Wermelskirchen Diakonieleiter macht Druck auf Minister
Wermelskirchen · Geschäftsführer Peter Siebel schreibt an Bundesgesundheitsminister Jens Spahn. Er appelliert, dass gegen den Pflegenotstand dringend etwas unternommen werden muss. Zehn Forderungen stellt er auf.
In den heißen Phase des Bundestags-Wahlkampfes 2017 stellte sich ein mutiger Pflege-Azubi aus Hildesheim vor die Fernsehkamera und schilderte mit eindringlichen Worten den Pflegenotstand - an Bundeskanzlerin Angela Merkel gerichtet. "Die Würde des Menschen ist unantastbar", berief er sich auf das Grundgesetz. Schlechte Arbeitsbedingungen, Fachkräftemangel und nicht angemessene Bezahlung - dieser Notstand ruft jetzt erneut auch Peter Siebel auf den Plan. Der Leiter der Diakonie-Station in Wermelskirchen mit insgesamt 210 Mitarbeitern schrieb einen Brief an Bundesgesundheitsminister Jens Spahn und stellt am Ende zehn Forderungen.
"Pflegekräfte streiken nicht, weil sie die Pflegebedürftigen nicht im Stich lassen möchten. Sie sind auch eher zurückhaltend. Außerdem haben sie kaum Fürsprecher", begründet Peter Siebel seinen Vorstoß auf Nachfrage dieser Redaktion. Er möchte am Ball bleiben, sich alle zwei, drei Monate wieder an den Minister oder Bundestagsabgeordnete wenden, um für eine Verbesserung der Bedingungen in der Pflege auf Bundesebene zu kämpfen.
"Viele Mitarbeitenden in der Pflege, egal in welchem Arbeitsbereich, sind maßlos enttäuscht. Enttäuscht von der Politik und der Summe an Ankündigungen, ohne jegliche Folgen. Im Februar dieses Jahres, am Tag nach Abschluss der Sondierungsgespräche, habe ich an Frau Dreyer geschrieben - worauf ich nie eine Antwort bekam. Und heute schreibe ich an den Bundesgesundheitsminister", wandte sich Siebel an diese Redaktion. Bereits im Februar hatte er in seiner Stellungnahme zu den Ergebnissen der Koalitionsverhandlungen deutlich gemacht, dass die 8000 geplanten neuen Stellen nur ein Tropfen auf dem heißen Stein seien, umgerechnet auf alle Einrichtungen in Deutschland brächten dieses Stellenplus den einzelnen Pflegekräften nur 80 Sekunden pro Tag mehr Zeit. Statt 8000 Stellen fehlten bundesweit 80.000 Stellen.
In Anlehnung an das berühmte Zitat von Martin Luther King beginnt er die Zeilen sehr emotional, aufrüttelnd: "Ich habe einen Traum. Einen Traum, dass eines Tages die Wertschätzung der Pflegberufe Wirklichkeit wird. Ich träume, dass eines Tages die Mitarbeitenden der Pflegeberufe wieder gerne ihrer Berufung nachgehen und sich würdevoll um unsere Alten kümmern können."
Die Forderungen:
' Kurzfristig, also in diesem und nächsten Jahr , müssten 30.000 Stellen für Pflegefachkräfte geschaffen werden.
' Ab 1. Januar 2019 müsse der gesetzlich festgelegte Brutto-Mindestlohn bei 3000 Euro im Monat liegen.
' Ab 2020 müssten jährlich 25.000 neue Vollzeitstellen geschaffen werden, um die Arbeitsbedingungen nachhaltig zu verbessern und um den Mehrbedarf für mehr Menschen mit Pflegebedarf decken zu können.
' Notwendig seien gesetzliche Regelungen, dass alle Kostenträger - auch die Krankenkassen - verpflichtet sind, in Vergütungsverhandlungen eine tarifliche Bezahlung zu refinanzieren.
' "Wir brauchen eine Finanzierung der Personalkosten auch aus Steuergeldern, nicht nur aus Mitgliedbeiträgen, weil die Pflege eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe ist."
' Benötigt werde ein wissenschaftlich fundierte Prüfinstrument für die Qualität der Pflege. "Und zwar für die Ergebnisse der Pflege und nicht für die Dokumentation einer Idee von Pflege."
' Benötigt werde mindestens eine Verdoppelung der Stellen für den Nachtdienst in stationären Einrichtungen.
' Pflegefachkräfte müssten in allen Gremien, die Entscheidungen treffen, beteiligt werden.
' "Wir brauchen ein Umschulungsprogramm wie "Wegebau", das die gesamten Personalkosten übernimmt, da in der ambulanten Pflege Auszubildende nicht ohne personelle Begleitung selbstständig Leistungen erbringen dürfen.
'"Wir brauchen ein starkes Signal von Ihnen."
Bisher müssen die Arbeitgeber einen Teil der Personalkosten tragen, obwohl die Azubis keine Leistungen erbringen, berichtet Peter Siebel. "Hier sollten die Arbeitsagenturen die Umschulung komplett bezahlen." Die Diakoniestation Wermelskirchen prüfe Bewerber genau, ehe sie sie für das Umschulungsprogramm vorschlage.
Dem Fachkräftemangel könne man am besten begegnen, wenn der Beruf durch höhere Gehälter und bessere Arbeitsbedingungen wieder attraktiver wird. Siebel: "Viele Pflegekräfte kehren ja gerade dem Beruf den Rücken, weil die Bedingungen so schlecht sind." Allein die Dokumentation verschlinge rund 15 Prozent der Arbeitszeit, obwohl sie nichts mit der Qualitätsverbesserung zu tun habe. Addiere man in der ambulanten Pflege die Fahrzeiten dazu, komme man auf 40 Prozent der Arbeitszeit, die nicht zur eigentlichen Pflege gehöre. "Wir allein brauchen zehn Vollzeitkräfte mehr", sagt der Diakonie-Geschäftsführer. Die 8000 versprochenen neuen Stellen würden pro Einrichtung aber nur jeweils eine halbe Stelle mehr ausmachen.