Altenberger Dom Von hellem Glanz in dunklen Mauern

Altenberg · Eine harte Kirchenbank, unerwartete Klänge und ein überraschendes Glänzen: Was der Altenberger Dom einem Besucher zu  Weihnachten zu bieten hat – und warum ein Besuch den Blick auf das Fest verändert.

Der Altenberger Dom in der Weihnachtszeit
Foto: Jana Bauch (jaba)

Es ist dieser eine Schritt. Gerade noch hat die Hand beherzt zu dem alten Türknauf gegriffen. Mit seinem ganzen Körpergewicht hat man sich gegen die Holztür gelehnt und dann diesen einen Schritt getan. Aus dem grauen, regnerischen Tag, aus dem Chaos in der Innenstadt, aus dem Trubel an der Kasse, weg von der langen Liste der Dinge, die erledigt werden wollen. Und dann also dieser Schritt – als sei es eine andere Welt. Im Altenberger Dom ist es dunkel. Ein einzelner Scheinwerfer wirft einen Lichtkegel auf die Bänke, ein anderer auf das Kreuz. Und doch bleibt es dunkel. Keine Sonnenstrahlen, die für dramatisches Licht in dem großen Gotteshaus sorgen, kein Kerzenschein, der aufflackert. Einfach nur der stille Dom – mit seinen uralten, kalten steinernen Wänden und diesem unglaublichen, hohen Raum. Was wirkt hier? Was sorgt dafür, dass sich der Schritt über die Schwelle wie Nachhause kommen anfühlt? Vielleicht sind es die Erinnerungen an die vielen, hunderte Kirchen aus Kindertagen. Kein Urlaub, keine Reise, kein Städtetrip ohne Kirchenbesichtigung. Und immer dieses wohlige, vertraute Gefühl – als habe der Raum auf einen gewartet, als wolle er Antworten geben, wenn man nur die richtigen Fragen stellt.

Die Kirchenbänke im Altenberger Dom sind so hart wie in den meisten Kirchen. Sie drücken auf die Wirbelsäule und als Protestant fragt man sich unweigerlich, ob man seine Füße zur Entspannung des Rückens denn nun auf die Fußbretter stellen darf – oder sind die ausschließlich betenden Katholiken und ihren Knien vorbehalten? In den meisten Kirchen erübrigt sich diese Frage, im Altenberger Dom aber nicht. Denn hier feiern Protestanten und Katholiken gleichermaßen Gottesdienst und deswegen darf dann eben auch die Entscheidung für die müden Füße auf den Brettern fallen. Wo man Zuhause ist, da legt man die Beine hoch. Zumindest ein bisschen.

Ohnehin ist so früh am Tag niemand in der Kirche, den das stören könnte. Und beim Blick auf das Kreuz wird man sich irgendwie sicher, dass ihn das schon mal gar nicht stören würde. Hauptsache ankommen. Und dabei hilft der schlichte Dom, in dem sich kaum ein Bild und wenig Farbe finden. Der Blick geht unweigerlich in die Höhe und dann bleibt einem jedes Mal der Mund offen stehen, weil man sich furchtbar klein und doch bedeutend fühlt, weil die Architektur einen zurechtzurücken scheint. Die Linienführung der majestätischen Decke führt geradewegs zur Madonna im Strahlenkranz. Ja, als Protestant tut man sich zuweilen schwer mit dem goldenen Andachtsbild. Und doch: Zu Weihnachten will dieses Kind auf dem Arm seiner Mutter irgendwie berühren.

Und dann plötzlich ist es vorbei mit der Ruhe. Ein tiefer Ton ein lauter Ruf: Fünf Tage, bevor im Altenberger Dom Weihnachten gefeiert wird, stimmen die Musiker die Orgel. Auf jeden Ton folgt ein Ruf des Experten, der die Pfeifen prüft: Und der Blick der Besucher wird etwas rastloser und entdeckt dann die grünen Blätter aus Stein, die die Säulen im Chorraum zieren. Bergische Bäume, bergische Blätter: Viel mehr Zierrat gibt es nicht, aber auf sie scheinen die Zisterzienser einst nicht haben verzichten wollen. Irgendwie schön, diese Verbundenheit zum heimischen Wald.

Irgendwo ist ein Türschlagen zu hören, eine Frau geht schnellen Schrittes auf die Kerzen zu, verbeugt sich kurz vor dem Kruzifix und zündet dann eilig ein Licht an – als sei sie auf dem Weg zur Arbeit noch kurz abgebogen. Ein Mann kommt mit seinem Enkel auf den Schultern in den Dom. Auch die beiden wollen eine Kerze anzünden, machen aber vorher noch Stopp an der weihnachtlichen, maßstabsgetreuen Krippenszene, die von der Verheißung der Geburt Jesu erzählt. Und während weiter einzelne tiefe Orgeltöne durch die Kirche brummen, lohnt ein Blick in das Gebetsbuch. Ist das indiskret? Ein Paar bedankt sich für sein Glück, andere schreiben von schlimmen Schicksalsschlägen und bitten um göttlichen Beistand. Und dann hat ein Besucher drei Worte mit drei Ausrufungszeichen aufgeschrieben: „Frieden! Frieden! Frieden!“ Man möchte sich anschließen. An diesem besonderen Ort scheint es, als sei alles möglich.

Und noch während des Grübelns und den ersten Schritten Richtung Ausgangs fällt der Blick unweigerlich auf das Westfenster – das größte Buntglasfenster nördlich der Alpen. Erst jetzt, eine Stunde nach dem besagten Schritt über die Schwelle. Und obwohl es draußen immer noch regnet, der Himmel düster und wolkenverhangen ist, sorgt dieses Fenster für einen unglaublichen Glanz. Gelb und hell. Und die ganze Zeit hat es dort geleuchtet – unerkannt für den Besucher, der in der Kirchenbank saß, dem Fenster den Rücken zugewandt. Während die Orgel eine erste vorsichtige Melodie spielt, die Kantorin dann in die Tasten geht, alle Register zieht und den Dom zum Klingen bringt, wird klammheimlich Weihnachten – vor einem leuchtenden Fenster, in einer beinahe leeren Kirche, fünf Tage vor dem großen Fest.

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