Ein Jahr nach der Hochwasser-Katastrophe in NRW Auf den Schock folgten die Chancen

Serie | Solingen / Wermelskirchen · Das Hochwasser im Sommer 2021 wirkte wie eine Art Initialzündung: In Solingen hat die Evangelische Kirchengemeinde mit großer Unterstützung von Ehrenamtlichen neue Ideen verwirklicht.

Solingen: Juli-Flut 2021 bringt neue Ideen für Ausbau der Unterburger Kirche
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Juli-Flut bringt neue Ideen für Ausbau der Unterburger Kirche in Solingen

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Foto: Christian Beier

Das Wasser stand Schulterhoch und hinterließ Schlammmassen. Die Heizung und Elektronik hatten den Geist aufgegeben. Die alte kleine Kirche war im Innenraum kaum wieder zu erkennen. Das war im Juli 2021. Ein Jahr später steht Pfarrerin Almuth Conrad auf dem hellen Holzboden in dem alten Kirchenschiff. Weitermachen ? „Auf keinen Fall“, sagt die Evangelische Pfarrerin. Und dann lächelt sie: „Neu anfangen“.

Kaum hatte der Schock im vergangenen Juli etwas nachgelassen – viele ehrenamtliche Hände hatten Wasser geschöpft, Schlamm beseitigt, die Kirche ausgeräumt und die schmutzigen Spuren der Flut weggeschafft – da sprudelten in Unterburg die Ideen. „Das Hochwasser hatte etwas ausgelöst“, sagt die Pfarrerin. Was dann passierte, war allerdings kaum abzusehen gewesen: Während die Evangelische Kirchengemeinde, zu deren Bezirk Hünger das Unterburger Gotteshaus samt der evangelischen Gemeindeglieder gehören, über eine Aufgabe der Kirche nachdachte, regten sich die Ehrenamtlichen im Ort. Die Zahl der Gottesdienstbesucher und der Veranstaltungen in der Kirche waren in den vergangenen Jahrzehnten immer weiter zurückgegangen. Aber die Menschen in Unterburg – vorneweg Regina Brabender und Birgit Siekmann – waren nicht bereit, ihre Kirche aufzugeben. Also boten sie ihr ehrenamtliches Engagement an, um gemeinsam mit der Kirchengemeinde über künftige Nutzungskonzepte nachzudenken.

Kaum war die Kirche vom Schlamm befreit, kamen Helfer aus dem westfälischen Halle und legten einen provisorischen Boden, die Orgel wurde ausgebaut, Trocknungsgeräte aufgestellt. Und als die Kirche wieder einigermaßen nutzbar war, trafen sich die Unterburger mit Vertretern der Kirchengemeinde, um über Perspektiven nachzudenken. „Wir haben schließlich beschlossen, uns allen und der Kirche etwas Zeit zu geben“, sagt die Pfarrerin.

Inzwischen läuft diese Erprobungsphase seit fast einem Jahr: „Wir probieren aus, was möglich ist und was nicht möglich ist“, sagt Almuth Conrad. Die Idee: Die Kirche soll ein soziokultureller Treffpunkt sein. Ein Raum für Begegnung – aber auch für geistliche Einkehr. Inzwischen gastieren Chöre und Bands für besondere Konzerte in dem Gotteshaus. Die Besucher nehmen die Veranstaltungen an, lauschen Melodien, die bisher eher selten in der Kirche zu hören waren und freuen sich über Künstler, die auch von sich aus nach einem Auftritt in den alten Mauern fragen. Es finden gelegentlich besondere Gottesdienste statt, wie die Jubelkonfirmation Ende Mai. Nach dem Gottesdienst wurden die Stühle zur Seite gestellt und Kaffeetafeln gedeckt. „Das war schön und neu“, sagt Almuth Conrad.

Sie erinnert aber auch daran: „Wir sind noch mitten in der Erprobungsphase“. Dazu gehört die Arbeit einer Perspektivgruppe, die gemeinsam mit dem Kirchenkreis und der Gemeindeberatung der Landeskirche Perspektiven auslotet – auch mit Blick auf bauliche Maßnahmen. Eine höhere sechsstellige Summe wäre nötig, um das alte Gebäude nach der Flut für die Zukunft zu rüsten. Anträge für Fördergelder aus dem Hochwassertopf sind bis Juni 2023 möglich.

„Im Moment sieht es so aus, als ob wir hier den Neustart wagen“, sagt die Pfarrerin – ohne etwas vorwegnehmen zu wollen. Es gebe noch so viele offene Fragen: Kann das alte, überschwemmte Gemeindehaus künftig Küche, Sanitäranlagen und einen kleinen Gemeinschaftsraum beherbergen ? Wird dafür ein neues Gebäude notwendig? Gibt es ein Heizungskonzept, das finanzierbar ist und den Bedürfnissen der Menschen in der Kirche entspricht?

Die Menschen in Unterburg haben sich auf die Suche nach Antworten gemacht – und werden mehr und mehr fündig. Inzwischen haben sie den zweiten 1000er-Pack Kerzen bestellt: Denn seit die Kirche ganztags zur Einkehr für Spaziergänger geöffnet hat, nutzen viele die Gelegenheit, um ein Licht zu entzünden.

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