Interview Cornelia Seng "In Wermelskirchen funktioniert das Miteinander"

Wermelskirchen · Seit zweieinhalb Jahren leisten die Pastorin und ihre Mitstreiter von "Willkommen in Wermelskirchen" soziale Arbeit für Flüchtlinge und Zuwanderer. Seng zieht insgesamt eine positive Bilanz. Die Politik müsse aber endlich eine Brücke zwischen Asylrecht und Einbürgerung schlagen, fordert sie.

 Die 62-jährige Pastorin Cornelia Seng ist Initiatorin und treibende Kraft der Initiative "Willkommen in Wermelskirchen".

Die 62-jährige Pastorin Cornelia Seng ist Initiatorin und treibende Kraft der Initiative "Willkommen in Wermelskirchen".

Foto: Jonas Kunst

Als Initiatorin und treibende Kraft der Initiative von Christen für geflüchtete Menschen "Willkommen in Wermelskirchen" (WkiWk) steht Pastorin Cornelia Seng in der ersten Reihe einer inzwischen mehr als zweieinhalbjährigen Integrationsarbeit, die über die Stadtgrenzen hinaus Anerkennung findet. Ihre ehrenamtliche Aufgabe und Verantwortung empfindet die 62-Jährige, die am Gymnasium unterrichtet, aber nicht als Last. Vielmehr schöpft sie die nötige Kraft aus ihrem Glauben und weiß, dass sie sich auf ihre etwa 500 freiwilligen Mitstreiter verlassen kann. Sie kennt ihre persönlichen Grenzen und stellt Forderungen an die Politik, die Grenzen überwinden sollen.

Was war die Motivation, eine inzwischen in Wermelskirchen nicht mehr wegzudenkende Initiative für Flüchtlinge zu gründen?

 In Wermelskirchen reichen die Menschen einander oft die Hand, findet Cornelia Seng - und das ohne Verpflichtung.

In Wermelskirchen reichen die Menschen einander oft die Hand, findet Cornelia Seng - und das ohne Verpflichtung.

Foto: Pixabay

Cornelia Seng In erster Linie die Idee vom menschenfreundlichen Zusammenleben. Ich bin in vollem Bewusstsein Christ. Die Initialzündung stammt aus der Schrift. Im Christentum ist völlig klar, dass Gott auf der Seite des Fremden steht. Deshalb ist es großartig, dass alle christlichen Gemeinden in Wermelskirchen aktiv an der Initiative beteiligt sind.

Gab es einen persönlichen Anlass?

Seng Mein Ur-Erlebnis hatte nichts mit Flüchtlingen zu tun. Auf dem Weg nach Hause hörte ich, wie Schüler einer anderen Schule hinter meinem Rücken sagten: "Da kommt eine Sch....-Lehrerin." Es gelang uns dann, mit den jeweiligen Schulleitungen und den Schülern ein Gespräch zu führen - sie haben sich entschuldigt. Das ist gut gelungen und war ein Aha-Erlebnis für mich. Hier muss doch jeder leben können, ohne beschimpft zu werden!

Wie ging es dann weiter?

Seng Im Jahr 2014 saß dann ein junger Mann aus Afrika neben mir in der Kirche. Da war mir klar, dass die ersten Flüchtlinge der damaligen sogenannten Welle in Wermelskirchen sind. Dieser junge Mann wünschte sich Kontakt und bedauerte, dass die Deutschen nie Zeit hätten. Da habe ich mich dann auf die Socken gemacht.

Jetzt hat das Rad mehr Schwung bekommen als vielleicht anfänglich zu erwarten war...

Seng Normalerweise wird in Kirche oder anderen Strukturen ein Projekt entwickelt und dann werden Leute zur Umsetzung gesucht. Bei "Willkommen in Wermelskirchen" geht es anders herum - es sind Einzelaktionen, die gewachsen sind und wachsen. Wer helfen will, sagt, was ihm Spaß macht und wie viel Zeit er hat. Dafür suchen und finden wir dann einen Platz. So haben wir die Vielfalt und Breite erreicht. In der Sozialarbeit nennt man das Graswurzelbewegung.

Ist diese Niederschwelligkeit wichtig?

Seng Sie hilft in jedem Fall. Deshalb haben wir als Initiative bewusst entschieden, keinen Verein zu gründen - die Behäbigkeit wollen wir uns ersparen. Außerdem arbeiten wir ja ganz eng mit Vereinen wie der Tafel, dem Kinderschutzbund oder dem Deutschen Roten Kreuz, in der Zeit der Erstaufnahmeeinrichtungen, sowie der klassischen Flüchtlingsarbeit von der Caritas zusammen. Wir sind flexibel und handeln kurzfristig. Gerade erst kam eine Studentin, die in den Semesterferien mithelfen wollte. Die konnten wir sofort in die Initiative einbinden.

Wie lässt sich das in der Praxis organisieren?

Seng Ein großer E-Mail-Verteiler, unsere Internetseite oder auch Handy-Kurznachrichtendienste nutzen wir intensiv. Dazu kommt das Vertrauen untereinander: Ich setze darauf, dass es klappt - und das hat bislang immer funktioniert.

Können Sie ein Beispiel nennen?

Seng Beim jüngsten Frauennachmittag meldeten sich erst nur zwei deutsche Frauen zum Mitmachen, später waren es dann doch 15. Und mit gut 25 geflüchteten Frauen war das Jugendcafé schließlich rappelvoll. Obendrein haben unsere Mentorinnen und Mentoren, die Flüchtlinge betreuen, ihre Stellvertreter. Zum Beispiel will ein Rentner, der sich bei WkiWk engagieren möchte, die Flexibilität des Ruhestandes erhalten, vielleicht um vier Wochen am Stück zu verreisen - darauf nehmen wir in der Arbeit Rücksicht.

Sind Sie froh, dass die Initiative offenkundig fruchtbare Arbeit leistet?

Seng Ich bin dankbar. Menschliches Miteinander lässt sich nur gemeinsam organisieren. Ich versuche, Menschen in Kontakt zu bringen. Meine Einstellung zum Leben bringt es mit sich, dass ich gerne mit Menschen zusammen bin - das sorgt für andere Perspektiven und einen anderen Blick.

In welchem gesellschaftlichen Kontext steht WkiWk aktuell?

Seng Es ist nach wie vor an der Zeit, aufzustehen und sich nicht zurückzuziehen. Wir müssen uns um unser Land und um unsere Demokratie kümmern. Ich lebe gerne in Wermelskirchen, und wir möchten das Leben hier in Frieden gestalten. In Wermelskirchen funktioniert das Miteinander vergleichsweise gut.

Gab es schon Anfeindungen gegen Sie?

Seng Gegen mich persönlich gibt es tatsächlich keine Anfeindungen. Einmal verbreitete jemand mit gefälschter E-Mail-Adresse unter meinem Namen einen Brief. Dagegen habe ich Strafanzeige gestellt. Den meisten Empfängern war allerdings sofort klar, dass das Schreiben nicht von mir sein konnte.

Wie beurteilen Sie die politischen Diskussionen rund ums Thema Flüchtlingen?

Seng Die Politik muss endlich eine Brücke zwischen Asylrecht und Einbürgerung schlagen. Menschen, die hier sind und hier leben wollen, brauchen Bleiberecht: Es kann doch nicht sein, dass ein junger Mensch mit Ausbildungsvertrag ausgewiesen wird. Viele Menschen leben in Angst vor Abschiebung - das ist inhuman. Wir investieren in diese Menschen unser Engagement sowie Steuergeld und schieben sie dann wieder ab? Das ist unmenschlich, unlogisch, unökonomisch!

Fühlen Sie sich manchmal mit all diesen vielen Aufgaben, die sie haben, auch überfordert?

Seng Ich genieße das Leben, wie es ist. Letztlich mache ich die WkiWk-Arbeit ehrenamtlich. Dadurch habe ich die Freiheit, zu verreisen wie zuletzt über die Karnevalstage. Natürlich könnte man immer noch mehr tun, ich stehe zu meinen eigenen Grenzen.

STEPHAN SINGER FÜHRTE DAS GESPRÄCH.

(sng)
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