Mein Arbeitsplatz in Wermelskirchen Geschwindigkeiten hören

Wermelskirchen · Regine Birkendahl ist Klavier- und Cembalobauerin. Sie stimmt Tasteninstrumente. Ihr Pfund ist ihr besonderes Gehör.

 Klavierstimmerin Regina Birkendahl bei der Arbeit. Sie selbst hat jetzt wieder mit dem Klavierunterricht begonnen.

Klavierstimmerin Regina Birkendahl bei der Arbeit. Sie selbst hat jetzt wieder mit dem Klavierunterricht begonnen.

Foto: Meuter, Peter (pm)

Sie schlägt mit dem Finger entschieden die Klaviertaste an. Das A über dem mittleren C. „Hören Sie die Schwebungen“, fragt sie und lauscht dem Ton, der aus dem offenen Klavierkasten klingt. Regine Birkendahl beginnt zu zählen. Das passiert in rasender Geschwindigkeit. Und während der Laie nur einen Ton vernimmt, der mehr oder weniger stabil aus dem schweren Instrument klingt, hört die Klavierstimmerin mehr. Sie hört Schwebungen, Geschwindigkeiten, Höhen und Lautstärkeschwankungen, die dem ungeübten Gehör entgehen. „Das muss man über Jahre üben und trainieren“, sagt sie. Nein, ein absolutes Gehör habe sie nicht. Das sei in ihrem Beruf auch wenig dienlich. Aber die Erfahrung, die sie seit 32 Jahren als Klavierstimmerin gesammelt hat, lässt sie auch 17 Schwebungen pro Sekunde erkennen. „Das kann ich dann nicht mehr zählen, aber ich höre es trotzdem“, sagt sie.

Und sie liebt diesen Klang. Wenn die Töne des Klaviers zu Melodien werden, wenn die Hämmerchen die Saiten anschlagen und eine Berührung in Musik verwandeln. Das war schon damals so, als Birkendahl als junges Mädchen Klavierunterricht bekam. „Ich hatte den Wunsch, diesen Klang mit zu formen“, sagt sie. Deswegen ließ sie sich im Instrumentenbau ausbilden, wurde Klavier- und Cembalobauerin und stimmte die ersten Instrumente. „Es ist eine logische, mathematische Aufgabe“, sagt sie, „und gleichzeitig ein Handwerk.“ Das habe ihr jeher gelegen. Dazu kommen Geschicklichkeit und viel Geduld.

Inzwischen schlägt Regine Birkendahl auf dem Klavier in der privaten Musikschule „Villa Musica“ Intervalle und Terzen an. Alle Töne orientieren sich am A, das die Klavierstimmerin mit technischer Hilfe auf 443 Hertz gestimmt hat – den Kammerton. „Für Jazzmusiker stimmen wir auf 440 Hertz“, erklärt sie. Ab da an verlässt sie sich auf ihr Gehör – und auf ihren kleinen, schwarzen Koffer. Aus ihm befördert sie erst den Stimmhammer, dann den Stimmkeil. Auch eine Stimmgabel liegt in der besonderen Tasche. Und während Abdeckungen und Tastendeckel bereits abmontiert sind, beginnt sie zu hören und zu drehen, die Saiten zu spannen oder zu lockern. Manchmal klemmen Töne, oder ein Hammer ist beschädigt, manchmal hat die Zeit den Instrumenten zugesetzt oder das Wetter. Mehr als 200 Saiten bei 88 Tönen nimmt sie sich vor, überprüft ständig und gibt nicht eher Ruhe, bevor das Klavier oder der Flügel wieder richtig klingt. „Ich will das Bestmögliche rausholen“, sagt sie. Mit den Jahren sei sie eher noch anspruchsvoller geworden. Ihr begegneten Instrumente, die nicht mehr gestimmt werden konnten. Aber auch jene seltenen Schätze, deren Tasten sie anschlug und eine besondere Seele in dem Instrument entdeckte.

„Man spürt sofort, ob ein Instrument dieses besondere Etwas hat“, sagt sie, „dann singt jeder einzelne Ton.“ Manchmal begegnen ihr diese Exemplare, wenn sie Konzertbetreuungen macht, die Instrumente für die Profis gleich mehrfach am Tag stimmt – vor und nach der Probe. Wenn sie dann abends im Publikum sitzt, braucht sie eine Weile, bis sie nicht mehr mit ihren geübten Kalvierstimmerinnen-Ohren lauscht, sondern mit denen der Musikliebhaberin. Kürzlich hat Regine Birkendahl wieder selbst mit dem Klavierunterricht begonnen. „Wahrscheinlich bin ich manchmal eine ganz schön anstrengende Schülerin“, sagt sie lachend, „aber meine Liebe zur Klaviermusik ist einfach noch dieselbe wie früher.“

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