Lesung mit Doc Caro in Wegberg Wie die Notaufnahme den Blick auf das Leben verändern kann
Wegberg · Notärztin Carola Holzner alias Doc Caro las im Bestattungshaus Heiss aus ihrem Buch „Keine halben Sachen“. Ihr Auftritt in Wegberg war gleich eine dreifache Premiere.
Sie lacht und sie weint, sie berichtet von der Tragik bei Todesfällen und von der Situationskomik bei der Behandlung von Patienten – und sie hat eine Lehre aus ihrer Tätigkeit als Notärztin gezogen: keine halben Sachen. „Keine halben Sachen“, so lautet auch der Titel ihres zweiten Buches, das Carola Holzner, besser bekannt in Funk und Fernsehen als Doc Caro, in Wegberg vorstellte. Holzner arbeitet als Notärztin und im Rettungsdienst und hat ihre Erlebnisse, aber auch ihre Erkenntnisse aus der medizinischen Arbeit in nunmehr zwei Büchern zusammengetragen und berichtet, wie die Notaufnahme den Blick aufs Leben verändert.
Ihr Auftritt in Wegberg war in dreierlei Hinsicht eine Premiere: Zum ersten Mal überhaupt weilte sie am Grenzlandring, die von Bestatter Torsten Heiss organisierte Lesung war ihre erste in einem Bestattungshaus und schließlich trug sie zum ersten Mal ihre Geschichte „Wie die Sonne durch die Wolken“ vor Publikum vor. Ein Bestattungshaus sei „eigentlich der richtige Ort für eine Lesung, in der es um den Tod und den Umgang mit dem Tod gibt“, meinte die 40-jährige Medizinerin, die zuerst gar nicht glauben konnte, dass die Anfrage eines Bestatters für eine Lesung ernst gemeint war. Jetzt weiß sie, dass es richtig und gut war, der Einladung nach Wegberg gefolgt zu sein.
„Das Bestattungshaus ist ein Ort der Trauer, des Abschieds, aber auch ein Ort der Freude und Zufriedenheit“, sagte Holzner. Sie zog mit ihrer erfrischenden, emotionalen Art die Zuhörer in den Bann. Halbe Sachen gibt es bei ihr nicht, das gilt für den Rettungsdienst ebenso wie für das private Leben. „Ich muss bei einem Einsatz schnell entscheiden, ich kann nicht auf halbem Weg stehen bleiben.“ Das gelte auch fürs Leben. „Hätte ich mal…“ als Bilanz auf dem Sterbebett sei ein Satz, der zeige, dass der Mensch liebend gerne vieles anders gemacht hätte.
So lebt und genießt Holzner, lacht und weint und nimmt ihre Zuhörer mit zur jungen Familie, deren zwölf Wochen alte Tochter tot im Bettchen liegt. Beim erstmaligen Lesen der Geschichte kommen die Bilder vom Einsatz zurück, kommt die Erinnerung an den Blick der Mutter, an die Verzweiflung des Vaters, an das Unverständnis der zweiten Tochter. Da muss Holzner beim Lesen stoppen, ihre Stimme bricht, Tränen muss sie sich aus den Augenwinkeln wischen. Sie lebt und leidet mit. Die Zuhörer sind atemlos gepackt, schlucken und verharren in Stille. Der Säugling ist tot, als Holzner mit ihrem Team am Einsatzort ankommt. Sie muss die Mutter mit Symptomen eines Herzinfarkts behandeln und ins Krankenhaus einweisen. „Sie hatte ein gebrochenes Herz.“ Die Mutter überlebt, sie muss überleben, auch wenn sie lieber statt ihres Kindes gestorben wäre. Wie die Sonne durch die Wolken scheint sie, um für ihre andere Tochter und für die Familie weiter zu leben.
Nach der Tragik kommt die Komödie – so wie das Leben spielt. Anekdoten aus der Notaufnahme, von Patienten, die nicht krank, sondern einsam sind, sorgen für Lacher im Wechselbad der Gefühle – bis wieder ein Satz fällt, der die Zuhörer ehrfürchtig werden lässt: „Den ersten Toten vergisst man nicht.“ Aber über die Toten soll niemand das Leben vergessen, es in vollen Zügen genießen, so die Erkenntnis. Alles, nur keine halben Sachen. Das gilt auch für den versöhnlichen Abschluss, als Holzner ihren Caro-Notfallhammer testet. Schafft er es, eine Urne zu zertrümmern? Es gelingt gemeinsam mit Heiss. Alle lachen in einem Haus, in dem Menschen mit ihrer Trauer nicht alleingelassen werden sollen.