnell vergehen, wenn die immens gestiegenen Energiekosten eine Schließung erzwingen.

Das Lächeln der Entchen im Quellenbad könnte schnell vergehen, wenn die immens gestiegenen Energiekosten eine Schließung erzwingen.

Foto: Mario Büscher

Ab sofort wird die Stadt Strom und Gas auf den Spot-Märkten kaufen. Das bedeutet: Sind die Preise gefallen und günstig, wird gekauft. Die sogenannten Spot-Märkten zeichnet aus, dass ein Geschäft, bestehend aus Lieferung, Abnahme und Bezahlung, zum aktuellen Preis innerhalb von zwei Tagen abgewickelt wird. Damit ändert sich das bisherige Verfahren, bei dem an zuvor festgelegten drei oder vier Terminen im Jahr Energiekontingente von der Stadt eingekauft wurden. Das ist das Ergebnis einer kurzfristig einberufenen Sitzung des Stadtrats, die Bürgermeisterin Marion Lück an Ort und Stelle in eine öffentliche und nicht-öffentliche Sitzung teilte, weil Vertragsbestandteile mit dem Versorger Bergische Energie und Wasser (BEW) „schützenswert“ seien.

„Es war gut und richtig, diese Sondersitzung einzuberufen. Denn es geht hier um Summen in nicht unerheblichem Ausmaß, die weit jenseits der Grenze liegen, wo der Rat sofort informiert werden muss“, erläuterte der Fraktionsvorsitzende der Freien Wähler, Henning Rehse, auf Nachfrage unserer Redaktion. Der war zwar an dem Termin der Ratssitzung verhindert, wusste jedoch zu berichten: „Jetzt haben die Einkäufer der Verwaltung freie Hand. Dieser Beschluss ist letztlich alternativlos und einstimmig gefallen. Da hat keiner quer im Stall gestanden.“

Im öffentlichen Teil der Sitzung hatte Robert Pap vom Amt für Gebäudemanagement eine dramatische Lage in Sachen Energiebeschaffung skizziert: „Spätestens seit letzter Woche sind keine Prognosen mehr möglich. Es herrscht eine ganz besondere Lage, die nie da gewesen ist.“ Zuletzt explodierten die Preise für Strom und Gas derart drastisch, dass der Einkauf des städtischen Bedarfs für 2023 am 29. August 2022 einen Mehrbedarf von 4,95 Millionen Euro ausgelöst hätte. Der städtische Haushalt sieht da planmäßig für Strom nur 1,45 Millionen Euro und für Gas 800.000 Euro vor, ausgehend von den Preise am Wochenanfang wären es fünf Millionen und 2,3 Millionen Euro gewesen. Das bedeute letztlich, dass momentan der Bedarf gar nicht gedeckt werden könne, bemerkte Pap: „Das sind Phantasie-Preise. Es gibt ein Volumen auf dem Markt, aber keine Kontrakte. Keiner kauft, weil es zu teuer ist.“ Bürgermeisterin Marion Lück untermauerte und führte beispielhaft die Einschätzung des Düsseldorfer Stadtwerke-Geschäftsführers ins Feld: „Es geht um horrende Summen. Eine normale vierköpfige Familie könnte in 2023 Mehrkosten für Energie von 5000 Euro zu bewältigen haben. Wir sind hocherschrocken – das betrifft Privatleute wie auch die Kommune.“ Die Stadt habe eine „freie Spitze“ als Haushaltsüberschuss von 228.000 Euro in 2022 kalkuliert: „Die ist jetzt weg.“ Wie Robert Pap im Stadtrat darlegte, müsse sich die Verwaltung von dem Verfahren des Einkaufs zu bestimmten Terminen lösen: „Als nächstes wäre der 15. Oktober termniert, aber meine Sorge ist, dass das noch teurer wird. Wir müssen jetzt beschaffen – noch bis zum Ende der Woche.“

Auf Nachfrage unserer Redaktion betonte der Technische Beigeordnete Thomas Marner: „Die Stadt hat bereits den größten Teil an Strom und Gas für 2023 zu vernünftigen Konditionen eingekauft, aber das wird voraussichtlich nicht bis zum Ende des Jahres 2023 ausreichen. Deshalb war die kurzfristig einberufene Ratssitzung auch so wichtig, damit Rat und Verwaltung mit Blick auf die Zukunft zusammen daran arbeiten, um auf den aktuell sehr dynamischen Energiemarkt zeitnah zu reagieren.“ Die knapp fünf Millionen Euro Mehrkosten seien das Ergebnis eines fiktiven Rechenbeispiels, wenn die Stadt am 29. August 2022 gekauft hätte. Es mache jedoch die Dynamik des Energiemarktes deutlich. Ob mit Einschränkungen in städtischen Gebäuden zu rechnen ist, wollte Marner nicht konkret beantworten: „Bisher sind in der Verwaltung sehr viele Energiesparmaßnahmen umgesetzt worden. Jetzt werden weitere folgen, zu denen die Stadt nach der neuen Bundesverordnung zur Energieeinsparung in öffentlichen Nichtwohngebäuden verpflichtet ist. Alle weiteren Energiesparmaßnahmen werden mit dem Rat abgestimmt.“

Konkreter wird Oliver Platt, Vorsitzender der Büfo-Fraktion, und rückt einen städtischen „Energiefresser“ in den Fokus: „Das Hallenbad auf Dauer geöffnet zu halten, ist absehbar nicht möglich.“ Die Stadt müsse angesichts der steigenden Energiekosten für eine Zeit auf der „Ausgabenseite rigoros Schicht machen“. Das könne bis hin zu den freiwilligen Leistungen gehen: „Wir brauchen eine Deal mit den Bürgern, wir brauchen ein solidarisches Zusammenstehen. Es wird nicht ohne Schmerzen gehen.“ Marco Frommenkord, Fraktionsvorsitzender der FDP, befürchtet einen Anstieg des städtischen Schuldenbergs von derzeit knapp 60 Millionen auf 200 Millionen Euro in 2025 und fragt sich: „Droht das nächste Haushaltssicherungskonzept?“ Jedes weitere „Wünsch-Dir-Was“ müsse ausbleiben: „Keiner kann sagen, dass er da noch dran vorbei kommt.“

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