Silvester-Interview Sylvia Wimmershoff Und Hans Goost "Das Studium ist nur eine Trockenübung"

Wermelskirchen · Die Schulleiterin und der Chefarzt treffen sich auf Einladung der BM zum ersten Mal - und merken, dass ihre Berufe Ähnlichkeiten haben.

 Sylvia Wimmershoff, Leiterin der Berufskollegs Wermelskirchen und Wipperfürth, und Hans Goost, Chefarzt der Orthopädie und Unfallchirurgie im Wermelskirchener Krankenhaus, sprachen auf Einladung der BM über ihre Schulzeit, ihre Berufe und die Bedeutung von Empathie.

Sylvia Wimmershoff, Leiterin der Berufskollegs Wermelskirchen und Wipperfürth, und Hans Goost, Chefarzt der Orthopädie und Unfallchirurgie im Wermelskirchener Krankenhaus, sprachen auf Einladung der BM über ihre Schulzeit, ihre Berufe und die Bedeutung von Empathie.

Foto: Jürgen Moll

Herr Goost und Frau Wimmershoff, wie haben Sie beide Ihre Schulzeit in Erinnerung?

Wimmershoff Ich bin gerne zur Schule gegangen, hier in Wermelskirchen. Ich würde sagen, dass die Zeit mich stark geprägt hat. Ganz besonders die Oberstufe, die fand ich noch besser als die Sekundarstufe I.

Gab es Lehrer, die Sie geprägt haben?

Wimmershoff Ganz bestimmt mein Klassenlehrer und späterer Oberstufentutor. Ganz viele andere auch noch. Ich hatte Glück.

Goost Ehrlich gesagt habe ich an die Zeit keine guten Erinnerungen. Das Gymnasium war am Anfang für mich sehr, sehr schwierig. Schule, das war doch ziemlich rau damals.

Wie war das in der Oberstufe?

Goost Die habe ich als sehr angenehm in Erinnerung. Da bin ich, kann man sagen, aufgeblüht. Vorher war Schule für mich etwas, wo man hingehen musste. Das war nicht schön. Wenn mir drei, vier Lehrer heute über den Weg laufen würden, denen würde ich nicht die Hand geben wollen.

Mussten Sie mal eine Klasse wiederholen oder in die Nachprüfung?

Goost In der zehnten Klasse wollte einer meiner Lehrer mich so bewerten, dass ich nicht weiter gekommen wäre. Mein damaliger Klassenlehrer war damit nicht einverstanden und hat das für mich geklärt. Das rechne ich ihm heute noch sehr hoch an.

Können Sie sich an einen Schlüsselmoment erinnern, in dem Sie wussten, dass Sie einmal den Beruf ausüben wollen, den Sie heute haben?

Wimmershoff Ja. Ich wollte nie Schulleiterin werden. Aber ich habe im Studienseminar für Lehrerausbildung in das Thema "Leitung" hineinschnuppern können und dort festgestellt, dass es mir Spaß macht, dass ich wohl auch die ein oder andere Voraussetzung dafür mitbringe, wenn man das so nennen kann. Irgendwann hat mein Dezernent mich dann gefragt und ich habe gesagt, dass ich eigentlich nicht in die Schulleitung möchte - außer in Wermelskirchen. Da könnte ich mir das vorstellen.

Frau Wimmershoff, wie ist Ihre Einstellung zu Krankenhäusern?

Wimmershoff Gut, dass es sie gibt.

Sprechen wir über die Doppeldeutigkeit des Begriffs Diagnose.

Wimmershoff Das ist ein Aspekt, der in meinem Beruf und in dem von Herrn Goost sehr wichtig ist.

Wie sieht eine Diagnose in Ihrem Beruf aus, Frau Wimmershoff?

Wimmershoff Wir diagnostizieren bei Schülern, welche Kompetenzen sie haben und welches Potenzial wir erkennen können. Natürlich auch, welche Interessen der Schüler hat, unterliegt einer Diagnose, was darin mündet, dass wir gemeinsam daran arbeiten, wie er sein Ziel erreicht.

Wie nah kommen Sie als Schulleiterin den einzelnen Schülern?

Wimmershoff Ich habe selbstverständlich Gespräche mit ihnen. Ich habe mit sehr, sehr vielen Schülern Gespräche bei der Aufnahme. Dann gibt es bei uns eine Beschwerdetreppe. Wenn Schüler ein Problem mit einem Lehrer haben, können sie mit ihm reden, dem Klassenlehrer und mit dem Beratungslehrer. Wenn sich das Problem trotzdem nicht lösen lässt, ist ein Gespräch in meinem Büro angesagt.

Unterrichten Sie auch?

Wimmershoff Bis Mai hatte ich Unterricht. Relativ viel sogar. Dann habe ich zusätzlich die Leitung des Berufskollegs in Wipperfürth übernommen. Wenn die Kooperation beziehungsweise Fusion zwischen den beiden Berufskollegs weit genug fortgeschritten ist, werde ich sicherlich auch wieder unterrichten.

Wie erstellen Sie Diagnosen, Herr Goost?

Goost Wenn jemand ins Krankenhaus kommt, hat er keine Bagatellverletzung oder -erkrankung, sondern ist meist schon von niedergelassenen Ärzten vorbehandelt worden. Da ist es uns wichtig, dass wir uns Zeit nehmen, die Befunde zu sortieren und die richtige Diagnose zu stellen. Manchmal geht das nicht direkt. Man muss verschiedene Untersuchungen durchführen und sich wie bei einer Treppe zu einer endgültigen Diagnose hinarbeiten.

Wie viel Zeit können Sie sich für die Patienten nehmen?

Goost Wir sind in einer eigentlich sehr komfortablen Position. Wir haben zwar als Krankenhaus viel zu tun, wir haben viele Patienten, sind aber nicht so überlaufen, dass wir uns für sie keine Zeit nehmen könnten. Ich finde es sehr wichtig, dass man sich mit ihnen in einer entspannten und ruhigen Atmosphäre unterhalten kann.

Haben Patienten auch mal das Gefühl, zu kurz zu kommen?

Goost Sicher ist das auch so. Man kann nicht jeden Tag, genau wie in der Schule, ein langes Gespräch mit jedem führen. Gerade nach einer Hüft- oder Knieoperation ist in den ersten Tagen der Kontakt mit dem ärztlichen Team sehr wichtig und zeitintensiv, aber irgendwann übernimmt der Physiotherapeut die Rolle als wichtigste Kontaktperson.

Wurden Sie beide während Ihrer Ausbildung abseits des Fachlichen auf den richtigen Umgang mit Patienten beziehungsweise Schülern vorbereitet?

Wimmershoff Wer das für den Lehrerberuf nicht mitbringt, ist für den Job nicht geeignet.

Goost (lacht) Da fallen mir aber viele ein. Zumindest zu meiner Zeit gab es einige, die wenig Empathie zeigten. Aber das gibt es bei Ärzten genauso. Man wird darauf vorbereitet, sicherlich. Aber so, wie es gute Sportler gibt, die schneller laufen können als andere, gibt es auch Leute, die empathischer sind als andere.

Gibt es Seminare dafür, wie man schlechte Diagnosen überbringt?

Goost Die gibt es. Dort lernt man, wie man es machen soll, aber das ist nur Trockenübung. Selbst wenn man so etwas im Gespräch mit Kommilitonen oder Schauspielern übt, ist das ehrlich gesagt nicht mit dem zu vergleichen, wie das nachher im Gespräch mit dem Patienten ist.

Wimmershoff Es gibt Gespräche, da kann man bestimmte Techniken anwenden. Dann gibt es Gespräche, in denen man die alle nicht benutzen kann, in denen es ganz anders ist, in denen etwas ganz anderes gefordert ist, als das, was man lernen kann.

Goost Dann muss man improvisieren. Manchmal liegt man auch daneben und merkt selber, dass das Gespräch nicht gut läuft und es immer schlechter und schlechter wird.

Lernt man, mit schlechten Diagnosen umzugehen, oder belasten die Sie auch manchmal persönlich?

Goost Ja, klar lernt man das. Aber es gibt immer Fälle, wo einem das nicht gelingt. Ich will nicht sagen, dass das jede Woche passiert, aber jeden Monat bestimmt. Ich weiß nicht, wie das bei Ihnen ist, Frau Wimmershoff, aber ich habe immer wieder Tage, an denen ich schlecht schlafe und über Fälle grübele.

Wimmershoff Das habe ich nicht. Aber ich bin auch kein Arzt, bei mir hängt nicht Leben und Tod davon ab. Ich denke, dass die Probleme, die ich in der Schule habe, im Verhältnis zu anderen Gebieten nicht so riesig sind. Deswegen würde ich mit Herrn Goost nicht tauschen wollen. Den Grad der Verantwortlichkeit sehe ich da anders.

Leiten Sie angehende Ärzte / Lehrer auch auf emotionaler Ebene an?

Wimmershoff Ja. Ich versuche, Grundsätze, die ich für mich festgeschrieben habe, um mit meinem Job umgehen zu können, anderen nahezubringen. So was wie: Der Mensch ist wichtiger als das System. In dem Moment, in dem ich anfange, Menschen zu verbiegen, damit ein System erfüllt wird, stimmt irgendetwas nicht. Da kann ich lieber schauen, dass ich im Rahmen der rechtlichen Möglichkeiten etwas biegen oder Lücken suchen kann, um dem Menschen gerecht zu werden. Wenn ich sage, das ist halt so, dann hilft ihm das nicht.

Goost Bei uns steht das Fachliche ganz klar im Vordergrund. Die Kommunikation ist eine Grundvoraussetzung, aber auch eine Fachlichkeit, die sich entwickeln muss. Es gibt Leute, bei denen man dazwischen gehen und sagen muss: Solche Sätze, solches Verhalten sind nicht in Ordnung. Es gibt auch Personen, denen man früher oder später sagen muss: Es tut mir leid, du bist für diesen Beruf mit regem Patientenkontakt nicht der Richtige.

Haben Sie auch Kollegen, die sich dann umorientiert haben?

Wimmershoff Ich spreche jetzt nicht von einem hohen Prozentsatz, aber die gibt es.

Goost Haben Sie es tatsächlich schon mal gehabt, dass jemand in so einer hohen Ausbildungsstufe gesagt hat: Das ist nichts für mich?

Wimmershoff Nein, das nicht. Man muss sie dahin schubsen. Wenn sie selbst auf die Idee gekommen wären, wären sie nicht dort gelandet.

Kommt der Zeitpunkt, an dem man das herausfinden kann, in der Ausbildung ihrer Berufe nicht recht spät?

Goost Eigentlich zu spät. Man hat ein ganzes Studium hinter sich.

Wimmershoff Bei uns gibt es jetzt eine Veränderung, dass im Studium bereits früh Praktika in der Schule gemacht werden müssen, ein ganzes Praxissemester sogar. Manche Menschen schaffen es, sich im Umgang mit anderen über eine begrenzte Zeit über Wasser zu halten. Wenn es aber darum geht, eine Vollzeitstelle zu leisten, geht es schief.

Goost Das ist bei uns auch häufig der Fall. Dass Kollegen in normalen Situationen vollkommen normal reagieren und wenn es kritisch wird, einfach nicht elastisch genug sind.

Gibt es Aspekte, die sie über den jeweils anderen nun gelernt haben?

Wimmershoff Wir haben die Gemeinsamkeit: Unabhängig davon, was wir leiten, leiten wir. Wir begleiten andere Menschen dabei, mit anderen Menschen umzugehen.

Goost Was uns beiden gemeinsam ist, ist dieses Kopfschütteln, wenn man sagt: Das kann doch gar nicht wahr sein. Es gibt Situationen, in denen Patienten zu spät zum Arzt kommen und man sich denkt: Das hat doch wehgetan. Genauso wie es, glaube ich, als Vater manchmal der Fall ist, dass die Hausaufgaben erst Sonntagabend entdeckt werden.

Wimmershoff Das kann man noch toppen.

Goost Montags morgens im Bus die Hausaufgaben abschreiben, habe ich auch schon gemacht. Aber man kann sich, egal ob in der Schule oder dem Beruf, vieles einfacher machen, wenn man seinen Alltag und sein Leben strukturiert. Man muss diese Struktur vor Augen haben und wissen, was wann wo gemacht wird. Dann kann man auf Stresssituationen besser reagieren.

DAS GESPRÄCH FÜHRTE EMILY SENF.

(RP)
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