Vegan oder vegetarisch ernähren in Wermelskirchen „Mangelerscheinungen sind sehr selten“

Interview | Süppelbach · Die Wermelskirchener Ernährungsberaterin Julia Klauke klärt im Interview über vegetarische und vegane Ernährung auf. Sie plädiert dafür, sein Essverhalten nicht unbedingt schwarz-weiß zu betrachten.

 Julia Klauke ist Ernährungswissenschaftlerin und hat in Süppelbach eine eigene Praxis.

Julia Klauke ist Ernährungswissenschaftlerin und hat in Süppelbach eine eigene Praxis.

Foto: Jürgen Moll

Frau Klauke, wieso fällt es vielen Menschen schwer zu akzeptieren, dass ihr Gegenüber Vegetarier oder Veganer ist?

Klauke Schwer zu sagen. Vielleicht weil es die Essensauswahl an der einen oder anderen Stelle etwas komplizierter macht, vielleicht auch aus Unwissenheit. Häufig spielt hier aber auch eine dogmatische Denkweise eine Rolle – auf beiden Seiten, die der Vegetarier/Veganer auch eben auch die der Fleisch-Esser. Mir begegnet das häufig, und ich finde es schade, dass unsere Ernährung hier manchmal so zum Dogma wird. Von einem Veganer wird erwartet, dass er sich bloß zu 100 Prozent vegan ernährt, keinen Honig isst und auch keine Lederschuhe trägt, und es mag sicherlich viele Veganer geben, die ihre Lebensweise auch für sich so ausleben. Aber ich denke, man muss sein Essverhalten nicht unbedingt so schwarz-weiß betrachten. Schließlich gibt es auch noch ganz viel dazwischen. Ich kann mich ja auch „veganer“ oder „vegetarischer“ ernähren – ohne hundertprozentigen Verzicht. Das sollte jedem selbst überlassen sein.

Wie definiert die Ernährungswissenschaft vegane und vegetarische Ernährung?

Klauke Die vegane Ernährung beinhaltet eine ausschließlich pflanzliche Ernährung. Der Vegetarier ernährt sich zusätzlich zu pflanzlichen Lebensmitteln auch von Milchprodukten (lakto-vegetabil) und Ei (ovo-lakto-vegetabil. Die ovo-lakto-vegetabile Kost ist die, die im Volksmund häufig als vegetarisch bezeichnet wird.

Ist es grundsätzlich eher gesund oder ungesund, sich vegetarisch oder vegan zu ernähren?

Klauke Vegetarier leiden nachweislich seltener an Bluthochdruck und zu hohen Cholesterinwerten was das Risiko an Diabetes, Gicht, Herzkreislauferkrankungen oder bestimmten Krebsarten zu erkranken senken kann. Tatsächlich ist sogar die Lebenserwartung von Vegetariern in der Regel etwas höher als die von Mischköstlern. Für eine gesunde vegane Ernährung benötigt es allerdings etwas Know-How, deshalb würde ich eine vegane Ernährung nie pauschal als gesund bezeichnen.

Der Körper braucht Eisen und andere Nährstoffe, die in Fleisch und Fisch stecken – sich vegan zu ernähren, führt zu Mangelerscheinungen. Das ist das wohl beliebteste Argument das häufig gegen Veganismus oder Vegetarismus angebracht wird. Ist da was dran?

Klauke Ja, da ist was dran. Aber an der Stelle muss erstmal gesagt sein, dass Vegetarier und Veganer durch den Verzicht auf Fleisch und Fisch eben häufig deutlich mehr Obst und Gemüse zu sich nehmen – also ist auch die Zufuhr von Ballaststoffen, vielen wichtigen Vitaminen und Mineralstoffen ebenfalls häufig höher als die eines Mischköstlers. Sich vegetarisch zu ernähren, geht insgesamt sehr selten mit Mangelerscheinungen einher. Kritische Nährstoffe können Eisen, Jod und Omega-3-Fettsäuren sein. Bei der veganen Ernährung wird es schon etwas komplizierter, hier sind Mangelerscheinungen häufiger, und man sollte sich deutlich mehr mit Nahrungsmitteln und Nährstoffen auseinandersetzen und eben auch auf Nahrungsergänzungsmittel zurückgreifen. Zusätzlich kritisch sind hier häufig Calcium, Vitamin B2 und Vitamin B12. Beide Ernährungsweisen kann man abwechslungsreich und gesund gestalten, beide eben aber auch so einseitig, dass Mangelerscheinungen entstehen.

Stimmt es, dass vegane oder vegetarische Ernährung auch ungesund ist, weil in Ersatzprodukten sehr viel „Chemie“ – also Zusatzstoffe und ähnliches – enthalten sind?

Klauke Fertigprodukte oder stark verarbeitete Produkte enthalten tatsächlich häufig viele Zusatzstoffe. Das ist aber unabhängig davon, ob es sich um pflanzliche oder tierische Fertigprodukte handelt. Wer sich möglichst natürlich und Zusatzstoff-arm ernähren möchte, sollte auf möglichst natürliche Lebensmittel zurückgreifen – das geht auch in einer vegetarischen oder veganen Ernährung gut. Man muss ja nicht direkt zu den fertigen Sojafrikadellen greifen, vielleicht tut es auch ein selbstgemachter Linsenburger! Es sind auch nicht alle Zusatzstoffe in Ersatzprodukten ungünstig. Häufig wird Milchersatzprodukten wie Soja-, Mandel oder Hafermilch Calcium zugesetzt. Eine sehr sinnvolle Ergänzung, wie ich finde, um den Calciumbedarf von jemandem, der auf Milchprodukte verzichtet, zu decken.

Ist eine vegane oder vegetarische Ernährung prinzipiell für alle Menschen geeignet?

Klauke Eine vegetarische Ernährung ist für die meisten Menschen geeignet, auch Kinder, Schwangere und ältere Menschen können sich vegetarisch ernähren, das erfordert allerdings ein bisschen höhere Kenntnisse über Ernährung und Nährstoffe sowie die passende Lebensmittelauswahl. Eine rein vegane Ernährung würde ich Personen mit einem erhöhten Nährstoffbedarf nicht empfehlen.

Wenn ich mich vegan oder vegetarisch ernähren möchte, muss sich mein Körper dann erst einmal an die Umstellung gewöhnen?

Klauke Ja, das kann passieren. Gerade wenn man durch eine pflanzliche Ernährung den Ballaststoffgehalt der Ernährung recht plötzlich erhöht (also mehr Vollkorngetreide, Hülsenfrüchte, Obst und Gemüse) kann das gerade zu Beginn zu Blähungen und Bauchschmerzen führen. Am besten steigert man langsam, dann kann der Körper sich besser gewöhnen.

Welche Ernährungsweise würden Sie generell empfehlen, weil sie die gesündeste ist?

Klauke Eine generelle Empfehlung für die eine gesündeste Ernährungsweise gibt es leider nicht. Jeder Mensch ist so individuell, dass man hier keine allgemeingültigen Aussagen machen kann. Wie oben schon erwähnt ist es wichtig, sich abwechslungsreich zu ernähren. Für gesunde Menschen ist es grundsätzlich gut, auf viel Gemüse, Vollkorngetreide und hochwertige pflanzliche Öle zurückzugreifen kombiniert mit mageren Milchprodukten, Obst und Fisch. Aber eine gesunde Ernährung hängt noch von vielen weiteren wichtigen Faktoren ab wie Erkrankungen, persönliche Geschmäcker, ethische Grundsätze, Alltagstauglichkeit und vieles mehr. Deshalb will ich das ungern pauschalisieren.

Warum fällt es vielen Menschen schwer, auf Fleisch oder Fisch zu verzichten?

Klauke Das liegt einerseits an unserem natürlichen „Eiweißhunger“, denn der Körper benötigt Proteine zum Überleben, und wir sind erst wirklich satt, wenn unser Hunger danach gestillt wurde. Andererseits empfinden wir eine bestimmte Geschmacksrichtung, den sogenannten Umami-Geschmack, wenn wir proteinreiche Nahrung zu uns nehmen. Umami bedeutet so viel wie „wohlschmeckend“ oder „köstlich“. Vor allem bei Fleisch und Fisch, was natürlich reich an Glutamat ist, empfinden wir den Umami-Geschmack. Glutamat steigert den Eigengeschmack der Nahrung und wird sogar als künstlicher Geschmacksverstärker eingesetzt.

Denken Sie, dass sich zukünftig die Ernährungsweise der Menschen in Deutschland verändern wird? Wenn ja, wie?

Klauke Ja, ich finde das merkt man schon seit einigen Jahren. Die Menschen fangen mehr an zu hinterfragen, wo das Essen herkommt und was es eigentlich mit unserem Körper anstellt. Auch die Themen Nachhaltigkeit, Tierwohl und Klimaschutz spielen immer größere Rollen im Bezug auf unser Essverhalten. Das finde ich eine richtige und wichtige Entwicklung, schließlich haben wir nur einen Körper und auch nur einen Planeten – und auf den sollten wir gut Acht geben.

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