Ingalisa Spieß "Auch die Politik gehört zum Katholikentag"

Wermelskirchen · 22-jährige Theologiestudentin aus der katholischen Gemeinde St. Michael und Apollinaris berichtet über eine besondere Glaubenserfahrung.

 Sieht einen Aufbruch in der katholischen Kirche.

Sieht einen Aufbruch in der katholischen Kirche.

Foto: spiess

Ingalisa Spieß ist 22 Jahre alt und studiert derzeit in Bonn Theologie. Die Wermelskirchenerin ist in der katholischen Gemeinde St. Michael und Apollinaris aufgewachsen und heute noch dort aktiv. Im Interview spricht sie über ihre Erfahrungen beim 101. Katholikentag in Münster.

Frau Spieß,Sie waren auf dem Katholikentag in Münster.

Spieß Ja, ich war mit ein paar Freunden für einen ganzen Tag in Münster. Wir sind mit Bus und Bahn dorthin gefahren, weil der Katholikentag in diesem Jahr endlich wieder einmal in unserer Nähe stattfand.

Welche Bedeutung glauben Sie, hat das Treffen ganz aktuell?

Spieß Für junge Menschen ist es ein erlebbares und auch medienpräsentes Zeichen, dass man mit seinem christlichen Glauben nicht alleine ist. Für die Gesellschaft ist es ein Statement, dass die katholische Kirche neben anderen Religionen hier in Deutschland alltäglich ist und in solchen Großveranstaltungen Höhepunkte findet.

Welche Botschaften gehen davon aus - und an wen richten sie sich?

Spieß Der Katholikentag hat eine Botschaft an alle Menschen, die zuhören: Suche Frieden! Mein erster Eindruck war, dass das sehr abstrakt klingt. In diesen zwei Wörtern lese ich sowohl eine Aussage, als auch eine Aufforderung: Ich suche Frieden und du sollst Frieden suchen. Im großen Stil begeben sich alle Religionen auf diese Suche. In Buddhismus, Christentum, Islam und Judentum wird für den Frieden gebetet. Doch auch im Kleinen versucht jeder einzelne Mensch, zufrieden zu werden, und unsere gesamte Umwelt hofft auf ein friedliches Dasein. Und auf einmal sehe ich den Frieden nicht mehr als viel zu entferntes Wunschdenken. Ich möchte in meinem Leben so oft es geht, zufrieden sein, und ich möchte in meiner Umgebung friedvolle Menschen.

Für wie wichtig halten Sie die Politik im Rahmen des Katholikentags?

Spieß Die Politik gehört voll und ganz zum Katholikentag dazu. Schließlich findet er nicht hinter verschlossenen Mauern einer Klosteranlage statt, sondern mitten in der Gesellschaft. Hier wird eine Basis geboten, auf der alle Menschen mitdiskutieren können - wenn sie es denn möchten. Das diesjährige Programm hielt über 150 Podien zu Themen aus Politik, Gesellschaft, Kirche und Ökumene bereit. Mir fiel auf, dass bei sämtlichen Podien und Disputen, die auf den Bühnen stattfanden, Zettel und Stifte ans Publikum verteilt wurden. Jeder konnte sich mit Nachfragen und Beiträge am politischen Gespräch beteiligen. Vielleicht ein Vorbild für die große Politik.

Überhaupt: Wie politisch sollte Kirche sein?

Spieß Die katholische Kirche ruft ihre Mitglieder dazu auf, sich der Welt zuzuwenden. Will sie dafür ein Vorbild sein, so muss sie sich auch mit politischen Themen beschäftigen und - je nach Situation - Stellung beziehen.

Wie kann man die positiven Nachwirkungen des Katholikentags erhalten?

Spieß Wenn jeder, der dort war, bereitwillig von seinen Erfahrungen erzählt, so bleibt der 101. Katholikentag noch ein wenig länger in den Köpfen der Menschen. Es sollten auch Kleinigkeiten erzählt werden. So ist mir und einigen Freunden aufgefallen, dass sich beim Katholikentag ausnahmslos jeder entschuldigt, der einen anderen versehentlich in der Menschenmasse anstößt. Eine höfliche Geste, die sehr einfach und schnell für Frieden sorgt.

Was sind die wichtigsten aktuellen Aufgaben der Kirche?

Spieß Da die katholische Kirche sich als allumfassende Gemeinschaft versteht, gehören alle aktuellen Aufgaben, die den Menschen betreffen, zu ihren Aufgaben. Mir persönlich ist die Verständigung der katholischen Kirche mit anderen Religionen sehr wichtig, weil dies die Geschichte sehr prägte und auch bei den aktuellen Geschehnissen in Deutschland eine Rolle spielt.

Welche Antworten kann die Kirche auf die dringenden Fragen der Menschen geben?

Spieß Es ist verhältnismäßig schwierig, mit den Antworten anzufangen. Die Kirche hat schon recht, wenn sie sagt, es gelte, sich zuerst der Lebenswelt der Menschen zu widmen. Wir sollten jeden einzelnen Menschen mit seinen Fragen wahrnehmen und dann zusammen versuchen, Antworten zu finden. Dazu sind allerdings nicht nur Personen mit kirchlichem Beruf befähigt, jeder Christ und jede Christin kann das.

Pfingsten verbindet man auch mit Erneuerung - an welcher Stelle muss die Kirche sich Ihrer Meinung nach erneuern?

Spieß Ich erlebe im Moment viele Aufbruch-Bewegungen in der katholischen Kirche. An den verschiedenen Enden beginnt die Kirche mit modernen Ansätzen. Trotzdem sehe ich Änderungsbedarf in der Gemeindestruktur, der Attraktivität und auch bei einigen kirchlichen Gesetzen. Wussten Sie, dass Sie als Katholik eine Befreiung vom Pfarrer brauchen, um der Sonntagsmesse ohne Verschulden fernbleiben zu dürfen?

Und an welchen Stellen sind die konservativen Positionen der Kirche wichtig?

Spieß Die konservativen Stimmen in der Kirche sind notwendig, um nicht zu vergessen, was unsere Traditionen sind. Eine festliche Messe ist geprägt von Elementen aus der Geschichte und dem Brauchtum der Kirche. Konservative Positionen bewahren diese Form. Sie entsprechen nicht der modernen Zeit und lassen sich kaum mit der modernen Gesellschaft oder jungen Menschen zusammenbringen, aber sie gehören auch zur Kirche. Die Tradition hat nichts Negatives an sich, allerdings sollte neben ihr auch eine Offenheit für Neues genügend Platz finden.

Was glauben Sie - fällt es Gott wohl manchmal schwer, seine Schöpfung ganz vorbehaltlos zu lieben?

Spieß Nein, niemals. Da bin ich mir sicher. Gott liebt jeden Mann und jede Frau ohne jede Bedingung. Vielleicht ist Gott aber verärgert, wenn ein Mensch den anderen verletzt. Vielleicht spürt er auch die Wut des Verletzten. Aber so wie ein Vater seine Kinder liebt, auch wenn sie den Streit begonnen haben, so liebt Gott auch die Menschen, die mit der Gewalt anfangen.

Wie kann man den Menschen angesichts von Terror, Umweltzerstörung und Katastrophen die Liebe Gottes nachhaltig vermitteln?

Spieß Bei diesen Ereignissen, die meist große Trauer verursachen, ist es im ersten Moment kaum möglich, über Liebe zu sprechen. Sicher habe ich Glück, noch kein großes Leid erfahren zu haben. Aber wenn Menschen leiden, so bin ich der Überzeugung, dass Gott mit uns leidet, gerade weil er uns liebt. Dass dieser unfassbar große Gott meine Trauer mitempfindet, wirkt auf mich tröstlich. Seine Liebe schließt nicht nur die Trauernden ein, auch die Auslöser der Not sind gemeint. Es ist schwer daran festzuhalten, dass auch Gewalttäter geliebt werden. Aber das ist Teil des Glaubens und für jeden Christen und jede Christin eine Aufgabe fürs Leben.

Wo sehen Sie persönlich diese Liebe Gottes besonders eindrücklich?

Spieß Die vielen Menschen, die ich kennenlernen durfte, die freundlich zu mir waren, zeigen mir ein Stück von Gottes Liebe. Der Schalverkäufer beim Katholikentag, der für jeden Besucher ein Kompliment bereithält, lässt genauso Gottes Liebe erkennen, wie die langjährige Freundin oder der geliebte Opa.

DAS INTERVIEW FÜHRTE WOLFGANG WEITZDÖRFER

(wow)
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