Wermelskirchen Ohne Zukunftsperspektive

Wermelskirchen · Trotz Vollzeitjob des Ehemannes: Der Verdienst reicht nicht für die vierköpfige Familie der 22-jährigen Anja. Der 52-jährige Holger arbeitete ab dem 14. Lebensjahr. Er verlor den Job wegen Krankheit.

"Was soll ich denn machen? Ich kann mich nicht ,hängen' lassen, auch wenn mir zum Weinen zumute ist. Meine Kinder brauchen mich. Die müssen ohnehin schon auf so vieles verzichten", sagt die 22-jährige Anja. Die anderthalbjährige Tochter im Kinderwagen, die Dreieinhalbjährige an der Hand, ist sie in den Pavillon der Wermelskirchener Tafel Vorm Eickerberg gekommen, um sich Lebensmittel zu holen, die dort für den pauschalen Kostenbeitrag von einem Euro abgegeben werden.

"Ich bin froh, dass es diese Möglichkeit der Hilfe jetzt gibt", sagt Anja und spricht mit der BM sehr offen über die schwierige Lebenslage, in der sich ihre Familie befindet und aus der es kaum einen Ausweg gibt. Anja ist verheiratet, seit vier Jahren. Als sie mit 18 schwanger wurde und ihre erste Tochter zur Welt kam, wurde auch per Trauschein die Familie gegründet.

Doch Anja musste ihre Ausbildung, die mit körperlich schwerer Arbeit verbunden war, abbrechen. So hat sie heute keine abgeschlossene Berufsausbildung. "Es war eine Risikoschwangerschaft. Ich musste wochenlang liegen", berichtet die junge Mutter. Ähnlich verlief die Schwangerschaft mit der zweiten Tochter.

Es geht immer schlechter

Ihr Ehemann hat einen Vollzeitjob. Aber mit dem Verdienst kann die vierköpfige Familie nicht über die Runden kommen. Seit Monaten geht's immer schlechter, seit die Lebensmittel und Energiepreise immer weiter gestiegen sind. Stark belastend sind Miete und Nebenkosten für die 65 Quadratmeter-Wohnung, auch wenn's 50 Euro Wohngeld gibt. Weil mit Nachtspeicheröfen geheizt werden muss, schmerzen die Strompreiserhöhungen.

Und weil ihr Mann ein Auto braucht, um zur Arbeit zu kommen, gehen im Monat fast 200 Euro für Sprit drauf — auch hier quälen die gestiegenen Preise. "Nach Abzug aller festen Kosten bleiben uns etwa 150 Euro zum Leben", sagt Anja und fügt hinzu: "Manchmal hilft uns mein Stiefvater mit 20 Euro, wenn's wieder gar nicht mehr geht."

"Ein Eis für die Kinder, eine Tafel Schokolade, mal ein Kinobesuch — das alles sind nahezu unerschwingliche Wünsche", sagt Anja. Und für ein kleines Geburtstagsgeschenk für ihre Kinder — demnächst wird die ältere Tochter vier Jahre — muss sie monatelang Cent für Cent sparen — wenn denn mal was übrig bleibt. "Hoffnung auf Verbesserung der Situation kann ich kaum haben", sagt die 22-Jährige und ist froh, durch die Lebensmittel der Tafel wenigstens ein klein wenig Entlastung zu bekommen, weil sie abgesehen vom Wohngeld ansonsten ohne staatliche Unterstützung auskommen muss.

Mit 52 ohne Hoffnung

Perspektivlosigkeit — dass ist auch Alltag für den 52-jährigen Holger. "Ich hab' seit meinem 14. Lebensjahr gearbeitet, bin immer gut zurecht gekommen. Krankheitsbedingt bin ich dann in die Arbeitslosigkeit gerutscht und muss nun von Hartz IV leben", berichtet er. Weil er dann mit seiner Lebensgefährtin zusammenzog, die ebenfalls Hartz IV bezieht, weil sie berufsbedingt krank geworden war und ihren erlernten Beruf nicht mehr ausüben kann, wurden dieser neuen "Bedarfsgemeinschaft" die Hartz-IV-Hilfen gekürzt. "Jetzt reicht das Geld vorn und hinten nicht mehr.

Zwei Söhne hat Holger, hat ihnen anständige Berufsausbildungen ermöglicht. "Ich habe immer gedacht: So mit 50 sind die Kinder groß und selbstständig. Dann kannst du dir auch selber mal was leisten. Das ist jetzt nur noch ein Traum aus der Vergangenheit", sagt er und wischt verstohlen mit der Hand über seine Augen . . .

(RP)
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