Sängerin Sihna Maagé Keine Angst vor dem Fallen

Wermelskirchen / Remscheid · Vor einigen Jahren hat die 26-jährige Wermelskirchenerin den Weg als Musikerin eingeschlagen. Sie wollte gerade ihre zweite CD veröffentlichen, dann kam die Corona-Krise. Jetzt ist erneut Mut und Durchhaltevermögen gefragt.

 Sihna Maagé arbeitet als Musiklehrerin in Wermelskirchen, steht solo auf der Bühne – aber auch an der Seite ihrer Freundin Johna.

Sihna Maagé arbeitet als Musiklehrerin in Wermelskirchen, steht solo auf der Bühne – aber auch an der Seite ihrer Freundin Johna.

Foto: Dieter Eberhardt

Durch die Tür hört sie das Mädchen, das vor ihr an der Reihe ist – und fast verlässt sie der Mut. Das Klavierspiel ist so rein und fehlerlos, wahrscheinlich spielt sie seit ihrem fünften Lebensjahr. Sie denkt an sich selbst, an die überschaubare Zeit, in der sie sich überwiegend anhand vieler Tutorials und Tipps von ihrem Vater das Klavier und Gitarre spielen beigebracht hat und dazu sang. Gehört sie wirklich hier hin, sind nicht alle anderen viel besser als sie ?

Sie nimmt all ihren Mut zusammen, versucht ihr klopfendes Herz zu ignorieren und ihre Gedanken auf das, was vor ihr liegt, zu fokussieren. Das hier ist ihre Chance – und in einer Sache ist sie sich ganz sicher: Sie will die Aufnahmeprüfung zum Musikstudium an der Universität Wuppertal schaffen und ihrem Traum näherkommen, ihre große Leidenschaft zu verwirklichen.

Sieben Jahre später steht Sihna Maagé vor einer neuen großen Herausforderung, die anders als damals eher ein Dämpfer als eine Chance ist. „Meine Eltern haben mich immer unterstützt. Aber sie haben mich auch gewarnt, dass man an so einem Traum scheitern kann.“ Die 26-Jährige sitzt mit ihrer Freundin und Kollegin Johna im Auto – auf dem Beifahrersitz, dort, wo sich die gebürtige Remscheiderin am wohlsten fühlt.

Statt das nächste Konzert steuern sie einen Supermarkt an, einer der wenigen Orte, zu denen man Ende April in Deutschland Zutritt hat. Das Coronavirus einen Strich durch geplante Gigs gemacht, bei denen sie der Welt ihre neue CD zeigen wollte. Denn ja, sie hat an dem besagten Tag im Frühjahr 2013 die Tür zur Aufnahmeprüfung geöffnet, die Jury überzeugt und ernst gemacht mit der Karriere als Musikerin. Schon seit einigen Jahren ist sie diejenige, die Kindern und Jugendlichen das Singen beibringt und ihnen dabei vor allem eins mit auf den Weg gibt: Mut.

Neben ihren Auftritten unterrichtet Sihna Maagé Popgesang an der Musikschule in Wermelskirchen und gibt Workshops im Jugendzentrum der Kattwinkelschen Fabrik. Viele Schüler hätten anfangs Zweifel, ob sie überhaupt singen können. Dabei sei es mit dem Singen ein bisschen wie beim Eislaufen: Erst muss man auf dem Eis klarkommen, dann kann man mehr wagen. „Was man dabei braucht, ist eine gute Person, die einen unterstützt.“ Für viele ihrer Schüler ist sie selbst diese gute Person, auch wenn sie das niemals sagen würde – dazu ist sie zu bescheiden. Auch Sihna Maagé hatte neben ihrer Familie eine wichtige Person dabei, durch die sie von heute auf morgen mehr gewagt hat.

Als sie 2016 ein paar erste Songs geschrieben hatte und Unterstützung suchte, lernte sie Nina Krämer kennen. Die Sängerin mit dem Künstlernahmen Johna, die Sihna um ein paar Lebensjahre und einiges an Musikerfahrung voraus war, bot ihr an, zusammen bei Rock am Markt aufzutreten, dem allsommerlichen Open-Air-Festival in Wermelskirchen. Das harmonierte so sehr, dass sie Sihna Maagé kurzerhand mit auf die Canadian Music Week nach Toronto nahm. Darauf folgten zahlreiche Doppelkonzerte, die sie unter anderem an den Bodensee, in die Schweiz, nach Hamburg und in die Karibik führten.

 Sihna Maagé (r.) bei einem Konzert mit Kollegin Johna.

Sihna Maagé (r.) bei einem Konzert mit Kollegin Johna.

Foto: Thomas Kopp

Kurz bevor Sihna die Bühne betritt, fokussiert sie sich ganz auf ihre Musik. Ein bisschen Lampenfieber ist immer noch dabei. „Das ist auch gut so, es pusht einen“, erzählt die Singer-Songwriterin, deren Musik in Richtung Soul-Pop geht, inspiriert von ihren Lieblingskünstlern wie Amy Winehouse und Jamie Cullum. Nicht immer klappen die Konzerte reibungslos, doch sie hat gelernt damit umzugehen – und nicht zu erwarten, dass nach den ersten Tönen alle an ihren Lippen hängen. Dass sie das so gut kann, hat möglicherweise einen besonderen Grund.

Sihna Maagé war schon als Kind viel unterwegs. Sie besuchte fünf verschiedene Schulen, weil sie unter anderem wegen des Jobs ihrer Mutter öfter umzog und zwischendurch mal in Bremen, mal in Rheine lebte. „Dramatisch war das nicht, ich fand es irgendwie spannend“, sagt die Sängerin, die heute nach einem kurzen Zwischenstopp in Köln mit ihrem Freund in Leverkusen lebt. „Vielleicht habe ich da auch etwas von meiner Offenheit her.“

Offen und klar möchte sie sich auch in ihrer Musik ausdrücken und singt deswegen neuerdings auf Deutsch. „Hinter einer Fremdsprache kann man sich immer ein bisschen verstecken.“ Stattdessen will sie Themen anschneiden, die sie bewegen – und das ist vor allem das Leben als Künstlerin. Und zwar als Künstlerin, die ihren Lebensunterhalt bestreiten muss und noch keinen riesigen Erfolg hat. Sie nerven die gut gemeinten Ratschläge wie „Schick’ doch mal deinen Song zum Radio“ oder „Musik machen ist doch gar kein richtiger Job.“ So ist diese neue, zweite CD entstanden, die allein durch ihren Titel meilenweit weg von der ersten zu sein scheint: „Alles Gratis“ statt „Summerlove“ (2017).

Ohne es gewusst zu haben, trifft sie mit der Thematik ihrer neuen Songs einen Nerv, der gerade bei vielen Künstlern blank liegt: Geld. Es gibt das zweite Standbein als Musiklehrerin, die Krise zieht ihr nicht den Boden unter den Füßen weg. Schwierig ist es trotzdem. Die Promo-Gigs waren von März bis Ende Mai geplant, Flyer und Sticker gedruckt. Doch statt Konzerte zu geben, sitzt sie jetzt zuhause und muss von dort aus auf ihre Musik aufmerksam machen. „Das machen gerade alle, jeder Künstler gibt Online-Konzerte for free.“ Pessimismus ist für sie dennoch keine Option: Sie hofft, ab Herbst wieder kleinere Wohnzimmerkonzerte geben zu können – mit ihrer neuen CD im Gepäck.

Hätte es bei der Aufnahmeprüfung nicht geklappt, wäre sie vielleicht Lehrerin geworden, oder Altenpflegerin. Auf jeden Fall etwas mit Menschen. „Für mich geht es darum, mit anderen eine schöne Zeit zu haben. Auf die Bühne gehen und einfach zu machen“, sagt Sihna. Klar wäre es nicht schlecht, wenn mehr Leute ihre Musik hören würden. „Aber selbst wenn ich jetzt schon wüsste, dass ich mit meiner Musik niemals was reißen würde – ich würde trotzdem weitermachen.“

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