Montagsinterview Ertan Güven „Im Gerichtssaal geht es fair zu“

Wermelskirchen · Ertan Güven ist seit zehn Jahren Amtsrichter. Im BM-Interview spricht er über seine Arbeit und die Grundsätze des Rechtsstaates.

 Ertan Güven, ist der stellv. Direktor beim Amtsgericht Wermeskirchen

Ertan Güven, ist der stellv. Direktor beim Amtsgericht Wermeskirchen

Foto: Moll, Jürgen (jumo)

Herr Güven, wie lange arbeiten Sie schon als Richter?

Ertan Güven Ich bin seit etwa zehn Jahren als Amtsrichter tätig, habe dabei auch schon verschiedene Rechtsgebiete gemacht. Angefangen von zivilrechtlichen Sachen bis zu Familiensachen. Mein Schwerpunkt ist aber das Strafrecht, darin war ich in den zehn Jahren überwiegend tätig.

Was hat Sie dazu bewogen, Jura zu studieren?

Güven Ich habe ein ausgeprägtes Gerechtigkeitsempfinden. Das äußert sich dahingehend, dass ich nicht einfach wegschauen kann, wenn ich Unrecht mitbekomme. Dabei spielt es keine Rolle, ob das Unrecht mir oder einem anderen widerfährt. Das war schon zu Schulzeiten so. Dazu kommt, dass ich ein sehr kommunikativer Mensch bin. Ich dachte, dass das Jurastudium das Richtige für mich ist, wenn diese beiden Eigenschaften zusammenkommen. Rückblickend war es die richtige Entscheidung, die ich nie bereut habe.

Wie wird man zum Richter?

Güven Nach dem ersten Staatsexamen ist man Jurist. Um als Richter, Rechts- oder Staatsanwalt arbeiten zu können, muss man ein zweijähriges Referendariat absolvieren. Nach dem zweiten Staatsexamen kann man dann richterlich oder anwaltlich tätig werden – wobei für das Richter- und Staatsanwaltsamt in der Regel ein Prädikatsexamen Voraussetzung ist. Das schaffen jährlich etwa zehn bis 15 Prozent der Absolventen.

Was wird am Amtsgericht verhandelt?

Güven Hier werden einerseits Zivilsachen verhandelt – Ansprüche von Bürgern gegen Bürger oder juristischen Personen gegen Bürger und umgekehrt. Diese sind meist finanzieller Natur – bis zu einer Höhe von 5000 Euro, alles darüber geht ans Landgericht –, können aber auch ein Tun oder Unterlassen zum Inhalt haben. Familiensachen werden ausschließlich am Amtsgericht verhandelt. Außerdem werden Strafsachen im Erwachsenen- und Jugendbereich vor einem Strafgericht oder Schöffengericht verhandelt. Verhandelt werden zu erwartende Strafen bis zu vier Jahren Freiheitsstrafe – alles darüber geht ans Landgericht –, Kapitalverbrechen werden direkt vor dem Landgericht angeklagt.

Wie sieht der Weg von der Tat zur Richterbank aus?

Güven Irgendwo passiert eine Straftat. In der Regel wird zuerst die Polizei eingeschaltet, die dann ermittelt. Die Ermittlungsakten kommen dann zur Staatsanwaltschaft, die dann entscheidet, ob Anklage erhoben wird oder die Sache eingestellt wird. Bei hinreichendem Tatverdacht wird dann Anklage erhoben und das Strafgericht entscheidet, ob das Verfahren eröffnet wird.

Haben die Zeugen und Angeklagten in der Regel Respekt vor dem Gericht?

Güven Darüber diskutieren wir häufiger auch mit älteren Kollegen. Die herrschende Ansicht ist, dass der Respekt vor dem Amtsgericht nachgelassen hat. Ich finde allerdings, dass es vor zehn Jahren noch etwas schlimmer als heute war. Damals waren diese Gerichtssendungen im Privatfernsehen noch sehr präsent – da hat man dann teilweise ähnliche Szenen erlebt, wenn sich jemand schauspielerisch produziert hat, herumgeschrien hat oder frech geworden ist. Gleichzeitig vertrete ich die Ansicht, dass man sich sein „Publikum“ ein wenig „erziehen“ kann. Man kann sich den Respekt verschaffen, was oft am Anfang einer Verhandlung passiert. Wenn etwa jemand mit Kaugummi und Käppi auf dem Kopf den Gerichtssaal betritt, kann man sehr schnell in zielsicherem Ton sagen, dass das hier so nicht geht. Dann herrscht schnell ein gewisser Respekt. Ich habe tatsächlich selten Probleme im Gerichtssaal. Wichtig ist, dass man den Menschen vermittelt: Im Gerichtssaal geht es fair zu. Dieses Feedback bekomme ich häufig.

Welche Delikte werden denn am häufigsten verhandelt?

Güven Beim Amtsgericht kommen häufig Vermögensdelikte vor. Da gibt es eben oft Fälle von Betrug beim Verkauf über Online-Plattformen, der fälschliche Bezug von Arbeitslosengeld I oder II oder wenn Menschen Waren kaufen, aber niemals die Absicht haben, diese auch zu bezahlen. Ein weiterer Bereich ist der Diebstahl, meistens der Laden- oder Einbruchsdiebstahl. Außerdem kommen Fälle im Betäubungsmittelbereich vor, wenn etwa geringe Mengen von Betäubungsmitteln ohne die dazugehörige Erlaubnis besessen werden. Ein weiterer Bereich sind Diskotheken-, Kneipen oder Schulhofprügeleien – also den Bereich der Körperverletzung sowie Fälle aus dem Bereich des Straßenverkehrs: Fahren ohne Fahrerlaubnis oder unter Drogen- und Alkoholeinfluss etwa. Seltener sind Fälle der Vergewaltigung oder der sexuellen Nötigung.

Haben Sie regelmäßige „Kunden“ auf der Anklagebank?

Güven In der Regel schon, häufiger allerdings im Jugendbereich. Das liegt auch daran, dass bei Jugendlichen der Wohnort entscheidend ist, wo verhandelt wird, während es bei Erwachsenen der Tatort ist. Der Sinn dahinter ist, dass so für den Jugendlichen immer derselbe Richter zuständig ist, um so die Entwicklung des jugendlichen Straftäters im Auge zu haben. Auch Erwachsene kommen immer wieder vor Gericht, vor allem im Bereich der BTM-Kriminalität. Aber auch hier gelingt es einigen Angeklagten denn Absprung zu schaffen. Das habe ich schon einige Mal erlebt. Wenn etwa ein Mensch zu mir kommt, der mir sagt: Sie haben mir damals vor Gericht in das Gewissen geredet, mir Auswege aufgezeigt, und das habe ich mir zu Herzen genommen. Wenn so jemand dann eine Familie hat, eine Ausbildung angefangen oder abgeschlossen – das sind Momente, die meine Arbeit für mich noch wertvoller machen. Aber sie sind doch in der Unterzahl.

Gibt es Fälle, die Ihnen im Gedächtnis geblieben sind?

Güven Ja, die gibt es. Manchmal ist es schwer, Fälle zu verarbeiten oder nicht mit nach Hause zu nehmen. Mir ist beispielsweise ein Fall in Erinnerung, in dem es um eine fahrlässige Tötung ging. Hintergrund war ein Lkw mit Anhänger, der auf der Landstraße ausgeschert ist und einen entgegenkommenden Pkw mit dem Anhänger so gerammt hat, dass das Dach des Pkw abrasiert wurde. Vorne saß das Ehepaar, hinten das Kind mit den Großeltern. Der Kopf des Großvaters wurde bei dem Unfall abgetrennt. Das waren wirklich schlimme Bilder in der Akte. Es war eine sehr umfangreiche Ermittlung mit vielen Zeugen und vier Sachverständigen. In der Hauptverhandlung hatte dann der vierte Sachverständige den Fall gelöst: Der Lkw war einmal durch die HU gefallen, weil gravierende Mängel vorlagen. In der zweiten HU wurde dann aber viel zu kurz geprüft, so dass gar nicht festgestellt werden konnte, ob die Mängel behoben waren. Was sie ganz offensichtlich ja nicht waren. Das war eine sehr tragische und schwere Verhandlung gewesen. Aber auch viele Fälle von Misshandlung und Vergewaltigung von Minderjährigen sind mir immer noch präsent. Wenn man die jungen Opfer erlebt, ist es schwer, am Abend aus dem Büro zu gehen und so zu tun, als ob nichts gewesen wäre.

Wie würden Sie Gerechtigkeit definieren?

Güven Das ist eine schwierige Frage. Man sagt ja: Recht haben und Recht bekommen sind zwei Paar Schuhe. Der Gesetzgeber hat ja nicht umsonst den Grundsatz geprägt: In dubio pro reo – im Zweifel für den Angeklagten. Das hat den Hintergrund, dass niemand zu Unrecht verurteilt werden soll. Aber natürlich müssen schuldige Täter zur Rechenschaft gezogen werden. Im Strafrecht schöpfe ich alle Beweise aus und wenn ich dann zur Überzeugung komme, dass die Straftat nachgewiesen werden kann, dann kann ich auch guten Gewissens einen Menschen verurteilen. Umgekehrt: Wenn ich das Bauchgefühl habe, dass jemand schuldig ist, aber eben keine Beweise habe, dann muss ich denjenigen freisprechen. Das ist in unserem Rechtsstaat so und das finde ich auch sehr gut.

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