Serie Mein Wermelskirchen Als Bomben auf Hünger fielen

Wermelskirchen · Der 4. November 1944 habe Hünger geprägt wie kein anderer Tag, sagt Werner Steinhaus. Damals starben mehr als 66 Menschen bei einem Bombenangriff der Alliierten. Zeitzeugen, die damals Schüler waren, erinnern sich.

 Familie Steinhaus lebt im idyllischen Stadtteil Hünger. Aber Werner und Gretel Steinhaus, Hanna Siebel und Manfred Zimmer(v. l.) erinnern sich noch an Kriegszeiten, als das Dörfchen bombardiert wurde.

Familie Steinhaus lebt im idyllischen Stadtteil Hünger. Aber Werner und Gretel Steinhaus, Hanna Siebel und Manfred Zimmer(v. l.) erinnern sich noch an Kriegszeiten, als das Dörfchen bombardiert wurde.

Foto: Jürgen Moll

Wermelskirchen Wenn sich Hanna Siebel an jenen Wintertag im November 1944 erinnert, dann schweift ihr Blick ein bisschen in die Ferne. Die Bilder haben sich eingebrannt. "Meine Freundin und ich sind samstagnachmittags immer zu den Senioren gegangen, um zu singen", erzählt sie. Auch an jenem Samstag hatte sich die Siebenjährige auf den Weg gemacht.

Es waren nur ein paar Schritte bis zum Haus der Schulfreundin, ein paar weitere bis zum Gemeindehaus. Das Altenheim in Wermelskirchen hatte seine Bewohner in den "sicheren" Hünger evakuiert. Und nun wartete die junge Hanna also auf ihre Freundin, um gemeinsam aufzubrechen. Um sie herum hatte der Krieg bereits getobt. Schule fand nur noch sporadisch statt. "Und wir waren es längst gewohnt, bei Fliegeralarm Schutz in den Kellern zu suchen", erzählt Werner Steinhaus.

Aus dem Schlafzimmerfenster hatte er Remscheid brennen sehen, als Freizeitbeschäftigung sammelten die Kinder Bombensplitter und tauschten sie. "Einen habe ich noch", sagt Manfred Zimmer, "er ist bis heute messerscharf." Aber dass es Hünger treffen könnte, davon war niemand ausgegangen.

Nein, Angst habe er damals nicht gehabt, sagt Zimmer. "Ich war sieben und dachte, auf dem Land werden sie schon keine Bomben werfen", ergänzt er. Am 4. November 1944 verloren die Menschen in Hünger dieses Vertrauen. Als Hanna Siebel, die noch auf ihre Freundin wartete, aus dem Fenster am Horizont die Flugzeuge sah, schallte auch schon der Alarm über das Dorf. "Ich sah, dass die Piloten Christbäume setzten", erzählt Hanna Siebel.

Leuchtmittel wurden abgeschossen, um den nachfolgenden Fliegern zu signalisieren, wo sich die Ziele befinden. An diesem Tag zielten sie auf Hünger. "Wir sind in den Keller gelaufen, und ich habe die ganze Zeit nach meiner Mutter gerufen", erzählt sie. Auch Werner Steinhaus und Manfred Zimmer eilten in die Keller. Der eine hatte gerade Runkelblätter für die Kühe gesammelt und sich mit dem Gedanken angefreundet, gleich in den Schulunterricht aufzubrechen. Der andere habe die Sirenen Zuhause gehört. Um kurz nach 14 Uhr fielen Luftminen und Bomben. Schnell merkten die Kinder an der Heftigkeit der Erschütterungen, dass dieser Tag alles verändern würde. "Der Giebel des Nachbarhauses hob sich um einen halben Meter", erzählt Werner Steinhaus, "alles hat gezittert und gebebt."

Als die "Hüngeraner" später aus den Kellern kletterten, herrschte Chaos. "Nebenan brannte ein Haus, und die Nachbarn versuchten zu retten, was zu retten war", erzählt Steinhaus, der damals elf Jahre alt war, "wir haben geholfen, wo wir konnten, schließlich waren unsere Väter im Krieg". Kirche, Schule und Gemeindehaus waren getroffen, viele Wohnhäuser zerstört. "Und aus den Kellern hörten wir die Menschen um Hilfe schreien", erzählt Manfred Zimmer. Viele von ihnen konnten nicht gerettet werden und erstickten.

Wer heute in die Chronik schaut, findet dort die traurige Auflistung jenes Tages: 66 Menschen starben, Nachbarn, Freunde, Schulkameraden. Unter den Toten waren 24 Soldaten. Ob ihnen der Angriff gegolten hatte oder die Flieger Solingen verpasst hatten, wurde nie aufgeklärt. 85 Menschen wurden verwundet, 19 Brände mussten gelöscht werden, 44 Gebäude wurden völlig zerstört, 15 Kühe starben wegen des Luftdrucks. "Als ich aus dem Keller kam, wollte ich nur nach Hause", erzählt Hanna Siebel. Ihr Bruder war früher am Tag zur Post aufgebrochen, nun warteten alle auf seine Rückkehr. Es sollte lange dauern, bis alle wieder zusammen waren.

Währenddessen wurden in der Kirche die Leichen aufgebart. "Das war schon arg für mich", sagt Werner Steinhaus. An den Tagen danach lagen die Jungen auf der Lauer, als auf dem Friedhof die Toten begraben wurden. Vergessen haben die Kinder von damals diesen Tag im November nie. Die einen kehrten schnell zurück in den Alltag, die anderen litten noch lange an der Katastrophe. Ein Teil ihrer Geschichte ist dieser Tag geblieben.

(resa)
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